Dies ist der vierte Essay meiner »Zwischenstandswoche«. Am 25. April 2024 werde ich mein fünftes Lebensjahrzehnt abschließen, und in dieser Woche lege ich als Zwischenstand sieben Lektionen vor, die ich bislang gelernt habe. Wirkung und Ursache. Dann über den Affen und Philosophen in jedem von uns und darüber, dass die Welt apfelt.
Für meine vierte »Lektion« nun lasst mich einleitend ein uraltes Rätsel adaptieren. Es geht um zwei Türen. Hinter einer Tür findet sich das Glück und hinter der anderen das Unglück. Vor jeder der beiden Türen steht ein Wächter.
Die Türen sind nicht beschildert, doch die Wächter wissen, was hinter den Türen ist. Und man kann die beiden Wächter fragen!
Ein Problemchen nur: Einer der beiden Wächter lügt immer, der andere sagt immer die Wahrheit – doch man weiß nicht, welcher welcher ist!
Wie findest du heraus, hinter welcher Tür das Glück ist?
Es ist ein logisches Rätsel. Falls ihr die Lösung noch nicht kennt, sei euch versichert, dass die Frage nach der Tür mit dem Glück erschreckend einfach ist, wenn man sie einmal weiß – sehr ähnlich wie das Glück selbst! Ich sage euch die Lösung gleich, doch zunächst die vierte meiner Lektionen.
Die Vierte
Die vielleicht wichtigste meiner Lektionen bislang ist: Nicht unbedingt, was sich jetzt gut anfühlt, wird dich zuletzt glücklich machen, sondern ob du zuletzt dir selbst ehrlich und mit Gewissheit sagen kannst, dass du getan hast, was richtig war.
»Moment!«, höre ich euch sagen, »Da machst du es dir einfach, Dushan! Du verschiebst die theoretische Last von ›glücklich‹ auf ›richtig‹.«
»Guter Einwand«, antworte ich euch dankend. Und selbstredend wäre es merkwürdig, wenn ich in den sieben wichtigsten Lektionen, die ich im Leben lernte, nicht die relevanten Strukturen erwähnte.
»Eingeweihte« Leser dürfen diesen Absatz gern überspringen, in dem ich die Theorie der »Relevanten Strukturen« ultrakurz zusammenfasse. Es geht um die Frage, was Menschen meinen, wenn sie »gut« oder »böse« sagen. Und meine so simple wie praktische Theorie ist: Jeder Mensch ist in Strukturen eingebettet, die sich für ihn »relevant« anfühlen, etwa Familie, Land oder auch Religion.
Manche Strukturen erscheinen uns aus anderen Gründen relevant, etwa Kinder (da ist uns die Relevanz via Kindchenschema sogar angeboren) oder eine Ideologie. Eine »relevante Struktur« zu schwächen fühlt sich für uns im ethischen Sinn »böse« an, eine »relevante Struktur« zu stärken, fühlt sich dafür »gut« an.
Die häufigste Lüge
Die häufigste Lüge, die den Menschen heute erzählt wird, besteht aus Variationen der einen Grundlüge: dass du glücklich würdest, wenn du tust, was sich gut anfühlt, was stressfrei und problemlos ist.
Wer sich mit Menschen unterhält, die ihr Leben rückblickend als »glücklich« und »gelungen« bezeichnen, wird nicht hören, dass es frei von Stress und Schwierigkeiten war.
Im Gegenteil!
Wir hören von Menschen, die durch eine der Höllen gingen, die Menschen einander bereiten, und die gerade dadurch motiviert waren, mit aller Kraft dafür zu kämpfen, was ihnen wirklich wichtig wurde. Diese Menschen bewerten ihr Leben oft genug als glücklich.
Und dann hören wir von Rockstars und Kindern reicher Eltern, denen aller Komfort zur Verfügung gestellt wird und die sich doch in Drogen oder gar den Suizid flüchten, weil ihnen ihre Existenz so unerträglich ist.
Jedes dieser Ereignisse
Nicht, dass wir uns missverstehen: Ein glückliches Leben muss keinesfalls miserabel sein! Wenn du mit deinen Kindern spielst, oder wenn du mit lieben Freunden derart redest, dass ihr danach über euch selbst dazugelernt habt, oder wenn du Liebe machst mit dem Menschen, den du liebst, sodass eure Liebe dadurch stärker wird, oder wenn du schlicht ein Kunstwerk genießt, dann kann jedes dieser Ereignisse denkbar schön oder geradezu euphorisierend sein – und zugleich kann es zu einem Leben beitragen, das du zuletzt ein glückliches Leben nennen wirst.
Das aber ist die vierte der Lektionen meiner Zwischenstandswoche: Ein glückliches Leben kann voll angenehmer Erlebnisse oder reich an Entbehrung und Mühe sein. Glück hängt zuletzt nicht davon ab, wie viel Spaß alles machte. Du wirst dein Leben zuletzt ein glückliches und lebenswertes nennen, wenn du deine Zeit genutzt hast, um stark zu machen, was dir wichtig ist.
So einfach
Die Lösung des Rätsels mit den zwei Wächtern lautet übrigens: Frage einen beliebigen der beiden Wächter, welche Tür der andere Wächter als die Tür zum Glück bezeichnen würde – und dann wähle die andere als die gezeigte Tür.
(Erklärung: Der Wächter, der immer die Wahrheit sagt, wird korrekt sagen, dass der Wächter, der immer lügt, auf die Tür zum Unglück zeigen wird. Und der Wächter, der immer lügt, wird behaupten, dass der Wahrheit-Wächter immer die auf Unglück-Tür zeigen wird. Deshalb wählst du immer die andere Tür. So einfach!)