Dushan-Wegner

25.02.2023

Wer sagt »Friedensschwurbler«?

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Wovon reden die, die vom Krieg reden?
Ein neues deutsches Propagandawort hat mich geschockt. Es lautet »Friedensschwurbler«. Man muss nicht mit den derart Verunglimpften übereinstimmen, um Propaganda, die sich so etwas ausdenkt, nur noch widerlich zu finden.
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Anno 2018 schrieb ich den Essay »Ich will Frieden, was wollt ihr?«, und ich beschrieb die Kriegslust, welche aus den Zeilen der Journalisten floss: »Heute, bald 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, haben wir es mit einer ganz neuen, ganz anderen Journalisten-Generation zu tun. Oh ja, sie reden vom Krieg, und wie!«

Trump brachte der Welt relativen Frieden, und dafür hassten ihn die Kriegstreiber in den Redaktionen, und sie hassen ihn bis heute. In den USA lassen sie Trump weiter verfolgen und vorführen – von teils offen wahnsinnig wirkenden und am »Trump Derangement Syndrome« leidenden Figuren (siehe GBalloutine, 22.2.2023 und engl. Wikipedia zu TDS).

Der Sumpf schien Krieg zu wollen. Man machte eine offen demente Marionette zum »Präsidenten«, und jetzt ist eben wieder Krieg. Spätestens aber, wenn der Krieg näher an die eigene Haustür rückt, und die Journalisten vor lauter Kriegslust glucksen, scheint es eine gute Gelegenheit, zurück in die Zeit vergangener Kriege zu blicken, ob man nicht etwas daraus lernen könnte.

Der Hunne

Es war der April des Jahres 1943. Das Deutsche Afrikakorps hatte sich in schweren Schlachten gegen die Allierten erschöpft. Wenig später würde man kapitulieren und Hunderttausende Deutsche und Italiener würden in die Kriegsgefangenschaft der Allierten geraten (siehe Wikipedia).

Am 13. April 1944 sprach Winston Churchill vor dem US-Kongress. Er bezog sich auf die Verluste der Deutschen in Afrika, als er jenes bis heute berühmte Bonmot formulierte:

Der Hunne ist immer entweder an deiner Gurgel oder zu deinen Füßen.
(Winston Churchill, zitiert nach winstonchurchill.org, Rede vom 13.4.1943, meine Übersetzung)

Die sogenannte deutsche »Elite« heute will uns gern glauben lassen, dass sie damals allesamt Widerstandskämpfer gegen Hitler gewesen wären, selbst wenn sie in familiärer und/oder unternehmerischer Linie direkt von damaligen Profiteuren und willigen Helfern abstammen sollten, ja, selbst wenn Parteien – wie alle aktuellen Bundestagsparteien außer der AfD – von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern mit aufgebaut wurden, inklusive der umbenannten SED (siehe Wikipedia und spiegel.de, 23.92.2012).

Es widerspräche aller Lebenserfahrung, denen zu glauben, dass sie allesamt nun eine ganz neue und gegenteilige Uniform des Geistes tragen. (Als Kleidung trägt man auch weiterhin Hugo Boss. Es ist ja auch verständlich, denn die Klamotten sind weiterhin stilvoll. Die Amerikaner schwärmen bis heute vom legendären Style der Nazis; siehe YouTube. Und 1999 gab es Ärger, als die britische GQ einen Herrn Rommel zu einem der bestangezogenen Männer des zwanzigsten Jahrhunderts erklärte; via Angella d’Avignon auf medium.com).

Es braucht ja gar keine direkte familiäre und/oder unternehmerische Abstammung. Es braucht nicht einmal einen fortführenden Modegeschmack. Und eine direkte biologische Abstammung braucht es auch nicht.

Man hört und sieht diesen oder jenen Erfolgreichen, ob in Politik, Propaganda oder politiknahen Unternehmertum, und man denkt sich: »Ja, der wäre auch damals erfolgreich gewesen.«

Auch ohne jede direkte Linie des Einzelnen dürfen wir davon ausgehen, dass zentrale Charakterzüge, die damals in der deutschen Gesellschaft zu Erfolg führten, dies auch heute tun würden.

Und einer dieser »erfolgreichen« Charakterzüge ist es wohl, laut Winston Churchill, dass man »die Hunnen« entweder »an der Gurgel« oder »zu Füßen« hat.

Von Komposita

Der erste Grund, warum ich die deutsche Sprache so mag, ist natürlich der, dass sie Teil meiner selbst ist. Auch im Englischen und Tschechischen kann ich fühlen, was der Schreiber mich fühlen lassen will, doch nur im Deutschen vermag ich selbst der Schreiber zu sein, der die Leser sein Innenleben mitfühlen lässt.

Aber auch ohne derart persönliche Bezüge bietet das Deutsche einige Fähigkeiten an, die wahrlich nicht nur mir zumeist Freude bereiten, und zu diesen Fähigkeiten zählt die deutsche Lust am Kompositum.

Ein Kompositum ist ein zusammengesetztes Wort, wie der »Radfahrer«, »Sitzfleisch« oder auch derbe Wörter wie »Systemhure«.

Ja, auch in der Vereinigung zweier zunächst unterschiedlicher Wörter (samt der in diesen schlummernden Ideen) kann neues Leben entstehen. Blüten und Zauber werden zu Blütenzauber. Dieses führt dann mal zu Frühlingserwachen und mal zu Heuschnupfen.

Dieser Tage stieß ich jedoch auf ein derart widerliches Kompositum, dass sich mir nicht nur bildlich der Magen verdrehte.

Jenes zusammengesetzte Wort lautete: »Friedensschwurbler«.

Ich hörte es von mehreren Akteuren des deutschen Propagandastaates. Ich möchte keinen davon auch nur mit Namensnennung würdigen. Doch sagen wir nur so viel: Diese Leute, deren Mitarbeiter, Auftraggeber und auch viele derer Anhänger besitzen die zentralen Eigenschaften, die einen Menschen damals erfolgreich werden ließen – und die das »Damals« damit möglich machten. (Und wie ich diese Figuren so einschätze, wären sie gar nicht wenig stolz auf eine solche Bewertung ihres Charakters.)

Ein »Friedensschwurbler« ist, so höre ich, ein Mensch, der sich gegen die Beteiligung Deutschlands am Krieg in der Ukraine durch Waffenlieferung ausspricht. (Vor den Wahlen waren die Grünen übrigens im Inhalt sehr explizit »Friedensschwurbler« – heute erlaubt man Waffenexporte an Saudi-Arabien und verschenkt sie gleich an die Ukraine; siehe etwa spiegel.de, 25.2.2022 und zeit.de, 15.10.2022.)

Das Teilwort »Schwurbler« wurde faul von der letzten Mobilmachung gegen Andersdenkende übernommen. Ein »Schwurbler« war jemand, der Gründe dafür hatte, die mRNA-Injektion zu hinterfragen. Und erschreckend viele Befürchtungen der »Schwurbler« bewahrheiteten sich.

Aber natürlich war »Schwurbler« ein Codewort für »Abweichler« und »Andersdenkender«, der moderne »Ketzer«. Weil das Propagandawort »Schwurbler« so erfolgreich war, baut man ein neues Wort darum herum, ein Kompositum – den »Friedensschwurbler«.

Bezahlte Hetzer agitieren gegen »Friedensschwurbler«, die sich Frieden wünschen. Es sind teils dieselben Rädchen des Propagandastaates, die eben noch für die Impfpflicht agitierten. Und es scheint ihnen geradezu dämonische Freude zu bereiten, endlich wieder für Krieg zu trommeln. Die neuen Feinde der »Guten und Gerechten« sind nun alle, die Frieden wollen. Die »Friedensschwurbler« muss man nun beschimpfen und ausgrenzen, so wie sie eben noch alle ausgrenzten, die sich nicht das Genzeug ins Blut spritzen lassen wollten.

Keine Übertreibung

Bin ich damit also auf der Seite jener, welche von deutschen Agitatoren als »Friedensschwurbler« verunglimpft werden? – Jein.

Als gebürtiger Tscheche kann ich sowohl versichern, dass »Appeasement« nicht funktioniert, als auch, dass »der Russe« zuweilen eine andere Vorstellung vom menschlichen Miteinander hat als mancher eher weichherzige Westeuropäer.

Aus der Tatsache, dass Russen bitterstes Leid kennen und es auch künstlerisch hochwertig beschreiben können, folgt erstaunlicherweise nicht, dass sie alle gehemmt wären, dieses Leid anderen Menschen zuzufügen.

Es ist keine Übertreibung, dass ein Russe, der dir mit Tränen in den Augen seitenweise russische Dichter zitieren oder Partituren am Klavier vorspielen kann, dir gleich im nächsten Moment die Knochen zu zertreten oder eine Kugel in den Kopf zu jagen vermag. Manche Deutsche – unabhängig von politischer Ausrichtung – verstehen einfach die »russische Seele« nicht, und also ahnen sie auch nicht, zu welcher erbarmungslosen Grausamkeit selbst feinfühlige russische Soldaten fähig sind.

Entweder-oder

Die »Hunnen«, so sagte Churchill, hat man zu Füßen oder an der Gurgel. Die deutschen Agitatoren mit ihren Partei- und Journalistenausweisen kennen in politischen Fragen nur die eigene Unterwerfung – etwa gegenüber Pharmakonzernen – oder die Unterwerfung des Gegners – etwa zweifelnder Gegner.

Ich weiß nicht, wie Deutschland und Europa aus dem Ukrainekrieg herauskommen, ohne dass eine der dortigen beiden Parteien das viel beschworene »Gesicht« verliert.

Der Philosoph in mir ahnt, dass es das Entweder-oder des Westens war, dass mit zur aktuellen Situation geführt hat, welche wiederum Putin zum Einmarsch motivierte.

Man konnte sich nicht mit einer »unscharfen« Nicht-ganz-NATO-Zone zwischen NATO und Russland abfinden, also schob man immer weiter vor. Und man warf sich zugleich Herrn Putin in Sachen Energie vor die Füße — doch jetzt will man ihm an die Gurgel. Die Kunst der Diplomatie ist die Kunst der intelligenten Unschärfe, und die deutschen Chefdiplomaten beherrschen weder das eine noch das andere.

Selbst wenn ich nicht im Lager derer bin, die von deutscher Propaganda übel als »Friedensschwurbler« angegiftet werden, bin ich doch auch nicht im Lager ihrer Gegner.

Ich weiß, dass Churchill gern und oft von vollständigen Siegen sprach, um die Truppen samt ihren politischen Befehlshabern zu motivieren, und es war zweifellos notwendig.

Hier scheint mir aber eine nüchternere Einschätzung nützlicher. 1942, in einer Notiz an General Ismay bezüglich technischer Verbesserung, schrieb Churchill: »The maxim Nothing avails but perfection may be spelt shorter: Paralysis.«.

Zu Deutsch etwa: »Die Maxime ›Nur Vollkommenheit ist gut genug‹ lässt sich kürzer schreiben: ›Lähmung‹.«

Was genau

Ich höre die Forderungen aller Seiten. Ich höre das Gezeter der deutschen Kriegspropaganda. Ich spüre das Händeringen der Appeasement-Fraktion. Ich wünsche mir von beiden Seiten eine ehrliche Antwort auf die Frage, wie »perfekt« und »total« sie ihr Ergebnis gerne hätten.

Und so spüre ich in der Frage des Ukrainekrieges, was unsere Leute betrifft, weiter eine gründliche Verachtung und Abscheu für die Propagandisten in den Redaktionen, die sich zutiefst böse Wörter wie »Friedensschwurbler« ausdenken.

Ich fühle zugleich gewisse Sympathie mit jenen, die derart beschimpft werden, auch wenn ich in der Sache in einigen zentralen Punkten nicht zustimme.

Frau Wagenknecht sagt in ihrem »Manifest für Frieden«, dass mit Putin verhandelt werden soll, denn »Verhandeln heißt nicht kapitulieren« (via change.org). Und sie verlangt »Kompromisse«. Leider buchstabiert sie in ihrem Manifest nicht aus, was die »Verhandlungsmasse« ist und welche »Kompromisse« genau die Ukraine eingehen soll. Putin das meiste dessen zu geben, was er wollte, ist weder Verhandlung noch Kompromiss – oder? Frau Wagenknecht formuliert aber eine dramatisch wichtige Frage, was denn das ehrliche Ziel der Aufrüstung der Ukraine sein soll.

Man fragt sich: Wenn die Wahl bestünde zwischen einer Aufteilung der Ukraine an Polen und an Russland, oder einem Atomkrieg, würde der Westen wirklich den Atomkrieg bevorzugen?

In diesen Zeiten des Meinungszwangs, des Propagandastaates und der verordneten Gurgel-oder-Staub-Attitüde wage ich eine geradezu revolutionäre Meinung: Ich weiß es nicht sicher. Ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist, dass in der Ukraine absehbar Frieden einkehrt, wenn man bedenkt, wie viel Kriegsgerät in eines der korruptesten Länder Europas bereits geschüttet wurde. Ich weiß eigentlich nur, dass ich all jenen widerspreche, die schon jetzt zu wissen meinen, was genau zu tun ist.

Es gibt Zeiten in der Geschichte, da ist eigentlich alles klar, doch dies ist keine jener Zeiten. Und auch darin sollten wir ehrlich zu uns selbst sein.

Weiterschreiben, Wegner!

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