Dushan-Wegner

18.11.2022

Chaos, systemisch und strukturell

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Ameer Basheer
In Bali sprachen diese Woche die großen Herrscher der Welt – und Klaus Schwab. Nach »Great Reset« ist sein großes Thema wohl die »Restrukturierung der Welt«. Man könnte meinen, dass er damit erfrischend offen ist – ist er das wirklich?
Telegram
Facebook
𝕏 (Twitter)
WhatsApp

Spätestens wenn ein junger Mensch erfährt, dass das Christkind in Wahrheit das Bankkonto der Eltern ist, und der Weihnachtsmann ein Onkel im Kostüm, beginnt jener junge Mensch zu ahnen, dass hinter den Kulissen der sich präsentierenden Welt ganz andere Kräfte als die sichtbaren wirken.

Um die Zeit seiner Pubertät herum dann begreift der reifende Mensch, dass dieses Prinzip sich auch auf jeden einzelnen Menschen um ihn her ausweiten lässt: Ein jeder Mensch trägt eine »Maske« – oh Schreck!

Uns sogenannten »Erwachsenen« ist das selbstredend längst bekannt, und also ist das jugendlich forsche Streben, allem und jedem »die Maske vom Gesicht zu reißen« uns eher lästig bis peinlich.

(Man könnte jenes notwendige, aber für die Außenwelt eher langweilige Stürmen und Drängen auch das »Holden-Caulfield-Syndrom« nennen – was immer noch besser wäre als ein »Werther-Syndrom«.)

Der Kaffee-Atem

Erwachsen zu werden bedeutet dann, selbst als Maske zu anderen Masken zu reden, während man doch von den Tiefenströmungen weiß und einigermaßen blind, aber irgendwie »erfahren« zwischen den unsichtbaren, aber tödlichen Klippen navigiert.

Die Sache mit dem Weihnachtsmann wird ja nicht ganz sinnlos dadurch, dass das Kind den Kaffee-Atem hinterm Bart erkennt. Im Gegenteil!

Gerade wenn das Kind weiß, dass der Weihnachtsmann eine Maske und eine Rolle ist, lernt es durch die dennoch praktizierten Rituale wichtige Verhaltensweisen fürs Leben. (Und wenn es nicht der Kaffee-Atem war, woran das Kind die wahre Identität hinterm Nylonbart erkannte, sondern mehr so ein Geruch von der Leber her, dann lernt das Kind noch eine nützliche Lektion: Dass erfolgreiches Erwachsenwerden auch bedeutet, manche Dinge stur nicht zu sehen, genauer: Aus dem Vorliegenden das Offensichtliche nicht zu deuten – oder es zumindest nicht auszusprechen.)

Aus Bali

Wo wir aber gerade von einem älteren Mann reden, der um die Welt reist, ohne demokratischen Auftrag über die Menschen richtet und sich dabei  irgendwie auch als Wohltäter gibt, und bei dessen Auftreten doch viele mit einer spontanen »geistigen Blindheit« befallen werden, wären wir bei ganz-wie-von-selbst bei einer kurzen Nachricht angelangt, die mich heute schmunzeln ließ.

In Bali fand diese Woche das berüchtigte G20-Treffen statt.

Joe Biden war dort, und man hatte ihm sehr detaillierte Notizen dazu vorbereitet, wann er sitzen sollte, wann er reden sollte und wann er gehen sollte (nypost.com, 17.11.2022). (Wenigstens mussten ihm keine Zettel gereicht werden, wonach er etwas am Kinn hatte; siehe nypost.com, 30.7.2021, das er dann vor laufenden Kameras sich vom Kinn wischte und aufaß.)

Auch Olaf Scholz war dort. So konnte er nach seinem eigenen G20-Desaster (abendblatt.de, 14.12.2021) mal vor Ort gucken, wie man so ein Treffen richtig organisiert. Oder vielleicht wollte Scholz einfach nur nochmal mit Genossen Xi Jinping plauschen, ein Plausch unter roten Herrschern mit Gedächtnislücken.

Neben dem G20-Treffen aber fand im indonesischen Bali auch ein Treffen mit dem ähnlichen Titel »B20« statt; »B« steht für »Business«, also das, worum es gerade in der Politik am Ende des Tages wirklich geht.

Beim B20-Treffen sprachen Leute wie der Chef der globalen Skandalbank HSBC, Mark Tucker (via Big-Brother-Videoscreen; siehe YouTube).

Es sprach der Skandal-Politiker Justin Trudeau, der es zuletzt nicht so sehr mit demokratischen Werten zu haben schien (siehe YouTube).

Und es sprach jener Mann, den Verschwörungstheoretiker als den Puppenspieler hinter Justin »Blackface« Trudeau deuten: Klaus »Great Reset« Schwab.

Systemic and structural

Was ist Herrn Schwabs aktuelles Leitthema?

Schwab spricht in seinem charmanten Deutscher-Bösewicht—im-Hollywood-Film-Englisch vom »Restructuring«.

Ist »Restructuring« Schwabs neues Schlagwort, nachdem »Great Reset« bald zur eigenen Parodie wird?

Man könnte es fast vermuten. Es geht ja nicht nur um ein simples, alltägliches »Restructuring«, sondern um ein »deep systemic and structural restructuring«! (siehe YouTube)

Wenn wir bedenken, dass systematische Vorgänge ein System und damit die Struktur ihres Gegenstands betreffen, hat Schwab quasi gesagt, dass wir mit einer »strukturellen und strukturellen Neustrukturierung« konfrontiert sind.

Soso.

Was aber ist es, das neu strukturiert wird?

Richtig – »the world«!

Eine Dimension kleiner als »die Welt« wäre doch würdelos.

Klaus Schwab ist in seinem Auftreten am Punkt angelangt, dass für ihn Poes Gesetz greift, also jene Internetregel, wonach das Extreme nicht mehr parodierbar ist, weil es schlicht als ernstgemeint missverstanden würde (siehe Wikipedia).

Ich bin kein »Verschwörungstheoretiker« – schon weil der Begriff heute nicht mehr wirklich Sinn ergibt (auch nicht in der Version des Wortes, welche die deutsche Propaganda sich aktuell ausdachte: »Verschwörungsideologe«).

Ich gehe aber davon aus, dass nur klinische Idioten immer alle ihre Gedanken und Absichten offenlegen. Die Mächtigen sind jedoch alles Mögliche, nur zumeist keine universellen Idioten. (Sogar Grüne und Genossen verstehen sich auf die eine Kunst, nämlich an die Macht zu gelangen und Pfründe für sich und ihre Spezis zu sichern, und mindestens darin sind sie sehr »un-idiotisch«.)

Nach über 1500 Essays kann ich kaum verhehlen, dass ich wohl etwas von jener Eigenschaft besitze, die man im Englischen den »Contrarians« zuschreibt.

(M)ein Verdacht

Wenn die Mächtigen etwas sagen, und wenn sie es extra betonen, dann kann ich gar nicht anders, als ganz automatisch auch die Plausibilität des Gegenteils zu prüfen.

Wenn Herr Schwab nun denkbar offen von der strukturellen Neustrukturierung der Weltstruktur spricht (oder so …), dann suche ich erstmal nach dem Gegenteil dieser Aussage. Was aber ist das Gegenteil von »Great Reset« und »Neue Struktur für die Welt«?

Ich nehme die Aussage »die-da-oben kontrollieren die Welt«, und ich hänge ein »nicht« dran; es ergibt sich: Die da oben kontrollieren die Welt nicht.

Oder, kürzer: Ihr wünscht euch vielleicht heimlich, dass irgendwer zentral die Strippen zieht. Vielleicht Gott, vielleicht jemand hier unten, vielleicht beide ein wenig.

Wenn Leute wie Schwab ankündigen, dass die Welt neu »strukturiert« wird, ist es wirklich die Ankündigung einer Handlung, zu welcher der Ankündigende auch fähig ist? Wenn er dazu allein oder mit einem kleinen Kollegenkreis fähig ist, warum kündigt er sie vor aller Welt an?

Es wirkt mir immer mehr wie ein Schauspiel, dass uns trösten und beruhigen soll – oder ablenken. Ich frage mich allerdings inzwischen, wer für wen »schauspielert«.

Früher habe ich selbst für die Kinder von Freunden den Weihnachtsmann gespielt. Es braucht aber nur wenige Sätze meinerseits, bis man mich an meiner Stimme und Sprechweise erkannte. Und doch spielten die Kinder brav mit. Klar, sie wollten die Geschenke. Ich fragte mich aber, hinterm Plastikbart und im Nikolausmantel schwitzend, ob bei diesem doppelten Schauspiel die Kinder mir einen Gefallen tun oder ich denen.

Für jetzt

Es empfiehlt sich für Heranwachsende, eine Welterklärung zu prüfen, in der es keinen Weihnachtsmann gibt, ob man diesen als gut- oder böswillig deute.

Und für Erwachsene empfiehlt sich, eine Welterklärung zu prüfen, welche alle Wünsche nach der »Großen Ordnung« loslässt.

Klaus Schwab deutet es ja selbst an – wenn man etwas weiter hört. Er spricht von der »transition«, dem Übergang in eine »multipolare Welt«, die wohl viel »fragmentierter« sei: »much more fragmented«. Das scheint mir Code für »es kommt Chaos, und wir hier wissen auch nicht weiter – viel Glück!«

Das ständige Reden von Leuten wie Schwab über eine neue Weltordnung ist womöglich schlicht deren Abwesenheit geschuldet, und die wiederum in ihrer blanken Unmöglichkeit.

Ja, ich hoffe auf eine gute Ordnung. Ich hoffe auf eine gute, menschliche und zugleich kluge Ordnung.

Doch für jetzt prüfe ich die sehr reale Möglichkeit von Chaos, Unordnung, Instabilität – systemisch und strukturell.

Weiterschreiben, Wegner!

Danke fürs Lesen! Bitte bedenken Sie: Diese Arbeit (inzwischen 2,036 Essays) ist nur mit Ihrer Unterstützung möglich.

Wählen Sie bitte selbst:

Jahresbeitrag(entspr. 1€ pro Woche) 52€

Augen zu … und auf!

Auf /liste/ finden Sie alle Essays, oder lesen Sie einen zufälligen Essay:

Mit Freunden teilen

Telegram
Reddit
Facebook
WhatsApp
𝕏 (Twitter)
E-Mail

Wegner als Buch

alle Bücher /buecher/ →

Chaos, systemisch und strukturell

Darf ich Ihnen mailen, wenn es einen neuen Text hier gibt?
(Via Mailchimp, gratis und jederzeit mit 1 Klick abbestellbar – probieren Sie es einfach aus!)