Dushan-Wegner

29.03.2023

Der Schlag ins Gesicht

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Schluch Milch?
Faeser blubbert, es sei »Schlag ins Gesicht«, wenn russische Sportler auch Sport machen dürfen. Ich empfinde derzeit alles, was Leute wie Faeser sagen, als »Schlag ins Gesicht«. Einfach weil diese Leute so unglaubwürdig sind – egal was sie sagen.
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Liebe Leser, lassen Sie mich bitte in diesen schwierigen Zeiten einen mutigen Standpunkt vertreten: Krieg ist doof!

Ja, Krieg ist recht doof, und der Gründe dafür sind viele.

Ich weiß nicht, wie Sie es halten, bin ja ein Freund der Blumen, und Krieg ist schlecht für die Blumen, wenn Soldaten drübertrampeln und Panzer drüberrollen. (Insofern wundert es mich ein wenig, dass die Grünen so »Hurra, Krieg!« drauf sind – aber gut, die machen auch Wälder für den Naturschutz kaputt. Das ist Politik, und die versteht man nur, wenn man sonst eher wenig versteht.)

Es sind ja nicht nur die Blumen – es ist ja auch die Mode! Lang ist es her, dass dank Hugo Boss die deutsche Armee ein halbes Jahrzehnt lang jährlich als die bestangezogene der Welt galt. (Nur gegen Ende wurde man etwas nachlässig. Und was die Kinder im Krieg trugen, das ging mal gar nicht – ist aber halt nur meine persönliche Meinung.)

Als öffentlicher Vorturner des mehr oder weniger strukturierten Denkens empfinde ich es als eine der ärgerlichsten Begleiterscheinungen des Krieges, dass über Nacht die Propaganda der öffentlichen Debatten sehr eindeutige Vorgaben zu Gut und Böse macht.

Und das Gute ist natürlich immer absolut gut (oder es gilt zumindest plötzlich als unfein, über das Böse zu reden). Und das Böse ist natürlich immer absolut böse, ohne jegliche nachvollziehbare Motivation und von nichts als dämonischer Bosheit getrieben. Das erste Opfer des Krieges ist bekanntlich die Wahrheit, doch der Tod der intellektuellen Redlichkeit ist eine zuverlässige Komorbidität.

Aus solchen und ähnlichen Gründen – und auch weil Kriege oftmals aus erschreckend trivialen Anlässen beginnen und dann zu grausam unnötigem Leid führen – bin ich froh, wenn Menschen sich mutig und deutlich gegen den Krieg aussprechen. Wie ich zum Beispiel jüngst in der Kurzgeschichte »Karls Krieg«. Oder wie kürzlich Deutschlands kluge Innenministerin Nancy Faeser.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat sich dafür ausgesprochen, dass russische und belarussische Sportler wieder bei den Olympischen Spielen »international starten dürfen« (dw.com, 28.3.2023). Ob das auch für die Olympischen Spiele selbst gilt, ist wohl noch offen.

Wichtig sei, dass die russischen Sportler sich weiterhin strengen Doping-Tests unterziehen. Und dass sie »strikte Neutralität« wahren. Und dass sie nachweisen, »den Krieg nicht aktiv zu unterstützen«.

Nebenbei stellt sich wieder die Frage, wie man nachweist, etwas nicht getan zu haben? Was soll das Alibi für die Abwesenheit falscher Meinung sein? Und was ist etwa mit Russen, deren Familie im Donbass wohnt(e): Dürfen die auch keine Meinung haben? Ach ja, es wäre zu viel der Debatte. Sportler haben laufende und hüpfende Werbeflächen zu sein und ansonsten die Klappe zu halten.

Frau Faeser ist also, wie ich und einige meiner Nachbarn, gegen den Krieg. Aha.

Und sie ist auch dagegen, dass das IOC es russischen Sportlern erlaubt, wieder international mitzusporteln:

Die Entscheidung vom #IOC ist ein Schlag ins Gesicht aller ukrainischen Sportlerinnen und Sportler. Ich hätte mir gewünscht, dass die russischen und belarussischen Athleten weiter ausgeschlossen bleiben. Es gibt keinerlei Grund für eine Rückkehr Russlands in den Weltsport. (@nancyfaeser, 28.3.2023)

Der Tweet ging mir gegen den Strich, weit mehr als übliches Politikgeschwätz es ohnehin tut. – Warum eigentlich?

Zunächst wäre da natürlich die Reduzierung russischer Sportler auf ihre Propagandafunktion. Frau Faeser ist als Innenministerin eigentlich auch politisch für den Sport zuständig. In dieser Rolle sollte sie ja den Menschen im Sportler sehen. Doch offenbar ist sie natürlich zuallererst Funktionärin des deutschen Propagandastaates. Und so schafft sie einen merkwürdigen Spagat: Russische Sportler werden auf ihre Propagandafunktion reduziert, welche aber angeblich ein »Schlag ins Gesicht« aller »ukrainischen Sportlerinnen und Sportler« sei.

Man beachte die unfreiwillige Selbstoffenbarung der Propagandaabteilung des Innenministeriums: Die »russischen und belarussischen Athleten« werden nicht gegendert, die ukrainischen Sportler schon. Natürlich ist unironisches Gendern in fast allen Fällen ein weiterer Moralersatz der Unmoralischen, so hier auch. Und doch verrät es dazu eine bewusste oder unbewusste Abwertung einer Gruppe von Menschen.

Die Zeitspanne, in welcher ein Sportler seine Spitzenleistung erbringen kann, kann je nach Sportart schmerzhaft kurz sein. Du trainierst die besten Jahrzehnte deines Lebens lang auf ein Ziel hin. Aus politischen Gründen dem Sportler dann den Wettbewerb zu verbieten, ist brutal grausam. Das begreift die Politikerkaste nicht. Die schreibt Bücher ab und macht Karriere durch Intrigen in verkommenen Parteiställen. Diese Kaste weiß nicht, was es bedeuten könnte, über Jahrzehnte morgens um 4 Uhr zum Training aufzustehen, Geist und Körper weit jenseits der üblichen Belastungsgrenzen zu testen.

Nein, ich finde Kriege doof. Die Blümchen sterben unter den Stiefeln und unter den Panzerketten, und die Menschen, die sterben auch und ebenso.

Doch eine intellektuell verlotterte Politikerkaste, die muffige Wortsoße absondert und das »Moral« nennt, die mich bald den Glauben auch nur an die Möglichkeit von Anstand in der Mediendemokratie verlieren lässt, die finde ich auch etwas doof.

Was mich aber am meisten an jenem Tweet ärgerte, war vermutlich die Absenderin in ihrer konkreten Rolle in diesem konkreten Staat. Politiker, deren Moral und Leben mit unserer Moral und unserem Leben wenig gemeinsam haben, benutzen dieselben Worte wie ich, doch diese Worte klingen flach und falsch. Es wäre falsch, selbst wenn es richtig wäre.

Man könnte ja viele weitere Fragen stellen! Etwa, ob man jeden Staat vom Sport ausschließen will, der Angriffskriege vom Zaun bricht oder andere böse Dinge tut. Oder ob man generell eine Partei aus der Politik verbannen sollte, deren Politik immer mit erstaunlicher Putin-Nähe auffällt. Ach nein, das ist die Partei von Frau Faeser selbst und von Herrn Scholz.

Ja, ich bekenne mich heute offen dazu, so viel Mut muss sein: Ich finde Krieg doof. Und Politiker, deren Phrasen vor Unglaubwürdigkeit geradezu stinken, die finde ich auch ziemlich doof. Deren Geschwätz ist ein Schlag ins Gesicht jedes deutschen Bürgers, der noch überhaupt irgendetwas ernst nimmt.

Als politischer Essayist ist es ja meine Pflicht, regelmäßig »denen da oben« zu widersprechen, wenn sie Unsinn reden, wenn sie moralisch fehlgehen.

Dieses Widersprechen wird schwer bis unmöglich, wenn es »denen da oben« blank egal ist, wenn man ihnen widerspricht. Die reden Gülle, und sie wissen, dass wir wissen, dass sie Gülle reden, und sie wissen, dass es stinkt, und das ist ihnen auch egal.

Wenn die unsere Sprache ihrer Bedeutung berauben, entwickeln wir uns eben trotzig eine neue Sprache, mit denselben Worten, derselben Grammatik, aber mit neuer Kraft!

Die mögen uns die Hoffnung auf den gesunden Menschenverstand und auf eine baldige Genesung der deutschen Politik geraubt haben, das ist wahr. Doch unsere Sprache sollen sie uns nicht auch noch rauben.

Die letzten Tage drängt es mich, Geschichten zu schreiben – Sie haben es vielleicht bemerkt. Ich schrieb »Karls Krieg«, »Die zweite Genehmigung«,  »Toms täglicher Wahnsinn« und zuletzt »Unser rutschendes Haus«.

Wenn zwei plus zwei tatsächlich nicht mehr vier ergibt, braucht es wohl eine neue Mathematik. Politik und Propaganda entwerten mit ihrer Sprachsoße unsere Sprache. Und damit rauben sie auch mir meine Sprache. Ich schreibe, um die Hoheit über meine Worte wieder an mich zu reißen, mit jedem Text neu.

Weiterschreiben, Wegner!

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