Dushan-Wegner

02.11.2020

Gefährliche Nicht-Entscheidungen

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von Ira Huz
In Gegenden mit (politisch) starkem muslimischen Anteil wie Pakistan, Indonesien oder Berlin wird demonstriert, wegen Frankreich – doch es wird nicht (nur? überhaupt?) GEGEN die Terroristen protestiert, nein, es wird FÜR deren Anliegen demonstriert!
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Stellen wir uns einen Wanderer vor, dem ein Bach den Weg versperrt. Stellen wir uns eine alte, morsche Brücke vor, die über den Bach führt.

Der Wander überlegt bei sich: ›Ich könnte über die Brücke gehen, doch ich weiß nicht, ob sie mich trägt! Das morsche Holz könnte brechen, ich würde mich noch dran verletzten und am Ende ganz in den Bach fallen!‹

Der Wanderer betrachtet das Wasser, und er überlegt für sich: ›Ich könnte auch direkt durch den Bach waten! So weiß ich zwar, dass ich nass werde, doch zumindest droht mir nicht, durch die morsche Brücke zu brechen und ganz nass zu werden!‹

Noch während der Wanderer so grübelt, sieht er einen Hamster sich dem Bach nähern. Der Hamster sucht wohl nach Körnern. Der Hamster rutscht auf einem glatten Stein aus, und fällt ins Wasser. Der Wanderer erschrickt, und er will schnell den Hamster retten, doch bevor er nach dem ertrinkenden Tierlein greifen kann, schnellen fleischfressende Fische aus dem Wasser, ziehen das zappelnde Tier in die Tiefe und fressen es auf – das Hamsterblut wird schnell vom Bach weitergetragen, und es ist bald wieder ruhig, als hätte es diesen Hamster nie gegeben.

›Was tun?‹, denkt der Wanderer bei sich, ›soll ich es über die gefährliche Brücke wagen oder durch den gefährlichen Bach?‹

Der Wanderer ist ein Mann, der sich mit Entscheidungen schwer tut (auch diese Wanderung ist nicht seine freie Entscheidung, doch das ist wieder eine andere Geschichte), und also trifft er eine seltsame Nicht-Entscheidung!

›Bach wie Brücke haben ihre Gefahren, aber auch ihre Vorteile‹, sagt der Wanderer zu sich, ›ich werde also mit einem Bein durch den Bach gehen und mit einem Bein über die Brücke!‹

Wir Leser verlassen den erzählten Wanderer an dieser Stelle. Das stelle man sich nur vor! Ein Wanderer, der einen Bach durchqueren will, indem er mit einem Bein auf der Brücke humpelt und mit einem Bein durchs Wasser, fürwahr eine Absurdität – womit wir natürlich bei den Nachrichten des Tages wären.

Zur Weißglut

Halb verwundert und auch halb müde stellten wir die letzten Tage über fest: »Heute werden die Befürchtungen derer wahr, welche die Lügner mit den Presse- und Parlamentsausweisen als ›populistisch‹ und noch ganz anders diffamierten.« (aus dem Essay vom 31.10.2020: »Von Leugnern und Sofatätern«)

Was bis eben noch als unvorstellbar galt, etwa die Aufhebung der Bewegungsfreiheit in Demokratien, wird von Politik und Propaganda als »neues Normal« verkauft (amüsant bis kurios ist etwa die propagandistische Wortschöpfung »Alltagsmaske«).

Jedoch, der Dampf drückt aufs Ventil, man will wohl Druck ablassen. Zaghaft und zögerlich wird auch im Mainstream zugestanden – oder zumindest angedeutet – dass es ist, wie es ist.

Hinter der Bezahlschranke gegen arme Leser lesen wir etwa:

Es ist ein Krieg, der sich gegen Christen, Juden und Atheisten richtet, aber auch gegen jeden Muslim, der die Scharia nicht für das höchste Gesetz hält. (welt.de, 1.11.2020)

Konsequenterweise schwenken, viele Tote und viel zu viel Leid später, wieder einmal die »Guten und Globalen« auf die Linie ein, die sogenannte »Populisten« schon Jahre zuvor forderten (siehe etwa faz.net, 31.10.2020). Es wäre schon heute eine interessante Aufgabe für Historiker, die Zahlen zu schätzen, wie viele Tote man hätte vermeiden können, wenn das Offensichtliche nicht regelmäßig jahrelang von Ideologen als sogenannter »Populismus« bekämpft würde, bis dadurch das Problem so brennend wird, dass man doch noch auf die jeweils rationale Lösung einschwenkt.

Es ist Anfang November 2020. Die USA bereiten sich auf die anstehenden US-Wahlen vor, die »demokratisch« zu nennen mir sehr schwer fällt. Große US-Medien (nicht selten Teil global agierender Konzerne) fahren praktisch einen Medien-Blackout bezüglich der unter Korruptionsverdacht stehenden Biden-Famile (es gibt Ausnahmen, oft im Ausland, siehe etwa dailymail.co.uk, 2.11.2020) – während sie einen offenen Propagandakrieg gegen den »Mann des Volkes« Donald J. Trump führen. Geschäftsbesitzer in Washington und anderswo bereiten sich auf Straßenterror durch Antifa und andere den US-Democrats nahestehende Schlägerbanden als Reaktion auf das Wahlergebnis vor (siehe etwa foxnews.com, 2.11.2020). Es wird Gewalt geben, ob der greise Rassist Biden zum Sieger erklärt wird (dann werden Antifa-Schläger ihre Macht demonstrieren wollen), oder ob der Mann zum Sieger erklärt wird, der China die Stirn bot (was gewisse »gesponserte« Linke sehr ärgerte) und den Nahen Osten so nah an den Frieden brachte wie kein Präsident vor ihm (was israelhassende Linke und religiös motivierte Antisemiten natürlich zur Weißglut treibt).

Man rechnet damit

Das also sind die zwei großen Themen der »westlichen Welt« zu Anfang des Monats November 2020: Freiheit und Demokratie werden angegriffen von Terroristen, die sich teils auf ihre Religion berufen, und dazu von Terroristen, die gegen »Faschismus« zu kämpfen vorgeben – und beide fühlen sich zutiefst moralisch gerechtfertigt.

(Randnotiz: Das »öffentliche Einheits-Moralgefühl«, das heute »links« genannt wird, doch in Wahrheit eher eine von globalen Akteuren und fragwürdigen NGOs geformte post- bis antidemokratische Vulgärideologie darstellt, es hat mit einer Arbeiterbewegung so wenig zu tun wie Karl Marx mit Arbeit. Diese wenig ethische »neue linke Einheitsmoral« ist sich mit beiden Terrorgruppen, ›Islamischer Staat‹ wie Antifa, in Sache und Richtung einig – auch linke Moralisten würden gern jede Kritik am Islam verbieten und politisch Andersdenkende vernichten – nur in der konkreten Durchführung sind sie sich uneins.)

Die »2020er-Jahre« sind wie ein Bach, den der Westen zu überwinden hat. Im Westen zumindest fühlen wir uns von zwei Gefahrengruppen bedroht, das Virus, das von Fledermäusen, aus Laboren oder von ganz woanders herkam, und der sich »viral« ausbreitende, zur Gewalt bereite, politisch und/oder religiös motivierte Hass auf allgemein Andersdenkende und ganz besonders rechtsstaatlich-freiheitliche Demokraten.

(Aus der Perspektive Chinas etwa ist 2020 gar kein so besonderes Jahr, wenn man darüber nachdenkt. Die Probleme des Westens durch COVID-19 scheinen für China inzwischen ein größeres Thema zu sein als das Virus selbst. In China stellt man sich eher die Frage, welche der chinesischen Firmen, deren Impfstoffe bereits klinischen Tests unterzogen werden, wie viele Hundert Millionen Impfdosen herstellen und verkaufen werden; man rechnet damit, dass 2021 das Jahr des richtig großen Geldes durch Impfumsätze wird; siehe etwa bioworld.com, 13.8.2020; precisionvaccinations.com, »Ad5-nCoV SARS-CoV-2 Vaccine«; engl. Wikipedia »COVID-19 vaccine«. – Wie China das Problem des potentiell politischen und/oder religiösen Extremismus angeht, das wiederum wäre Stoff für eigene Erörterungen.)

Teils erschreckend naiv

Die 2020er sind für den Westen wie ein gefährlicher Bach, den es zu überwinden gilt. Es steht uns nicht zur Wahl, ob wir ihn durchqueren wollen – die Zeit und damit die Geschichte schreiten voran. (Als einzige Alternative zum Durchqueren des anstehenden Baches bleibt, seit Sokrates’ Zeiten schon, der aktive oder passive Suizid; und tatsächlich scheinen einige westliche »Intellektuelle« dieser Wahnidee anzuhängen; ich habe es vor drei Jahren »Suizidalismus« genannt.)

Bei allen politischen und gesellschaftlichen Implikationen, bei allen Vorahnungen einer »DDR 2.0« durch die ohne vorherige Parlamentsdebatte beschlossenen Lockdown-Maßnahmen (siehe Essay »Lockdown!«), so bleibt das Virus ein biologisch-mechanisches Problem. Weit problematischer bleibt jene Frage, für welche die westliche Debatte nicht nur keine Lösung hat, sondern schlicht zu dumm, ideologisch und primitiv ist, um das Problem selbst zu verstehen – wie den Terror und generell die »DNA des Denkens« verschiedener Welt- und Menschenbilder.

In diesen Tagen rufen diverse Politiker und politiknahe »Vordenker« (Mini-Notiz: »Zur Hölle mit den Vordenkern!« rief dagegen ich bereits 2016) dass man »endlich« die »Augen öffnen« müsse für die »Gefahr des Islamismus« und den »politischen Islam«. Ich verlinke sie hier nicht, denn ich halte sie zwar für teils erschreckend naiv (und ich frage mich, welche Nachrichten sie die vergangenen Jahrzehnte über konsumierten), doch ich gestehe einigen derer einen ehrlich guten Willen zu – wenn auch, wie bei jedem Menschen, einen guten Willen im Rahmen ihres Erkenntnisstandes – und dieser Erkenntnisstand müsste dringend geprüft werden, doch von wem?

»Vordenker« »denken« heute »vor«, dass man sich nach Jahrzehnten islamistischen Terrors heute mal damit beschäftigen sollte, oder auch mal mit dem »politischen Islam«. Dass nie angegeben wird, wo dieser implizite »unpolitische Islam« zu finden sei und welcher Prüfung aufs dauerhaft Unpolitische er standhielt, all die Vorwegnahme von Untersuchungsergebnissen, all das Implizierte aber Ungeprüfte wirkt auf mich wie ein Wanderer, der den Bach überquert, aber sich nicht entscheiden kann, ob er die Brücke nimmt oder durch den Bach schreitet, und also versucht er beides – und kracht dann samt Brücke ganz ins Wasser.

Ob wir nass werden wollen

Die öffentliche Debatte des Westens kann sich nicht entscheiden – der Westen fürchtet sich vor der Entscheidung. Man schreibt die Opfer ab. Man nimmt die Toten hin, wie Hamster, die in den Bach fielen, weil sie eben Pech hatten.

Stellt man sich den Problemen, der Antifa-Gewalt und der religiös motivierten Gewalt, und stellt man sich der Erforschung ihrer Mechanismen, ohne vorher das Ergebnis festzulegen?

In Gebieten mit (politisch) starkem muslimischen Bevölkerungsanteil wie Indonesien, Pakistan oder Berlin wird dieser Tage lautstark demonstriert – doch nicht etwa (nur) gegen die Mörder, sondern gegen die französische Regierung, welche sich aufrafft, die Freiheit des Westens gegen mörderischen religiösen Wahn zu verteidigen; siehe apnews.com, 1.11.2020; bild.de, 30.10.2020; @afpfr, 2.11.2020. Wenn ein Attentäter buchstäblich mit dem Koran im Rucksack (bbc.com, 31.10.2020) und dem Ruf »Allahu Akbar« in der Kehle eine »ungläubige« Mutter ersticht (deren letzte Worte waren: »sagt meinen Kindern, dass ich sie liebe«; theguardian.com, 29.10.2020), dann überschreitet es die Grenze von politisch korrekter Blödheit zur blanken Bösartigkeit, ernsthaft zu verkünden, dies habe nichts mit Religion zu tun.

Wir haben keine Wahl, als diesen Bach zu überqueren (sprich: die 2020er-Jahre zu überleben), und wir können uns aus gesellschaftspsychologischen Gründen nicht entscheiden, ob wir nass werden wollen (sprich: Terror und Tote hinnehmen) oder die gefährliche Brücke nehmen (sprich: nach den wahren Ursachen suchen, was sehr unangenehme Erkenntnise liefern könnte, bis hin zum metaphorischen »Einsturz« der Brücke), also versuchen wir ein wenig von beidem (etwas Terror hinnehmen, und nach Ursachen suchen, aber nur so, dass es nicht die Ideologie stört, die erst zu den Problemen führte). Unsere Untersuchungen werden scheitern, und wird werden umso heftiger ins Wasser klatschen (siehe dazu meinen Essay zu Frankreich und Macron: »Was will er tun, was er bislang nicht getan hat?«).

Wir werden sehr schnell sehr viel klüger und auch weiser werden müssen, wenn wir lebendig auf die andere Seite des Baches gelangen wollen. – »Wir« heißt hier: die Gesellschaft, die vom Einzelnen und seiner Familie gebildet wird. Und »müssen« heißt: Sonst werden wir ganz und mit dem Gesicht voran in den Bach fallen, wie der Wanderer, der sich nicht entscheiden konnte.

Ich sage: Entscheidet euch!

Und dann: Schützt euch und eure Familien vor denen, die sich nicht entscheiden können.

Weiterschreiben, Wegner!

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