Dushan-Wegner

13.11.2023

»An der Ferse aber kitzelt es jeden«

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Regierung verschenkt mehr Milliarden an Ukraine, doch deutsche Soldaten könnten frieren, weil Heizen teuer ist. Was sind das für Leute, die uns regieren? Und, womöglich dringendere Fragen: Was sind das für Bürger, die das mit sich machen lassen?
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Es gibt gute Nachrichten! Also gut für alle, die an den Waffenlieferungen an die Ukraine mitverdienen.

Der deutsche Staatsfunk meldet stolz: »Die Bundesregierung will die Militärhilfe für die Ukraine verdoppeln.« (tagesschau.de, 12.11.2023)

Doch das Leben ist ein Geben und Nehmen. So auch die deutsche Politik.

Aus der Abteilung Bumm und Peng erfahren wir am selben Tag: »Pistorius-Ministerium bettelt um Geld, damit Soldaten nicht frieren« (focus.de, 12.11.2023).

Die Heizkosten sind zu hoch!

Warum bloß sind die Energiekosten so hoch, dass man die Kasernen nicht mehr heizen kann? Ein unlösbares Rätsel!

Was sagt man als Bürger da noch?

Wer als Privatmensch dumm handelt und sich selbst aktiv Schaden zufügt, der kann vielleicht nicht so gut denken, oder war abgelenkt, betrunken.

Eine Regierung aber hat viele, viele Berater und kann alles doppelt und dreifach durchrechnen lassen. »Dummes« Handeln einer Regierung ist gerade im Informationszeitalter als Vorsatz zu deuten.

Die Dummheit der Regierung ist doch freiwillig und damit irgendwas zwischen Vorsatz und Böswilligkeit.

Doch warum tun die das?

Offensichtlich, weil sie »Sachzwängen« und »Interessenlagen« ausgesetzt sind, welche dem Wohl von Land und Volk abträglich sind.

Doch warum geben die diesen Interessen nach?

Unsere Achillessehne

Es klingt wie eine banale Frage – bis man versucht, eine Antwort zu finden auf die grundlegendere Frage: »Warum sind Menschen, wie sie sind?«

Keine Erklärung, aber doch eine Bebilderung finde ich im »Bericht für eine Akademie« von Franz Kafka.

Wir kennen ja die ersten Sätze: »Hohe Herren von der Akademie! Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffisches Vorleben einzureichen.«

Ein fiktiver Affe berichtet, wie er nach seiner Gefangennahme nach und nach zivilisiert wurde, bis er fast vollständig an der menschlichen Gesellschaft teilnehmen konnte.

Der Affe wird menschlich, während sein Dresseur zeitweilig den Verstand verliert und äffisch wird.

Ich will heute zwei oder drei Passagen aus diesem genialen Text zitieren (gratis online bei zeno.org).

Etwa die Mahnung des Affen an die »Hohen Herren« der nicht näher spezifizierten »Akademie«, aber natürlich auch an uns, die Leser, auch und gerade jetzt, hundert Jahre nach ihrer Niederschrift, und zwar: »Ihr Affentum, meine Herren, soferne Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den großen Achilles.«

Hierin steckt die Antwort auf die Frage, warum die Menschen so sind, wie sie sind!

Warum sind die Menschen nicht viel bessere Menschen?

Warum verscherbeln Politiker ihr Land und die Menschen, vielleicht für ein paar Redehonorare, für einen Posten im System, für ein paar tausend Silberlinge?

Die Politiker tun, was sie tun, und sie können es tun, weil unser Affentum die Achillessehne der Menschheit ist.

Vor großem Zuschauerkreis

Wie aber wird der Affe zum Menschen?

Wenn man dem Affen eine Menschenhose anziehen oder ihm gar – welch unvorstellbare Grausamkeit! – den Schwanz abschneiden sollte, so ist er dadurch noch nicht ein Mensch. (Ebensowenig wie ein Mann zur Frau wird, wenn er sich ein Kleid anzieht oder gar … aber lassen wir das.)

Es ist das Verhalten, das den Menschen zu einem solchen macht, sagt Kafka.

Kafka beschreibt den Moment der Menschwerdung des gefangenen Affen aufs Köstlichste; und ich muss es in Gänze zitieren:

»Was für ein Sieg dann allerdings für ihn (gemeint: der Dresseur) wie für mich, als ich eines Abends vor großem Zuschauerkreis – vielleicht war ein Fest, ein Grammophon spielte, ein Offizier erging sich zwischen den Leuten – als ich an diesem Abend, gerade unbeachtet, eine vor meinem Käfig versehentlich stehengelassene Schnapsflasche ergriff, unter steigender Aufmerksamkeit der Gesellschaft sie schulgerecht entkorkte, an den Mund setzte und ohne Zögern, ohne Mundverziehen, als Trinker vom Fach, mit rund gewälzten Augen, schwappender Kehle, wirklich und wahrhaftig leer trank; nicht mehr als Verzweifelter, sondern als Künstler die Flasche hinwarf; zwar vergaß den Bauch zu streichen; dafür aber, weil ich nicht anders konnte, weil es mich drängte, weil mir die Sinne rauschten, kurz und gut ›Hallo!‹, ausrief, in Menschenlaut ausbrach, mit diesem Ruf in die Menschengemeinschaft sprang und ihr Echo: ›Hört nur, er spricht!‹, wie einen Kuss auf meinem ganzen schweißtriefenden Körper fühlte.«

Der Mensch, so Kafka, ist ein Affe, der gelernt hat, stilsicher aus der Schnapsflasche zu trinken und »Hallo« zu rülpsen.

Das ist aber auch alles.

Und viel mehr braucht es ja auch nicht, um unsere Lage zu erklären.

Keines Menschen Urteil

Doch es ist nur eine Metapher, wenn auch eine große. Unsere Politiker sind keine Affen, die bloß zivilisiert aus der Schnapsflasche trinken können.

Kein Affe würde seinem eigenen Stamm das antun, was die Regierung dem Volk antut.

Die Politik nutzt unser Affentum aus.

Unsere Verführbarkeit.

Unsere Ängstlichkeit.

Unseren Hunger vor dem Essen – und unsere Trägheit danach.

Ich will hier aber überhaupt kein Urteil sprechen – zumindest nicht über uns.

Ein Urteil zu sprechen, das bedeutet ja, auch sich selbst zum Beurteiltwerden aufzudrängen. Dieser rülpsende Affe will das gerade nicht.

Ich hoffe und arbeite darauf hin, mich eines Tages für mein eigenes Schlusswort dem Schluss des Berichts an eine Akademie anschließen zu können.

Und der lautet so: »Im Ganzen habe ich jedenfalls erreicht, was ich erreichen wollte. Man sage nicht, es wäre der Mühe nicht wert gewesen. Im Übrigen will ich keines Menschen Urteil, ich will nur Kenntnisse verbreiten, ich berichte nur, auch Ihnen, hohe Herren von der Akademie, habe ich nur berichtet.«

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