Dushan-Wegner

26.04.2024

Menschen schaden sich

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Ist es so recht?«
Auch das habe ich über uns Menschen gelernt: Als wäre es nicht schwer genug, sich etwas Glück zu erarbeiten, sind wir erschreckend effizient darin, uns selbst unglücklich zu machen.
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Dies ist der fünfte Essay meiner »Zwischenstandswoche«. Ich schrieb über Wirkung und Ursache, über Affen und Philosophen, darüber, dass die Welt apfelt und zuletzt vom Glück.

Ja, ich schrieb zuletzt vom Glück und von der Lektion, die ich bezüglich des Glücks gelernt habe. Und nun will ich von dessen Gegenteil schreiben: vom Unglück.

Wenn ich vom Glück rede, dann meine ich jene spätere Zufriedenheit, mit welcher ein Mensch auf sein Leben zurückblickt und es für gut befindet. Und wenn ich vom Unglück rede, meine ich eben den Fall, in dem ein Mensch mit seinem Leben rückblickend unzufrieden ist.

Eine der wichtigsten Lektionen meiner fünf bisherigen Lebensjahrzehnte klingt zynisch, erscheint mir aber auf gewisse Weise lebensnotwendig. Und diese fünfte Lektion lautet: Unterschätze nicht die Fähigkeit und den Willen der Menschen, sich selbst unglücklich zu machen.

Ein Mensch wird sein Leben zuletzt als glücklich und gelungen bezeichnen, wenn er die Strukturen gestützt hat, die ihm wirklich wichtig waren. (Zu diesen »relevanten Strukturen« gehörst selbstverständlich auch du selbst, aber gewiss nicht ausschließlich und sicher nicht abgetrennt von deinen übrigen relevanten Strukturen.)

Warum nicht glücklich?

Wenn jeder Mensch doch zumindest ahnt, was ihn sein Leben zuletzt als »glücklich« und »gelungen« bewerten lassen wird – warum strebt er nicht genau dies mit all seiner Kraft an?

Ja, tatsächlich beobachten wir jeden Tag – und oft genug an uns selbst! –, wie Menschen sich selbst unglücklich machen. Hilflos und staunend schauen wir zu, wie Menschen ihre Chance auf persönliches Glück selbst immer schmaler werden lassen.

In der Schule wurde uns Mathe und Physik beigebracht, über so etwas Gefühliges wie »Glück« reden nüchterne Lehrer nicht. In manchen Schulen rund um die Welt wird eine regionale Ideologie gelehrt, ob Islam, LGBTQ oder Kommunismus, doch »Glück« als Schulfach oder auch nur Thema ist eher selten.

Eltern lassen ihre Kinder schon lange nicht mehr die Bibel lesen, und so verpassen die Kinder zum Beispiel die »Sprüche«. Im Westen stoßen Menschen über die Esoterik-Schiene immerhin auf asiatische Weisheitslehren, sind dann jedoch meist in einem Alter, in dem sie sich wünschen, diese Lehren vom Glück Jahrzehnte früher gelernt zu haben. (Was nützt das Backrezept, das man erst liest, nachdem man den Kuchen mit zufälligen Zutaten »irgendwie« gebacken hat?)

Sklaven der »Rauschdealer«

Weil den Menschen schlicht die Bildung für die »Kunst des Glücks« fehlt, suchen sie nach einem Ersatz fürs Glück. Das Marketing der Konsumkonzerne will die Menschen davon überzeugen, dass diese oder jene Produkte, in der Gegenwart konsumiert, das »Glück zuletzt« ersetzen.

Ein Narzisst, der das letzte Glück für den Rausch des Moments hingibt, ist leichter zu kontrollieren, leichter zu steuern und zuletzt leichter zu versklaven, denn er braucht täglich neuen Nachschub, und wer ihm diesen Nachschub liefert, wird ihm zum Herrn und Besitzer. Wer aber die Menschen dazu anstiftet, sich von der Sklaverei des Augenblicks zu befreien und stattdessen das letzte Glück anzustreben, ja, darin sogar ihre Freude des Augenblicks zu finden, der schenkt ihnen wahre Freiheit – und verzichtet auf die »Profitgarantie« durch unfreie Menschen.

Ach, der Gründe, warum Menschen sich selbst das Glück verbauen, sind so viele!

Jeder seines Unglücks Schmied

Manche Menschen hängen ihr Denken und Fühlen an der Vergangenheit auf und verbauen sich so das mögliche Glück der Zukunft. Manche Menschen überzeugen sich täglich selbst von der Lüge, dass Glück mit Komfort gleichzusetzen sei, mit der Abwesenheit von Stress. Manche überheben sich mit Anzahl und Umfang der ihnen relevanten Strukturen und werden unglücklich, weil sie keine einzige von ihnen zufriedenstellend stärken konnten.

Das aber ist die fünfte Lektion, die ich gelernt habe: Menschen verbauen sich das Glück, und viel zu oft schauen wir hilflos zu. Und zur praktischen Weisheit gehört, dies als vorerst unabänderliche Eigenschaft der Welt hinzunehmen.

Hilfloser Zorn – und Gelassenheit

Deine Empathie mit deinen Mitmenschen wird in Hilflosigkeit münden, wenn du siehst, wie Menschen sich ihr eigenes Glück kaputtmachen, und sie wird bisweilen in Zorn übergehen. Das aber wird der Moment sein, an dem du Gelassenheit entwickeln solltest.

Das Gelassenheitsgebet in seiner deutschen Variante lautet bekanntlich: »Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.«

Zu den Dingen, die wir »nicht ändern« können, also »hinzunehmen« lernen sollten, gehört die Tatsache, dass Menschen sich ihr Glück selbst verbauen.

Und zu den Dingen, die wir ändern können, an denen wir also auch arbeiten sollten, gehört das eigene »Glück zuletzt«.

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