»Wie geht es dir?«, so fragst du deinen Freund, und dein Freund sagt: »Frag nicht!«, und du ahnst, dass es da ein Problem gibt, und dass deinem Freund die Worte fehlen, übers Problem zu reden.
»Wovon man nicht reden kann« – wir kennen die Fortsetzung des Wittgensteinschen Dictums – darüber muss man schweigen.« – Ist es wahr? Nun, es kommt darauf an, was es bedeutet. Meine Antwort ändert sich über die Jahre.
Soll man nicht reden über die Dinge, die denen-da-oben unangenehm sind? Ja, das hätten die neue Stasi und die alte Propaganda gern – und wer seinen Job braucht, dem könnte das wie guter Rat erscheinen – doch das ist hier gewiss nicht gesagt.
Wittgenstein meint wohl – es ist knapp gehalten, des philosophischen Marketings wegen – dass Begriffe ihr Ende finden, und solche Fälle kennen wir ja ganz konkret! Logische Widersprüche etwa sind nicht-denkbar, und es ergibt wenig Sinn, darüber zu reden. Dass ein Ding zugleich auf gleiche Weise etwas sei und nicht sei, »P und Nicht-P«. Dass ein Schimmel schwarz sei oder das Meer trocken, der Mensch unsterblich, ein Kreis eckig oder ein Journalist kein ganz verlotterter Hund – worüber man nicht sinnvoll reden kann, darüber muss man schweigen. Was bedeutet es? Frag nicht…
Nicht nur das Unsinnige und Außerlogische liegt jenseits der Anwendbarkeit unserer Worte. Auch und besonders solche Ereignisse, für die uns Worte fehlen, welche unsere Erziehung uns auszusprechen nicht gestatten würde, fallen heute in die Kategorie des Unaussprechlichen. Ich lese eine Nachricht, und ich werde gefragt: »Was liest du da? Was ist passiert?«, und ich sage: Frag nicht…
Jedes Kind lernt
Deutschland – so lesen wir heute – sei plötzlich das »ökonomische Schlusslicht der Euro-Zone«. Die deutsche Wirtschaft schrumpft:
Deutschland ist wieder auf dem Weg, zum kranken Mann Europas zu werden. (…) Sollte sich der Abwärtstrend in den kommenden drei Monaten fortsetzen, würde das Land zum ersten Mal seit gut sechs Jahren in einer Rezession stecken. Deutschland ist damit das ökonomische Schlusslicht in der Euro-Zone. (welt.de, 15.8.2019)
Man ist versucht, hier »AKK« zu zitieren, konkret aus dem Protokoll ihrer Rede, als sie sich um den Parteivorsitz »bewarb« (Quelle PDF bei cdu.de):
Dazu gibt es nur eines zu sagen – und das aufrichtig und von Herzen – Danke, Angela.
(Beifall)
Jedes Kind lernt, dass es sich Ziele setzen soll im Leben. Was für Ziele hat denn Deutschland? Wo ist die öffentliche, breite Lust am wissenschaftlich Neuen – und ich meine wahrlich nicht die Hirngespinste grüner Kinder – das in Fakten begründete Selbstbewusstsein, die wirtschaftliche Klugheit über die Aufregung des Moments hinaus, und ja, die Weisheit? Frag nicht…
Hinauskomplimentiert
Einige Leute nennen die SPD einen Milliardenkonzern, der nebenbei auch in der Politik dilettiert (siehe auch: »Was macht eigentlich eine Partei?«). Sigmar Gabriel, der die SPD nun wirklich gut kennt, nennt sie »linker als die Linkspartei« (ksta.de, 2.8.2019). Der sinkende rote Ausflugsdampfer sucht ein Kapitänspärchen, und neueste Bewerber sind das jugendliche Gute-Laune-Duo Ralf Stegner und Gesine Schwan. Ja, und so irre es ist, es wird nicht nur im Relotiusmagazin berichtet (spiegel.de, 14.8.2019, welt.de, 14.8.2019). Was soll man dazu noch sagen? Frag nicht…
Claudia Roth hat für jeden selbst nachprüfbar im Bundestag die Unwahrheit durchgesetzt, als sie feststellte, dass der Bundestag zahlenmäßig beschlussfähig sei (siehe auch »2 plus 2 ergibt 5, wenn »die Guten« es sagen«). Ein Parlament mit Schamgefühl und demokratischem Anstand hätte Figuren wie Roth (oder Pau) nie zu Vizepräsidenten gemacht, und spätestens nach dieser leicht prüfbaren Unwahrheit hätte man sie aus dem Amt hinauskomplimentiert. Die AfD muss aktuell nach Karlsruhe ziehen, um festzustellen, dass verfassungswidrig ist, was verfassungswidrig ist (welt.de, 15.8.2019). Es soll verhindert werden, dass der Bundespräsident die drei nach jener Unwahrheit beschlossenen Gesetze unterzeichnet. Sollte ein anständiger Präsident das nicht ohnehin ablehnen? Nun, Frank-Walter »sozialdemokratischer Schlossherr« Steinmeier ist derzeit, so wirkt es, etwas vom Wahlkampf abgelenkt (welt.de, 13.8.2019: »Steinmeier kritisiert AfD-Wahlkampf scharf – ohne die Partei zu nennen«). Was soll man zum Gebaren des vorgeblich überparteilichen Präsidenten noch sagen? Frag nicht…
Die von Ministerien mit viel Geld versorgte Stiftung jener Ex-Stasi gibt derweil ein »Handbuch zum Umgang mit der AfD« heraus (welt.de, 13.8.2019) – exakt am Jahrestag des Mauerbaues wird derweil der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und der umbenannten SED unterzeichet (@jreichelt, 13.8.2019). Und, aus der Kategorie »Nein! Doch! Oh!« schließlich die Meldung: »Mehrheit der Bevölkerung mit Demokratie in Deutschland unzufrieden« (welt.de, 14.8.2019). – Was hältst du vom Zustand deiner Demokratie, so fragt man die Deutschen, und ein Teil der Deutschen, deren Gehirn noch nicht vollständig vom Staatsfunk zu gehorsamer Pampe verquirlt wurde, seufzt: Frag nicht…
Darin nicht allein
Es ist selten »wirklich so gemeint«, dieses: »Frag nicht…« – Ein erfahrener Ehemann weiß ja auch, dass »ich will nicht drüber reden« in Wahrheit bedeutet: »Wenn du, Mann, nicht sofort alles stehen und liegen lässt, um mir mühsam aus der Nase zu ziehen, was mir auf dem Herzen liegt und meinen Magen beschwert, dann schläfst du heute Nacht draußen – und alleine sowieso.«
(Notiz: Ja, es gibt wieder ein T-Shirt zum Essay – auf Deutsch und sogar auf Englisch.)
Eigentlich ist das hingeworfene »Frag nicht…« ja nicht nur beim schmollenden schönen Geschlecht nicht wirklich die Aufforderung, die Kommunikation an dieser Stelle abzubrechen!
»Frag nicht…« sagt, ganz im Wittgensteinschen Sinne, dass mir »die Worte fehlen«.
Wenn ich sage »Frag nicht…«, dann meine ich damit doch: Mir fehlen gerade die Worte und Begriffe – und wenn es dir auch so geht, dann bist du darin nicht allein!
Wert und Kunst
Über wirtschaftliche Entwicklungen zu reden, über die Verhöhnung der Demokratie durch die-da-oben, über das Wiedererstarken von SED und totalitärem Denken – über all das zu reden könnte unsere bisherigen Begriffe überfordern.
Verstehen Sie es bitte nicht als Resignation, verstehen Sie es also bitte nicht als inneres Hinnehmen oder gar Sichabfinden, wenn ich sage »Frag nicht…«. – »Frag nicht…« kann auch bedeuten: »Ich bin genauso ratlos wie du, und darin bist du nicht allein.«
In verrückten Zeiten nicht verrückt zu werden, aber sich auch nicht zu verbiegen. In Zeiten massenhafter Einsamkeit doch nicht einsam zu sein, das ist ein Wert und zugleich eine Kunst.
Wenn ich sage »Frag nicht…«, meine ich damit eigentlich: Mir geht es wie dir, auch mir fehlen die Worte, und erstaunlicherweise finde ich eben doch ein Schmunzeln, denn egal was ist, verweigere ich mich doch der Einsamkeit und dem Wahn zugleich – oder, all das, nur kürzer: Frag nicht…