Dushan-Wegner

13.04.2024

Markus, Martin und Julia bilden eine Zelle

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Hübsch, hier, oder?«
Drei Jugendliche, nennen wir sie Markus, Martin und Julia, chatten über ihre Terror-Phantasien. Medien machen »jugendliche Terrorzelle« daraus. Die Frage ist doch: Was ist der Kontext, wenn pubertierende Jugendliche davon träumen, Terroristen zu werden?
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Ich lese diese Schlagzeile: »Jugendliche Terrorzelle aufgedeckt« (focus.de, 12.4.2024). Es seien wohl »Anschläge auf Polizei und Kirchen geplant« gewesen.

Was ist eigentlich eine »jugendliche Terrorzelle«? Durchlaufen Terrorzellen verschiedene Stadien. Beginnt die Terrorzelle als Säugling, wird zum Kind und so weiter?

Gemeint ist hier natürlich, dass sich Jugendliche zu einer islamistischen Terrorzelle zusammenfanden. Dass sie Polizei und Kirchen attackieren wollten.

Im Artikel erfahren wir über die drei Täter nur, dass sie 15 beziehungsweise 16 Jahre alt waren. Die Namen erfahren wir nicht, also nennen wir sie hier doch einfach Markus, Martin und Julia. Nachnamen: Müller, Schall und Rauch.

(Sollten diese Namen auf irgendeiner Ebene komplett falsch sein, oder sollten andere Angaben in diesem Essay eher gegenteilrichtig sein, oder unangemessen banal beschrieben, oder … ihr wisst schon, dann liegt es nun an euch, den Lesern, das entsprechend ein- und umzusetzen. Deutschland ändert sich, die Zeiten ändern sich, und solche intellektuellen Leistungen gehören zum neuen Erwachsensein.)

Zurück zum Artikel. Wir lesen weiter. Wir wollen ja informierte Bürger sein. Und etwas fällt an der Beschreibung auf – etwas ist schräg.

Terrorpläne besprochen?

Erst heißt es über Markus, Martin und Julia: »Sie sollen sich laut Ermittlern zu einem Verbrechen – Mord und Totschlag – in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bereit erklärt haben.«

Doch gleich darauf wird erklärt, was das meint: »Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Jugendlichen hätten sich in einer Chatgruppe über ihre Terrorpläne ausgetauscht. Einen konkreten Anschlagsplan mit Zeit und Ort soll es demnach noch nicht gegeben haben.«

Immerhin diskutierte man mögliche Orte und Ziele. Dortmund, Düsseldorf und Köln sollen genannt worden sein. Als Anschlagswaffen immerhin Messer oder Molotowcocktails. Als Opfer diskutierte man Menschen in Kirchen und Polizisten in Polizeiwachen.

Hier aber greift unsere Lebenserfahrung.

Oder Phantasien geteilt?

Was tatsächlich passierte, ist wohl: Markus, Martin und Julia sind einfach ein paar Jugendliche, die im Online-Chat Unsinn redeten, Phantasien auslebten.

Wer hat denn als Jugendlicher keinen Unsinn geredet? Wer hatte als Jugendlicher denn keinen überheblichen Traum? Manche träumen davon, Rockstars zu sein. Manche wollen Unternehmer sein, berühmte Anwälte oder ebensolche Schriftsteller. Manche träumen von der Familie mit Enkeln und Urenkeln. Andere erst mal von der Weltumrundung allein auf dem Segelschiff. Und natürlich entwickeln Jugendliche, ihren Hormonen geschuldet, auch noch ganz andere Träume, klar.

Und solche Phantasien diskutieren die Jugendlichen dann natürlich. Früher auf dem Pausenhof oder wo auch immer sie sich außerhalb der Schule trafen. Und heute diskutieren Jugendliche ihre Phantasien eben im digitalen Chat – der von den Geheimdiensten mitgelesen werden kann.

Epigonen der Stars

Allerdings: Nicht jeder, der als Jugendlicher davon träumt, Rockstar zu sein, wird es auch. Ja, die wenigsten davon machen sich auch nur die Mühe, ein Instrument zu lernen.

Jugendliche eifern dem nach, den sie bewundern. (Und zu viele Kinder heute bewundern »Influencer«, diese populären Figuren in den Sozialen Medien – also träumen sie davon, selbst welche zu werden.)

Die Träume der Jugendlichen sind praktisch nie wirklich »Pläne«. Die Träume der Jugendlichen sind vor allem Zeichen dafür, was in ihrer jeweiligen kulturellen Umgebung als erstrebenswertes Ideal gilt.

Den Behörden und Medien des Propagandastaates gelingt es mit der Meldung von der »jugendlichen Terrorzelle«, zu übertreiben und zur gleichen Zeit zu verharmlosen.

Das größere Problem

Mit Verlaub: Wenn Markus, Martin und Julia im Internet-Chat irgendeinen Unsinn erzählen, dann ist das keine »Terrorzelle«. Unter »Terrorzelle« stelle ich mir etwas anderes vor als drei chattende Jugendliche mit zwei Messern daheim.

Ja, es ist offensichtlich: Das viel größere Problem als die gechatteten Phantasien von Markus, Martin und Julia ist die Kultur, die als größten Traum in die Herzen und Hirne von Jugendlichen einpflanzt, Molotowcocktails in christliche Kirchen zu werfen und Christen zu töten.

Doch immerhin können wir in diesem Punkt sichere Entwarnung geben: Der Kontext, aus dem heraus Markus, Martin und Julia auf die Idee kamen, deutsche Polizeiwachen zu attackieren und weitere Anschläge auf Weihnachtsmärkte zu planen, dieser Kontext wächst gerade nicht (sonst würde die 20-Uhr-Propaganda im TV bestimmt darauf hinweisen).

Und überhaupt ist alles ein Missverständnis – allerhöchstens –, und die Behörden haben alles im Griff, denn der Staat macht keine Fehler.

Freunde, ich danke für eure erwachsene Aufmerksamkeit.

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