Dushan-Wegner

19.11.2017

Betonblöcke in Geschenkpapier

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Marcus Franz
In Wien (und anderswo) haben sie jetzt die Anti-Terror-Poller als Weihnachtsgeschenke verpackt – hier die Erklärung, warum das nicht mehr persiflierter ist.
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Kommt ein Mann zum Arzt und sagt: »Herr Doktor, wenn ich so mache, dann tut es weh!« – Sagt der Arzt: »Wenn es weh tut, hören Sie doch auf damit!«

Haha, fanden Sie den gut? Ich finde den klasse! Dieser Witz bringt wunderbar auf den Punkt, wie wir Menschen uns selbst Schmerzen zufügen, und zugleich die gefühlte Aussichtslosigkeit des Kampfes gegen den Schmerz. Der doppelte Schmerz macht es extra schmerzhaft – und damit extra witzig.

Im Kern des Witzigen ist immer ein Schmerz. Unsere Begriffe und Hoffnungen passen nicht zu unserer Realität und das tut uns weh.

Betrachten wir etwa jenes bekannte Bonmot über Krieg und Politik, welches sich ja auch als Witz lesen lässt:

»Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.«
– Carl von Clausewitz

Die Umkehrung:

»Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.«
– Michel Foucault

Der Vergleich von Krieg und Politik bringt (unter anderem) den Schmerz auf den Punkt, dass Politik bei Gelegenheit viel brutaler ist, als die Verwaltung des allgemeinen Wohls es notwendig machen sollte. Indem sie einen Schmerz isolieren und wie selbstverständlich herausstellen, empfinden wir diese beiden Sprüche (auch) als »witzig«.

Der Homöopath, so die Theorie, verabreicht dem Patienten ein wenig vom Gift, das es doch zu bekämpfen gilt, transportiert vom leicht zu schluckenden Zuckerkügelchen.

Der Zucker des Witzemachers ist gemischt aus Übertreibung, Verfremdung und Isolation. Bei den meisten Arten seelischen Schmerzes ist diese Mischung erstaunlich wirksam.

1. Übertreibung

Wenn ein Mensch einen andern Menschen mit einem Hammer schlägt, dann ist dieser Anblick für den Zuschauer fast so schmerzhaft, als würde er selbst geschlagen. Wenn jedoch ein Clown oder eine Cartoonfigur einen hundertmal größeren Hammer als üblich dafür nehmen, und wenn das Opfer dann auch noch durch den ganzen Raum fliegt, dann können wir nicht anders als zu lachen. Die Übertreibung macht den Schmerz »witzig«.

2. Verfremdung

Wenn eine Katze eine Maus jagt und mit ihr das sprichwörtliche Katz-und-Maus-Spiel spielt, dann schauen wir fasziniert und schaudernd hin, doch »witzig« ist es eher nicht. Wenn es aber wiederum Cartoonfiguren sind, die sich da jagen, dann sind wir vom Geschehen bestens unterhalten, ja wir finden sogar eine Verbindung von Katze und Maus zur Conditio Humana. Die Verfremdung macht den Schmerz »witzig«.

3. Isolation

In einem Witz wird immer nur ein Schmerz behandelt, vielleicht zwei, ganz selten mal indirekt noch ein dritter. Der Witz fokussiert uns auf den einen Schmerz. So können wir unsere seelischen Kräfte sammeln, und diesen Schmerz zu bewältigen beginnen. Wenn der Student etwa den Eltern schreibt, »Geliebte Eltern, lange nichts von euch gehört, schickt bitte tausend Euro, damit ich weiß, dass es euch gut geht!«, dann können wir uns »isoliert« mit dem Umstand beschäftigen, dass Kinder »frei« sein wollen und zugleich gerade heute schmerzhaft lange abhängig bleiben. Die Isolation des einen Widerspruchs hilft, den einen zu verarbeiten, bevor wir alle übrigen angehen. Isolation macht den Schmerz »witzig«.

Realität

Es hat einen Grund, warum ich hier kurz »Witze erkläre«. Ich möchte Ihnen gegenüber gewissermaßen rechtfertigen, warum ich über einen bestimmten, äußerst absurden Sachverhalt keine Witze mehr zu machen weiß.

Dieses Jahr wurden auch in Wien (wie in anderen Städten und Ländern, die Merkels Welteinladung unterstützen) Beton-Poller um Weihnachtsmärkte gebaut. Man hält an der »weiterleben-wie-bisher«-Doktrin fest, hat aber zugleich das Problem, dass Tote keine Steuern zahlen und auch seltener zur Wahl gehen. Also stellt man auf, was in Deutschland liebevoll »Merkel-Lego« getauft wurde. Große Betonblöcke, die LKWs stoppen sollen.

Betonblöcke in Geschenkpapier
»Der LKW schiebt die Steine einfach zur Seite.« mdr.de

Mir ist noch nicht ganz klar, wie die Steinchen gegen Küchenmesser wie in Hamburg oder Maschinengewehre wie in Paris schützen sollen, aber ich bin ja auch nicht so klug wie ein Politiker.

Nun hat die Obrigkeit ein kleines Problem mit diesen Würfeln. Weihnachten ist das Fest der Liebe und Gemeinsamkeit. In Merkels Europa werden um die Weihnachtsmärkte graue Steine gestellt, jeder einzelne ein Mahnmal, erinnernd an Terror und Hass. (In Berlin haben sie sogar direkt am Brandenburger-Tor ein Dschihadisten-Mahnmal aufgestellt. Die Politiker in Berlin denken nicht so gut.) Die richtige Realität bestätigt, wovor die Falschen warnten.

Nicht witzig

Eigentlich wären diese Blöcke eine saubere Vorlage für Witze. Es ist alles da, was es für Humor braucht: Ein Schmerz (Angst vor Terror), der Widerspruch zwischen Anspruch und Realität (Fest der Liebe versus Importierter Hass), eine große Hilflosigkeit und hilflose Politiker, die uns weismachen wollen, sie hätten alles im Griff.

Betonblöcke in Geschenkpapier
Foto von Marcus Franz

Stellen Sie sich einmal vor, ein Witzemacher wollte eine direkte Verbindung zwischen den grauen Erinnerungszeichen des Terrors und Doof-Sprüchen wie »Wir kriegen jetzt plötzlich Menschen geschenkt« machen. Was würde so ein diabolischer Bösmensch tun? Ich habe eine wilde Idee: Er könnte in einer kalt-ironischen Aktion die Betonblöcke als Geschenke verpacken, mit niedlichem Geschenkpapier und Geschenkband.

Was würde das für einen Aufschrei geben! Instrumentalisierung! Populismus! Rächts, sowieso! – Einige aber würden auch lachen, es wäre ja wirklich witzig.

Nun, wir werden nicht darüber lachen können, jedenfalls nicht so, wie man über einen absichtsvollen Witz lacht. Der einfache Grund: Es wurde schon durchgeführt, nur mit vollem Ernst.

Der Wiener Arzt und ehemalige Abgeordnete Marcus Franz hat auf Twitter Fotos von verpackten Weihnachtsmarkt-Pollern in Wien gepostet. Der komische Witz wird mit vollem Ernst betrieben.

Die Sache bringt eigentlich alles mit, was es braucht, ein Witz genannt zu werden.

  1. Anderswo wurde hilflos versucht, die Betonpoller schmackhaft zu machen, indem man sie bunt anmalte, etwa rot und grün in Magdeburg. Dort ist es fast niedlich und lässt einen schmunzeln, aber erst die Verpackung in Geschenkpapier bringt die notwendige Übertreibung.
  2. Anders als die Aufhübschung mit bunten Farben, soll durch die »Verpackung« gezielt eine Verfremdung erreicht werden. Die Verfremdung aber – wie es sich für einen soliden Witz gehört! – lässt einen aufs Neue die Bedeutung des »verfremdeten« Gegenstandes überdenken.
  3. Die bunte Gestaltung, die Position und die schiere Größe ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. (Siehe Foto zu diesem Artikel!) Wenn die »Geschenke« einem auffallen, ist man gezwungen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, und mit der Politik, die sie notwendig machte.

Und dennoch, wir können keine Witze machen. Wir können es auch kaum persiflieren oder ins (noch) Absurde(re) ziehen. Wir können nicht bitter ironisch sagen, »haha, die Anti-Terror-Blöcke sind die Weihnachtsgeschenke unserer Politiker!«, wenn sie es selbst so dekorieren.

Nein. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem Politik ihr eigener Witz ist. Ich muss anerkennen, diese Runde geht »humoristisch« an Terror-Beton-Einwickler.

Uns fällt aber bestimmt etwas ein: Wie wäre es, wenn wir die »Geschenke« auch noch mit Lichterketten schmücken? Oder wir könnten installieren, dass die Blöcke auch noch Weihnachtsmelodien spielen! – Nein, pardon: »Jahresendmelodien« selbstverständlich.

Doch, bei allem bemühten Humor, vergessen wir nicht, dass diese Betonpoller vor allem für eine völlig verfehlte Politik stehen. Eine Politik, die uns Schmerzen und Tote bereitet. Und da möchte man an den Witz erinnern, wo der Arzt zum Mann sagt: »Wenn es weh tut, hören Sie doch auf damit!«

Weiterschreiben, Wegner!

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