Ich schlafe dieser Tage nicht gut. Gar nicht gut. Und letzte Nacht hatte ich auch noch einen Albtraum.
Ich träumte vom Krieg.
Im Traum sah ich Panzer durch schwarzweißen Schlamm gen Osten rollen. Kriegsflugzeuge knatterten über die Dörfer.
Gelangweilte Panzerfahrer sprengten die Kühe auf der Weide. Gelangweilte Piloten schossen Windräder in Flammen.
Und dann, als ich so träumte, sah ich andere Panzer in die Gegenrichtung rollen. Ich sah andere Flugzeuge. Raketen flogen, in beide Richtungen.
Eine Rakete traf unseren Supermarkt, mitten am Tag. Schade eigentlich. Ich mochte die neue Kassiererin.
Schon seit 10 Jahren
Als sie unseren Supermarkt in Schutt und Asche gelegt hatten, wachte ich vorübergehend auf.
Ich schlafe schlecht dieser Tage.
Ihr kennt ja jenes alte Bonmot: »Ich schlafe wie ein Baby – ich wache alle zwei Stunden schreiend auf.«
So etwa, nur ohne das Schreien. Wie der alte Mann, der pinkeln muss, noch während er pinkelt, so wache ich auf und bin müde.
Zunächst lag ich wach und hörte meinen Innereien bei ihrer nächtlichen Arbeit zu. Dann muss ich wohl wieder eingeschlafen sein, denn ich träumte wieder.
Wieder vom Krieg.
Derselbe Krieg, ein Jahrzehnt später.
Im zweiten Kriegstraum dieser Nacht hörte ich mich selbst sprechen: »Nun führen die schon seit 10 Jahren Krieg, und es werden noch viel mehr Jahre werden. Der Sohn des Nachbarn ist dort gestorben. Die Leute raunen, das sei der ›ewige Krieg‹. Es sei die ›altneue Ostfront‹. Doch diese beiden Namen sind verboten. Wer sie sagt, wird bestraft.«
Monster im Kopf
Ich wache wieder auf. Mich fröstelt. Die Bettdecke ist auf den Boden gefallen. Ich ziehe sie wieder hoch. Ich decke mich wieder zu und starre in die Dunkelheit.
In der Dämmerung kommen böse Gedanken. Dämmerungsgedanken sind eine ganz eigene Art von Monster. Dämmerungsgedanken greifen auf die Tiefenströmung des Unterbewusstseins zu, doch ohne den anästhesierenden Schutz des Traumhaften.
Und so denke ich, in der Dämmerung: »Ja, die werden wohl wirklich einen ewigen Krieg installieren, zwischen Russland und dem sogenannten Westen. Der ewige Krieg als die dauernde Krise, welche jede, wirklich jede politische Maßnahme rechtfertigt. Und zwar auf beiden Seiten.«
Draußen jault ein Katzenbaby. Vor Hunger, glaube ich. Wie schon gestern Nacht. Es wird vielleicht noch eine Nacht so gehen, wenn überhaupt.
»Der ewige Krieg«, denke ich, »er wird die ultimative Krise sein, in welche jede einzelne westliche Noch-Demokratie hineingezogen wird, auf ewig. Wahlen lassen sich damit aussetzen, beliebig Steuern einziehen und zu Milliarden und Trilliarden in Löcher ohne Kontrolle verschieben. Was passiert, muss im Namen und zum Wohl des ewigen Krieges passieren, sonst ist es unmoralisch, und das Unmoralische ist illegal.«
Ich muss wohl dann doch wieder in einen Dämmerschlaf gefallen sein, denn in meiner Erinnerung klafft eine graue Lücke.
Solange der Supermarkt noch steht
So wirklich wach werde ich erst, als in der Küche die auf 6:50 Uhr programmierte Kaffeemaschine anspringt.
Ich zucke mit den Schultern und hebe mein von der Nacht zerschlagenes Ich aus dem Bett.
Ich schlurfe in die Küche, gieße mir Kaffee ein und zwinge mich, ein paar Schlucke vom schwarzen Lebenssaft zu trinken.
Ich schlurfe weiter, zum Schreibtisch.
»Was für wirre Ideen einen doch in der Nacht plagen«, denke ich, »ewiger Krieg im Osten. Die ultimative Super-Krise, auf Jahre und Jahrzehnte. Jede Machtmaßnahme rechtfertigend. So ein Unsinn!«
Ich schüttele den Kopf über mich und meine seltsamen Nachtgedanken. Und nehme noch einen Schluck vom Kaffee.
Dann rufe ich meine übliche Nachrichtenübersicht auf.
Hmm.
Ich sollte neues Kaffeepulver holen, im Supermarkt, wo die nette neue Kassiererin arbeitet.
Solange der Supermarkt noch steht.