Dushan-Wegner

18.09.2021

Argumente und Ziegelsteine

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Alex Vasey
Soll man noch argumentieren, kluge Logik und wichtige Fakten präsentieren, wenn die große Debatte sich nicht um Logik oder Fakten schert?
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Wenn Sie eine leichte Vogelfeder und eine schwere Stahlkugel gleichzeitig fallen lassen, welches von den beiden Objekten schlägt zuerst auf den Boden auf? – Die Stahlkugel natürlich! Die Kugel hat längst eine Delle gehauen, während die Feder noch sanft durch die Luft schaukelt.

Wie wäre es aber mit zwei Kugeln, von denen die eine aus leichtem Plastik besteht, die andere aber wieder aus schwerem Stahl, womit sie beide denselben Luftwiderstand erfahren? Ach, nehmen wir noch an, dass die Kugeln in einem Vakuum fallengelassen werden, beide ganz ohne Luftwiderstand. Welche Kugel fällt dann schneller? Oder fallen sie beide gleich schnell? Immerhin müssten doch bei unterschiedlichem Gewicht auf beide Kugeln unterschiedliche Kräfte wirken, oder?


Nachtrag 21.9.2021 – Ein sachkundiger Leser korrigiert diese Frage nach den »unterschiedlichen« Kräften:

Vom guten Newton:

Kraft F (Feder- wirkt auf die Feder) = G (Gravitationskonstante) * m (Erde) * m (Feder) / r² ( Abstand der beiden Massepunkte)

und

Kraft (Kugel- wirkt auf die Kugel ) = G * m(Erde) * m (Kugel) / r²

Da lässt sich erkennen, dass die Kraft F(Kugel) größer als die Kraft F(Feder) ist – also ungleich!

Aber nun: Die Beschleunigung einer Masse ist

a = F * m

und dann also →

a (m2) = G * m1 * m2 / (r² * m2)

und damit kürzt sich in unserem Fall (bei m1 = Masse der Erde) der Term m2 (also Masse der Feder oder Masse der Kugel) einfach heraus.

Dies bedeutet, daß bei beiden Massen die Beschleunigung gleich und damit die jeweils erreichte (Fall) Geschwindigkeit gleich ist. Das Endergebnis war doch richtig. – So, das alles nun also aus der Rubrik »Das mußte doch mal gesagt werden«.


Nun, wenn Sie meinen, dass die schwerere Kugel schneller fällt, dann haben Sie einen wichtigen Gelehrten der Antike auf Ihrer Seite! In seiner Physik (siehe Wikipedia) geht Aristoteles davon aus, dass auf schwere Objekte, wenn sie fallen, stärkere Kräfte einwirken, als auf leichtere Objekte (Buch 4, Kapitel 8, siehe uralte deutsche Übersetzung auf zeno.org, oder neuere englische Übersetzung via classics.mit.edu).

Wenn wir es selbst testen, zwei deutlich unterschiedliche Gegenstände fallen zu lassen, dann kann nicht nur der Luftwiderstand uns einen Streich spielen! Unbewusst könnten wir dazu neigen, den schwereren Gegenstand etwas früher loszulassen, was ebenfalls die Intuition bekräftigen würde, dass das schwerere Objekt auch schneller fällt.

Wenn Sie als Leser die bislang von mir beschriebenen Szenarien mit verschieden schweren Kugeln »im Kopf mitgemacht« haben, dann praktizierten Sie hier etwas, das auch »Gedankenexperiment« genannt wird. Wir experimentierten, indem wir gedanklich Szenarien entwarfen, die sich auf allgemein bekannte Offensichtlichkeiten zurückführen lassen, auf welche sich alle Beteiligten schnell einigen können.

Die einfachste Intuition und damit wohl auch das erste Gedankenexperiment sagt uns, dass die schwere Stahlkugel schneller fällt als die leichte Plastikkugel, und das selbst in einem Vakuum, wo kein Luftwiderstand die Plastikkugel bremsen könnte.

Aus Drei wird Zwei

Jedoch, in der Schule lernten wir auch – wir erinnern uns vage – dass die Intuition in diesem Fall täuscht. Und wir haben vielleicht gehört, dass es der Legende nach ein gewisser Galileo Galilei war, der den Aristoteles darin widerlegte, indem er zeigte, dass die schwere Kugel ebenso schnell fällt wie die leichte (tatsächlich wurde es schon Jahrzehnte vor Galilei gezeigt).

Ja, es ist eine Legende, doch nur weil es wohl nicht genau so passierte, ist es noch nicht falsch! Der erste Teil der Legende besagt, dass Galilei auf den schiefen Turm von Pisa stieg, und zwei verschieden schwere Kugeln hinabfallen ließ.

Nach der alten Theorie sollte die schwerere Kugel schneller fallen als die leichte, und zwar proportional zum Gewichtsunterschied – tatsächlich fielen beide Kugeln gleich schnell.

Diese Erzählung geht weiter! Man soll dem Galilei nicht geglaubt haben, trotz des praktischen Experiments, und also bat er seine Zuhörer zum Gedankenexperiment (tatsächlich findet sich das folgende Gedankenexperiment mit den Ziegelsteinen schon früher bei Jean Baptiste Benedetti, siehe engl. Wikipedia).

Stellen wir uns einmal drei Ziegelsteine vor, die gleich viel wiegen und alle drei gleich geformt sind. – Niemand wird bestreiten, dass diese drei Ziegelsteine in gleicher Geschwindigkeit fallen.

Stellen wir uns nun weiter vor, dass zwei dieser drei Ziegelsteine recht nahe beieinander fallen – auch dann müssten doch alle drei Ziegelsteine gleich schnell fallen.

Und nun stellen wir uns vor, dass diese zwei nahen Ziegelsteine sich immer näher kommen, bis sie zuletzt zu einem einzigen Stein werden, etwa indem man sie mit einem Faden zusammenbindet.

Wenn, wie Aristoteles es sagt, das Schwerere gemäß des eigenen Gewichts schneller fällt, müsste sich just in dem Moment, in welchem die beiden Steine einander berühren, diese plötzlich mit doppelter Beschleunigung gen Boden fallen. Und wenn sie getrennt werden, müsste sich ihre Beschleunigung plötzlich verlangsamen. Wo sollte die zusätzliche Energie allein durch das Berühren herkommen?

Ein recht einfaches Gedankenexperiment mit drei gedachten Ziegelsteinen widerlegt, was buchstäblich eineinhalb tausend Jahre lang für selbstverständlich galt.

Alles, was es für die Widerlegung brauchte, war ein simples, nachvollziehbares Argument – und dazu etwas guten Willen der Zuhörer und Mitdenker.

Auf den Scheiterhaufen!

So klar und überzeugend uns das Gedankenexperiment mit den fallenden Ziegelsteinen auch erscheinen mag, vergessen wir nicht: Es ist keineswegs selbstverständlich, dass einem Denker, der ein Argument vorträgt, auch zugehört wird, und dass man seine Aussagen ehrlich bewertet.

Die »offizielle Wahrheit« zu einer Reihe der großen Streitthemen, wie sie von Politik, Presse und Propaganda verkündet wird, ist jeweils durch sehr simple Argumente zu widerlegen. Gegen den Ausstieg aus Kohle- und Atomenergie spricht, dass nachts keine Sonne scheint und gelegentlich kein Wind weht. Gegen offene Grenzen spricht, dass 46 Millionen deutsche Einkommenssteuerzahler nicht 800 Millionen Afrikaner aufnehmen und auf deutschem Sozialniveau finanzieren können. Gegen die Coronapanik sprechen, unter anderem, die blanken Zahlen – es ist die erste »Pandemie« mit einer Überlebenswahrscheinlichkeit um 99%. Gegen verbreitete Briefwahlen spricht, dass so bei Hilfsbedürftigen und sozial Schwächeren de facto das Wahlgeheimnis aufgehoben wird. Gegen politische Korrektheit und Sprachpolizei spricht, dass das Übertünchen von Unterschieden und Problemen diese nicht geringer werden lässt, sondern verschärft und gefährlich werden lässt. Und so weiter, und so fort.

Es hat seinen Grund, warum Politik, Presse und Propaganda die großen Streitthemen so überstark emotionalisieren, warum sie jeden Gegner zum Beelzebub persönlich erklären müssen: Die offizielle Wahrheit zu Migration, Energie, Corona, Währung und manchem anderen Thema ist jeweils mit sehr einfachen Argumenten im Kern zu widerlegen – also bleibt nur, den Ketzer, der sie ausspricht, als »Nazi« oder »Faschist« zu verleumden, und ihm mit dem Scheiterhaufen sozialer Ächtung zu drohen, wenn er nicht widerruft. Was nicht widerlegt werden kann, muss dämonisiert und zensiert werden.

400 Jahre zu spät

Galilei musste sich vor dem Inquisitionsgericht verantworten, und dort öffentlich dem kopernikanischen Weltbild abschwören – ja, es ist okay, wenn Ihnen manches moderne, von Politik, Presse und Propaganda orchestrierte »Gericht öffentlicher Meinung« einfällt, vor dem ein Prominenter zur Buße antreten muss, wenn er eine »verbotene Wahrheit« oder »falsche Meinung« aussprach.

Nach einer weiteren Legende soll Galileo Galilei, als er das Gericht verlies, gemurmelt haben: »Und sie bewegt sich doch!« – Nach anderer Überlieferung waren dies die letzten Worte des Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen.

Die Scheiterhaufen, sie brennen noch immer, wenn sie auch heute digital sein mögen, und die Buchverbrennungen heute wenig mehr als einen Mausklick brauchen.

Giordano Bruno wurde von der Inquisition der Ketzerei und Magie für schuldig befunden (siehe Wikipedia) und zum Tod in den Flammen verurteilt – er starb am 17. Februar 1600 in Rom, im Alter von 52 Jahren. (Im Jahr 2000 befand Papst Johannes Paul II., dass jene Hinrichtung ein Unrecht war, was natürlich für Bruno genau 400 Jahre zu spät kam und ihm also wenig half.)

Sinne, Vernunft und Verstand

Galilei schrieb im Brief an Christine von Lothringen (engl. Text via inters.org, hier meine Übertragung): »Ich fühle mich nicht verpflichtet, zu glauben, dass derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand ausgestattet hat, es beabsichtigt, dass wir auf deren Gebrauch verzichten, um uns Erkenntnisse auf andere Weise zu geben, welche wir doch durch sie erlangen können.«

Ich habe es einmal ähnlich formuliert, und sogar auf ein T-Shirt gedruckt: »Denken darf jeder, warum tun es nur so wenige?«

Ich will gern gestehen, dass ich mich dieser Tage gelegentlich etwas ratlos fühle, wenn ich meine Argumente zu Markte trage. – Was nützt das klarste, stärkste Argument, wenn die Gegenseite es stur nicht anerkennt, wenn sie auf alle Argumente mit dumpfen Schlagworten und vulgären Beleidigungen antwortet?

Ich will weiter gern gestehen, dass ich bei Gelegenheit schon mal ausweiche oder mir gleich ganz auf die Zunge beiße. Wenn die andere Seite partout nicht mitdenken will, wenn deren Herz und Hirn von Propaganda und Parolen vereinnahmt wurden, dann spare ich mir besser Atem und Argumente. Jede Sekunde jedes Lebens findet nur einmal statt, die Zeit unseres Lebens ist zu kostbar, und manchem Zeitgenossen fällt zu Ziegelsteinen ja doch nur das Werfen ein.

Still jedoch, für mich und zur Rettung meiner Seele – oder auch nur meiner geistigen Stabilität – da murmele ich schonmal: »Und sie bewegt sich doch.«

Weiterschreiben, Wegner!

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