Dushan-Wegner

15.10.2023

Barbari intra portas

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: »Sollte jemand Gras mähen?«
Chef des Zentralrats der Juden warnt plötzlich: »Die Barbaren sind unter uns«. Als AfD-Gauland dasselbe Vokabular verwendete, war es noch ein Skandal. Ach ja. Rechte nennt man »Rechte«, weil sie recht behalten.
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Der Geschichtsschreiber Herodot lebte im 5. Jahrhundert vor Christus (was er damals vermutlich nicht wusste), und er prägte den Begriff »Barbaren«, den wir bis heute in ähnlicher Bedeutung verwenden wie er (was er vermutlich nicht ahnen konnte).

Schon Jahrhunderte zuvor hatte Homer von den »barbarisch sprechenden« Karern gesprochen (siehe auch Wikipedia zu »Barbar«).

»Barbar« (vom altgriechischen βάρβαρος / bárbaros) bedeutet eigentlich »Stotterer«. Es meinte aber Völker, deren kulturelle Entwicklung weniger fortschrittlich als die hellenistische war.

Herr Gauland

Im November 2015 warnte der damalige AfD-Vizechef Alexander Gauland vor der Völkerwanderung nach Deutschland, vergleichbar mit dem Untergang des Römischen Reiches, »als die Barbaren den Limes überrannten« (rp-online.de, 8.11.2015).

Die »Guten« waren natürlich empört. In Berlin bildete sich spontan eine geistige SED-Neuauflage, ein »Bündnis gegen die AfD« (ebenda), die damals noch als »aufstrebende Partei« beschrieben wurde.

Gauland hatte wohlgemerkt niemanden konkret als »Barbaren« bezeichnet, doch die geschichtliche Parallele aufzuzeigen war »rechter Tobak« genug. Die, die sich gern aufregen, regten sich auf.

Herr Sell

Vor wenigen Wochen nun verwendete der promovierte Philosoph und AfD-EU-Kandidat Alexander Sell wieder das Wort »Barbaren« (siehe YouTube, ab 3:20).

Zuvor hatte Sell beschrieben, wie in Frankreich zur Zeit des Opferfestes dickes Blut durch die Kanalisation der Etagenwohnungen fließt, weil einige der dortigen Muslime in ihren Badewannen tatsächlich Schafe schächten.

Die wirklich Leidtragenden dieser Entwicklungen, so Sell, sind die Nachbarn, die mit »Barbaren« Tür an Tür lebten.

Die ersten Markierungen

Und nun, am 14.10.2023, wiederholt ein Herr Josef Schuster plötzlich die Wortwahl des Herrn Gauland.

Er beschreibt damit die Pro-Terror-Demonstrationen vieler Tausender Muslime in Berlin und anderen Städten.

»Die Barbaren sind unter uns«, schreibt Schuster in einem Gastbeitrag auf bild.de.

Wer ist dieser Herr Schuster, der plötzlich so deutlich wie die AfD klingt?

Er ist Präsident des Zentralrats der Juden – und einer der aggressivsten Hetzer gegen die einzige inhaltliche Oppositionspartei. Und nun bedient er sich bei deren Realitätssinn. Noch vor zwei Wochen hetzte Schuster mit den in Deutschland üblichen vulgären Propaganda-Stanzen gegen die AfD (zeit.de, 1.10.2023).

Und jetzt klingt er wie sie.

In Berlin wird nicht nur der Judenmord in Israel gefeiert, es wird womöglich auch der Judenmord in Deutschland vorbereitet. Auf den ersten Häusern sind Davidstern-Markierungen aufgetaucht, die potenziellen Terroristen anzeigen sollen, wo Juden leben (@AStroselski, 14.10.2023). Auf der chaotischen Spaß-Website »9gag« lautet die Überschrift dazu (übersetzt): »Warte – ich habe diesen Film schon mal gesehen« (9gag.com, 15.10.2023).

2015 ließ Schuster noch verlauten, Deutschland sei »das letzte Land, das es sich leisten kann, Flüchtlinge und Verfolgte abzulehnen« (welt.de, 3.3.2015).

Wegen all dem »Unheil«, das Deutschland über die Welt gebracht habe.

Aha.

Schuster war ganz vorn mit dabei, wenn es darum ging, die deutschen Grenzen für junge Männer aus muslimischen Krisengebieten zu öffnen.

Und jetzt übernimmt Herr Schuster plötzlich die Wortwahl der AfD.

Klar, er wird sich erklären, er meine nicht alle eingewanderten jungen Männer, sondern nur die bösen unter den jungen Männern. Man könnte ihm an dem Punkt eine Statistik zur Sorgenlage unter den »einfachen« Juden ohne Limousinen vorlegen (uni-bielefeld.de, April 2017), doch spätestens da würde er das Gespräch abbrechen, vermute ich, mit den üblichen Floskeln (»rechts«, »AfD-nah« und so weiter).

Schuster versichert, die jungen Männer (wohlgemerkt: die »Allahu Akbar« rufen, während sie den Mord an Juden preisen), hätten »nichts mit Islam zu tun«. (Fragen dazu: Sehen die jungen Männer das auch so? Nehmen sie Islam-Auslegungen vom Chef des jüdischen Zentralrats an? Der Koran und all die Imame, die zur Tötung von Juden aufrufen, haben die laut Schuster auch nichts mit dem Islam zu tun?)

»Wo ist der Anstand, der diese Community so lange auszeichnete?«, fragt Schuster.

»Er ist noch da«, antwortet Schuster sich selbst, und: »Ich will das hoffen und ich glaube daran.«

Uff.

Damit sagt er implizit, dass er den »Anstand« in dieser Community eben nicht sieht. Er glaubt daran, wie man an Gott, den Teufel oder den Weihnachtsmann glaubt. – Das ist in impliziter Konsequenz heftiger, als das meiste dessen, was man von sogenannten »Rechten« hört.

»… männliche Person«

Natürlich lag Gauland richtig. Es ist eine simple Angelegenheit jener heute als »rechtsextrem« und »faschistisch« geltenden Denkpraxis namens »Logik«. Eine Kultur, die zuverlässig ihre Praktizierenden vor sich selbst fliehen lässt, wäre die nicht gemäß der alten Bedeutung des Wortes als »barbarisch« zu bezeichnen?

Menschen entfliehen ihrer eigenen Kultur, denn diese geht weltweit zuverlässig mit Extremismus, Gewalt, Leid und Armut einher. Diese Menschen fliehen dann an einen neuen Ort – und etablieren dort genau die Kultur, vor der sie geflohen waren.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der in der Vergangenheit mit extra schwarzweiß und anti-demokratisch klingenden Hetzreden gegen die Opposition auffiel (siehe auch Essay vom 21.5.2021), ruft nun plötzlich zu »mehr Einsatz gegen Judenhass« auf (zeit.de, 15.10.2023). @1234fit fragt völlig richtig, was Özdemir damit sagen will. Sollen Bürger »nach Neukölln oder Duisburg fahren und die Bilder unterbinden, die man von dort sehen kann?«

Ist es nicht die Aufgabe des Staates, die Barbarei zu bekämpfen? Man seufzt. In Deutschland gilt ja der, der auf die Barbarei hinweist, für viel gefährlicher als der Barbar.

Mancher Bürger hatte es kommen sehen. Und doch konnte er nichts daran ändern. Höhere Mächte wollten das so. Schon Herodot wusste: »Dies ist der bitterste Schmerz des Menschen, viel Wissen und keine Macht zu haben.« (Buch 9, Kapitel 16, Abschnitt 5)

Entscheiden Sie selbst

Laut Duden bedeutet »Barbar«: »rohe, empfindungslose männliche Person ohne Kultur« oder »völlig ungebildete männliche Person«.

Sie können selbst darüber entscheiden, ob und inwiefern das auf diese oder jene »männliche Person« zutrifft, etwa wenn sie in deutschen Straßen den Mord an Kindern bejubelt.

Der Präsident des Zentralrats der Juden übernimmt die Wortwahl, für welche Gauland noch medial gevierteilt wurde.

Wieder bestätigt sich: Die Rechten heißen »Rechte«, weil sie so oft recht behalten.

Weiterschreiben, Wegner!

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