Mein Name ist – wenn in einem Film eine Figur einen Satz mit »mein Name ist« beginnt, dann ahnen wir, wie dieser Satz abgeschlossen werden wird.
Im Eröffnungsmonolog von American Beauty heißt es (meine Übersetzung, siehe YouTube): »Mein Name ist Lester Burnham. Dies ist meine Nachbarschaft. Dies ist meine Straße. Dies ist mein Leben. Ich bin 42 Jahre alt. In weniger als einem Jahr werde ich tot sein.« (Es dauerte dann doch mehr als ein Jahr, aber die Karriere des genialischen Schauspielers Kevin Spaceys ist tatsächlich praktisch tot.)
Die wahren Filmkenner werden laut mitsingen, wenn ich hier anstimme: »My name is Inigo Montoya. You killed my father. Prepare to die!« (aus Princess Bride, siehe auch YouTube)
Eine besonders ikonische Instanz des »Mein Name ist« kennen wir aus dem Kontext der Selbsthilfegruppen – ein Mensch, meistens ein Mann, steht auf, nennt seinen Namen, und bekennt sich zu seiner Schwäche, seinem Fehler, etwa in House of Cards (siehe YouTube) oder natürlich in Fight Club und der berühmten Self-Help-Gruppe »Remaining Men Together«.
Wenn eine Filmfigur ihren Namen angibt, dann erwarten wir im Anschluss eine Definition, eine Angabe der Mission und Beschreibung des Getriebenseins dieser Figur, also den Hinweis auf einen Konflikt, der die folgende Handlung motivieren und schlussendlich ihrem Höhepunkt zuführen wird.
Manchmal wird das Ende bereits in der Selbstbeschreibung angedeutet, manchmal wird es explizit ausformuliert.
Wenn Sie sich hinstellen und dann selbstdefinieren sollten, beginnend mit Ihrem Namen, was käme nach dem »und«?
Und ich bin ein …
Es soll ja Tage geben, da ist Ihr liebster Essayist frustriert, an anderen ist er guter Dinge, und an anderen ergreift ihn wieder heiß die kalte Wut – heute aber bin ich sanft amüsiert, von den Ereignissen milde gestimmt, ich schmunzele sogar!
Diejenigen von uns, die via Veranlagung oder Erziehung mit der Heuchelei und Doppelzüngigkeit schon prinzipiell fremdeln, wir hatten in den letzten Monaten und Jahren genug Gründe, an die Decke zu gehen. Debatte und dann auch Innenpolitik wurden bestimmt von Heuchlern. Sie verlangen von den Bürgern, ihr Leben für die Ideologie der Globalisten zu riskieren (siehe »Gutmenschen riskieren das Leben anderer Leute«), sie rollen Diktatoren den roten Teppich aus (siehe »Erdoğan tritt wie ein Eroberer auf – und Gutmenschen stehen wie nützliche Idioten da«), wenn es sie selbst betrifft, dann werden Gutmenschen schnell zu Bösmenschen, und bei all dem sind sie geradezu stolz darauf, sich das neue Wort für Heuchler, den Gutmenschen, an die geschwellte schmale Brust zu heften (siehe »Die Schuld der Gutmenschen«).
Dass Heuchler eben Heuchler sind, wir wussten es und wir prangerten es an, denn spätestens, wenn die Pharisäer unser Leben in die Lügenmangel nehmen, wird das Lächerliche zum Gefährlichen.
Doch, bei und trotz alldem hätte ich nicht erwartet, dass die Kaste der predigenden Moralisten und moralisierenden Prediger sich offen und öffentlich dazu bekennen würde, pharisäerhafte Pharisäer zu sein.
Vielfliegende Antiflieger
In den letzten Monaten haben wir davon gelesen, wie eben jene Großmoralisten, die uns den Kurzflug nach Malle vermiesen wollen, selbst munter umherfliegen, immer wieder Langstrecke – wie würden wir ohne Öko-Aktivisten denn neue Worte wie »Tempelhopping« lernen? – wir Arbeiter und sonstigen Mindermoralischen, haben ja auch seltener die Gelegenheit, via hochmoralischen Langstrecken-Urlaubsflug die Welt vor den unmoralischen Kurzstreckenfliegern zu retten.
In den Leitgazetten der Infantilisierung wird die Kritik an der Heuchelei wie üblich zu »Hass« heruntergepreist (z.B. aus dem Hause Die ZEIT, ze.tt, 12.2.2019). Was mich aber dann doch überraschte, weshalb ich meinen Nachmittagskaffee heute amüsiert schmunzelnd schlürfe: In der TAZ bekennen sie sich jetzt offen und ehrlich zur angeblich legitimen Heuchelei der Guten!
Anstandspolizisten – wer jetzt?
In der TAZ schreibt ein alter weißer Mann:
Selbsternannte Anstandspolizisten werfen prominenten Grünen ihre Dienst- und Urlaubsreisen vor. (taz.de, 11.2.2019).
Der alte weiße Mann heißt Ulrich Schulte, und Herr Schulte sagt die Unwahrheit (sollte er dies bewusst tun, dann wäre es wohlgemerkt eine Lüge). Er sagt etwa:
Der rechtskonservative Blogger Don Alphonso wütet auf Twitter gegen prominente Grüne, die es wagen, zu fliegen. (taz.de, 11.2.2019)
Das ist technisch unwahr. – Herr Rainer Meyer macht sich lustig über Öko-Prediger, die Wasser predigen, aber Wein saufen, oder, ganz unmetaphorisch: die Kettenfett predigen, aber Kerosin saufen.
Der alte weiße Mann (dasselbe Baujahr wie ich übrigens, haha, daher meine Frechheit) berichtigt seine Unwahrheit einen Absatz später selbst: »Diese verlogene Bande, so der Subtext, predigt Klimaschutz, bläst aber selbst tonnenweise CO2 in die Luft.« – Ja, das ist richtig, außer dass es weder bei Meyer noch bei einem der vielen anderen Kritiker gutmenschlicher Verlogenheit ein Subtext ist, mehr Frontaltext (gibt es das Wort überhaupt?), Zentraltext, Haupttext, sprich: das, worum es geht.
Ich erlaube mir, Ihnen, geehrte und geschätzte Leser, eine Passage aus jenem Hochseilakt gutmenschlicher Selbstverzerrung zu zitieren:
Von mir aus darf Katharina Schulze in Kalifornien Eis essen, Jamila Schäfer in Lillehammer Ski fahren und Habeck nach Hamburg fliegen – solange sie eine Ordnungspolitik vertreten, die Fliegen endlich teurer macht. Das Plädoyer für eine Kerosinbesteuerung wird nicht falscher dadurch, dass es von einer Politikerin vorgetragen wird, die die Westküste mag. (taz.de, 11.2.2019)
Doch, wird es, lieber Linker, und wie es das wird!
Man muss nicht an 7-Tage-Schöpfung und die Unreinheit gemischter Webstoffe glauben, um zu erkennen, wie erschreckend präzise Jesu Ausführungen zu den Pharisäern (biblische Variante der »Gutmenschen«) auf die grünen Vielflieger von heute passen.
Etwa:
Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie selbst wollen keinen Finger dafür rühren. (Mt 23:4)
Oder:
Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr seid wie die übertünchten Gräber, die von außen hübsch scheinen, aber innen sind sie voller Totengebeine und lauter Unrat! So auch ihr: Von außen scheint ihr vor den Menschen gerecht, aber innen seid ihr voller Heuchelei und missachtet das Gesetz. (Mt 23:27,28)
Der Herr von der TAZ schließt sein Plädoyer für den Doppelstandard derart:
Eine Debattenkultur, in der wir uns als selbsternannte AnstandspolizistInnen unsere Sünden vorrech[n]en, wäre intellektuell dann doch etwas unterfordernd. (taz.de, 11.2.2019)
Schon im Intro-Text hätten wir fragen können, was denn einen selbsternannten vom vollberechtigten Anstandspolizisten unterscheidet, wir ahnen ja was der Autor meint – aber geschenkt! Es würde nicht weniger holprig werden.
Es ist komplett falsch, dass es Anstand wäre, der eingeklagt würde. In wilden Zeiten braucht es immer wieder blank-brutales Ausbuchstabieren: Das Problem ist nicht, dass Grüne sich per Langstreckenflug an exotische Urlaubsorte begeben, teure Autos fahren oder aus Plastikverpackungen essen – das Problem ist, dass sie das Gegenteil dessen predigen, was sie machen. Öko-Aktivisten sind wie ein Säufer, der laut die Abstinenz predigt, sie sind wie der Dauergast im Puff, der große Reden von ehelicher Treue und Triebkontrolle schwingt.
Ich bin heute amüsiert von der neuen Ehrlichkeit der Moralbewegten; die Leute brauchen ja gar nicht erst eine Selbsthilfegruppe, sie haben ihre Kolumnen und Spalten in den Hauptstadtredaktionen, und dort können die schreiben: »Mein Name ist Öko-Aktivist und mein Leben ist auf Lügen gebaut.«
Ich stimme den Heuchlern zu, dass sie Heuchler sind – aber nein, ich stimme nicht zu, dass wir dennoch auf sie hören sollten!