Dushan-Wegner

21.05.2022

Angst

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten
Propagandisten schüren Angst vorm Harmlosen – und verharmlosen an anderer Stelle echte Gefahr. Ich will mich davon befreien, auf Angst immer sofort zu reagieren, im blinden Reflex. Wenn ich Angst spüre, will ich selbst entscheiden, ob und wie ich handle!
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Dies ist ein Vorab-Kapitel aus meinem nächsten Buch. Im Video bei YouTube zu diesem Kapitel korrigiere ich diesen Abschnitt »zum Zuschauen«. Es ist ein Einblick in meine Schreibarbeit. Bin sehr auf Feedback gespannt!

»The only thing we have to fear is fear itself«, sagte Franklin D. Roosevelt in der Ansprache zu seinem Amtsantritt, auf Deutsch etwa: »Die einzige Sache, die wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.«

Er sagte es im Jahr 1933, und er lag leider nicht ganz richtig damit. Es würden einige Dinge auf die Welt zukommen, vor denen sich zu fürchten mehr als berechtigt war.

Angst und Furcht sind tief in unserer Natur verankert, und mit »unserer« meine ich nicht nur die Menschen, sondern auch so manche andere Tierart. Wenn eine Eigenschaft aber tief in unserer Natur verankert ist, dann ist diese meist überlebenswichtig, für den Einzelnen wie für die Art. Ohne Sex und kalorienreiche Nahrung würden wir aussterben – ohne Angst auch.

Wenn uns zu kalt oder zu warm ist, warnt uns der Körper davor, dass die aktuelle Temperatur nicht optimal für unsere körperliche Gesundheit ist.

Angst warnt uns davor, dass die aktuelle Situation unser Leben gefährden oder ganz wesentlich beschädigen könnte.

Angst ist umso stärker, umso wahrscheinlicher eine Situation die Weitergabe der eigenen Gene verhindern könnte. Der Mensch fürchtet um sein Leben, bis er seine Gene vervielfältigt hat, dann fürchtet er mindestens genauso stark um das Leben seiner Kinder.

Der Mensch fühlt eine Gefahr und Angst ergreift ihn. Das Herz pumpt schneller. Die Pupillen lassen mehr Licht herein. Die Muskeln werden zum Angriff vorbereitet. Was mit Verdauung zu tun hat, wird heruntergefahren. Manchmal wird das, was schon im Magen ist, so schnell wie möglich wieder entsorgt. Die ganze Aufmerksamkeit ist auf den Auslöser der Gefahr gerichtet. Mitmenschen können unsere Angst an unserem Schweiß riechen, und auch sie entwickeln Angst-Symptome, selbst wenn sie nicht benennen können, wovor sie Angst haben.

Wenn sich ein Charismatiker anbietet, der uns in die Schlacht führt, werden wir ihm gern folgen. In der Angst sinkt sogar unser Anspruch an das Charisma unserer Häuptlinge. Hauptsache, jemand koordiniert uns im Gegenangriff, wir haben ja solche Angst.

Ein Politiker mit schwachem Charisma und noch schwächerem Gewissen kann Angst schüren, um seinem Machtanspruch etwas Legitimation zu verleihen.

Aus praktischen Gründen bietet sich die Angst vor einer unsichtbaren Gefahr an, welche von der Propaganda nach Bedarf ausgelöst und in der Intensität variiert werden kann.

Eine solche »unsichtbare Gefahr« können etwa ketzerische Gedanken sein. Je nach Kultur könnten Verstöße gegen eine etablierte Ideologie oder die öffentliche Moral angstauslösend wirken (Stichwort »Moralpanik«). Als »unsichtbare Gefahr« könnten auch illegale Bündnisse oder gewiefte Internet-Verbrecher dienen. Als unsichtbare Gefahr können natürlich auch Viren und andere Krankheitserreger aufgebaut werden. Hauptsache, es herrscht steuerbare Angst.

Angst schiebt sich als Motivator des Menschen nach ganz vorne, und das ist grundsätzlich erstmal sinnvoll so. Angst soll die Verteidigung der blanken Existenz anregen, denn wenn die Existenz aufhört, haben sich alle übrigen Probleme ohnehin erledigt.

Wenn es einem Charismatiker gelingt, Angst vor einer Gefahr zu wecken, die den gesamten Stamm bedroht, dann kann dieser Motivator stärker wirken als die Angst ums eigene Leben. Wir kennen ja die Bilder von Soldaten, die freiwillig oder sogar in guter Stimmung in den Krieg ziehen, um sich für die Verteidigung ihrer Heimat zu opfern.

Wenn Angst aktiviert wird, kann sie unser stärkster Antrieb sein. Und doch sollten wir Menschen bewusste Lebewesen bleiben, die sich selbst befehlen können, ob und wie sie auf Angst reagieren  – es braucht aber etwas Übung.

Wir lesen in den Geschichtsbüchern von Heiligen und Helden, die ihre Angst zu überwinden verstanden, um höheren Werte zu folgen.

Wir lesen von Heiligen, die ohne Zeichen der Angst auf den Scheiterhaufen stiegen. Wir lesen von Helden und wir gucken ausgedachte Actionfilme, in denen ein Held es mit gefährlichen Schurken aufnimmt, und anders als uns lähmt die Angst ihn nicht, sondern lässt ihn in Richtung der Gefahr laufen.

Haben Heilige und Helden denn keine Angst?

Doch, haben sie.

Und wie!

Es wäre nicht gesund, in bedrohlichen Situationen keine Angst zu empfinden. Angst ist wichtig, lebenswichtig. Keine Angst zu empfinden, ist schlicht gefährlich, für den Betroffenen wie auch für seine Umgebung.

Helden werden nicht dadurch zu Helden, dass sie keine Angst empfinden.

Helden werden zu Helden, indem sie ihre Angst anerkennen, aber selbst frei beschließen, welche Handlungen sie aus Angst und Gefahr ableiten.

Helden und Heilige sind gewissermaßen wie ein Mensch in Meditation, der seine Gedanken und Ideen durchaus anerkennt, sie dann aber wieder loslässt.

Es hat seinen Grund und es ist sehr richtig, warum Helden in Filmen, bevor sie sich der Gefahr stellen, für einen Moment in sich gehen, tief durchatmen, ihre Gedanken sammeln, vielleicht sogar für einige Sekunden die Augen verschließen.

Ja, der Mensch kann sich der ersten, automatischen Reaktion auf die Angst verweigern, doch es braucht Willen, Kraft und wohl auch etwas Übung.

Ich erkenne meine Angst an, doch ich lasse mir nicht von der Angst die unmittelbar anschließende Handlung diktieren.

Ja, der Mensch ist in der Lage, unabhängig von seinem ersten, unmittelbaren Angst-Impuls zu handeln – oder eben nicht zu handeln.

Manipulatoren und zynische Propagandisten aller Zeiten haben seit jeher mit der menschlichen Angst operiert. Wie Moral und Meinungen ist auch die Angst durch äußere Einflüsse durchaus »einstellbar«.

Propagandisten schüren Angst vorm Harmlosen – und verharmlosen an anderer Stelle echte Gefahr. Mit der verordneten Angstfreiheit wird genauso Schindluder getrieben wie mit der künstlich geschürten Angst-durch-Propaganda.

Nein, ich will meine Angst nicht ganz loslassen. Die Angst soll mir aber Diener und Werkzeug sein, nicht mein Herr, nicht der Stiefel in meinem Nacken.

Wenn Angst mich auf eine Gefahr hinweist, dann will ich selbst entscheiden, ob die Warnung wirklich berechtigt ist. Ich will es selbst sein, der aktiv und bewusst bestimmt, ob und wie ich überhaupt handeln will.

Ich will mich darin üben, meine Sofortreaktionen auf die Angst loszulassen. Die Angst in großen Dingen, aber auch die Angst in  persönlicher Angelegenheit.

Wer Mensch ist, wird früher oder später etwas erleben oder hören, das ihm Angst bereitet, auch und gerade ganz privat. Vielleicht hat es mit Geld zu tun. Vielleicht ist es eine Aussage des Arztes. Vielleicht sind es Berichte aus der Nachbarschaft.

Ich will mich aber davon befreien, auf Angst immer sofort zu reagieren, im blinden Reflex. Wenn ich Angst spüre, will ich selbst entscheiden, ob und wie ich handle.

»Erst mal durchatmen«, so sagt man. Durchatmen ist wichtig, ein aktiv eingeschobener Moment zwischen Auslöser und Reaktion, und in diesem Moment ordne ich meine Gedanken. Ich erobere die Macht über meine Angst und damit über mich selbst zurück.

Nein, Angst ist nicht das einzige, wovor wir Angst haben müssen. Doch unbedachte, reflexhafte und damit zu oft quasi fremdgesteuerte Reaktionen auf Angst, die wiederum sind tatsächlich gefährlich.

Ich will sagen: »Hallo, du meine Angst, wovor willst du mich warnen? Ah, ich sehe es. Danke für den Hinweis. Ich werde nun selbst entscheiden, ob und wie ich auf deinen Hinweis hin handle. Meine Angst, du hast deinen Dienst getan, und nun lasse ich dich los.«

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