Dushan-Wegner

04.12.2021

Gut gemacht, Schwein!

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Forest Simon
Wir dramatisieren den Stinkefinger, und ihn zu zeigen gilt als Skandal. Es gibt aber eine weit gefährlichere Geste, die ist oft freundlich gemeint, doch sie kann dein Leben ruinieren. Die gefährlichste Geste der Welt ist: das Schulterklopfen.
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Wer den Film »Ein Schweinchen namens Babe« gesehen hat, der kann sich auch noch Jahre später an das herzrührende Ende erinnern. Stolz und gütig sagt der Farmer zum Schweinchen, welches sich gerade als Hund bewährt hat: »That’ll do, pig, that’ll do.« (siehe YouTube)

Wörtlich übersetzt bedeutet es: »Das ist ausreichend, Schwein, das ist ausreichend«, doch da es sich um britisches Understatement handelt, dürfen wir die emotionale Temperatur hochdrehen. Wir übersetzen: »Gut gemacht, Schwein, gut gemacht!«

In deinem Kopf

Es gibt eine bestimmte Geste, ein bekanntes Zeichen von Mensch zu Mensch, eine Handbewegung, die ist freundlich gemeint, und sie gilt als angenehm, und sie nicht zu praktizieren kann als harsch und unfair gedeutet werden, und ich nenne sie doch die gefährlichste Geste der Welt – und diese Geste ist das Schulterklopfen.

Wenn man an »böse Handzeichen« denkt, dann könnte einem der berühmte »Stinkefinger« einfallen. Vielleicht denkt man auch an eines der übrigen, lokalen Handzeichen, die in Kulturen rund um den Globus jeweils zum Tabu erklärt wurden, und ihre aggressive Wirkung eben aus dem Tabu beziehen?

Nun, ein Stinkefinger ist in der heutigen Gesellschaft eher für denjenigen gefährlich, der ihn zeigt, denn dieser kann wegen Beleidigung belangt werden oder, je nach Land und Arbeitsrecht, seinen Arbeitsplatz gefährden.

Derjenige aber, dem der Stinkefinger gezeigt wird, er fühlt sich eigentlich nur an seinen Gefühlchen angekratzt und an seiner fragilen Ehre gekränkt, was auch immer das körperlich mit ihm so anstellen mag – und sollte das dann auch sein.

Sicher, ich bin mir dessen bewusst, dass wir in Zeiten hysterischer Empfindlichkeit leben. Beleidigt zu sein und die Vernichtung des Beleidigers fordern zu können, das verleiht auch dem Faulpelz und Dummkopf ein vorübergehendes Gefühl von Macht und Wichtigkeit, deshalb sind so viele Leute heute so ganz doll schlimm beleidigt. Manche sind sogar stellvertretend für andere beleidigt, und unter diesen haben es einige sogar zum gut bezahlten Beruf gemacht! Realiter aber schadet es dir nicht konkret, wenn jemand dir einen Stinkefinger zeigt.

Klopfer und Beklopfter

Ich sage: Die gefährlichste Geste ist nicht der Stinkefinger, sondern das Schulterklopfen.

Es ist natürlich und verständlich und zutiefst menschlich, sich danach zu sehnen, dass einem auf die Schulter geklopft wird, und man hört: »Das hast du gut gemacht!«

Eltern, die ihre Kinder nicht immer wieder anfeuern und loben, das wären grausame Eltern, die durch ihre Kälte das Leben der Kinder zum Schlechteren beeinflussen könnten.

Ein körperliches Zeichen der Anerkennung, wie das buchstäbliche Schulterklopfen eben ist, könnte in Zeiten von #Metoo und woker Talibanisierung des Arbeitsplatzes problematisch sein, doch begründetes, positives Feedback (zu Deutsch: Lob und Anerkennung), so viel sollte ein Chef auf jeden Fall geben können, wenn er nicht bald ohne (motivierte) Angestellte dastehen will.

Nehmen wir aber an, dass die Schulterklopfenden tatsächlich es nicht als gut und edel meinen: Hast du geprüft, ob sie dieselben Werte hochhalten wie du? Allzu oft haben weder Klopfer noch Beklopfter ihre Werte bedacht und ausformuliert, man folgt mehr so der Dynamik des Augenblicks.

Und doch, bei all diesem »geschriebenen Schulterklopfen« fürs Schulterklopfen, bleibe ich weiter dabei, dass es die gefährlichste Geste der Welt ist.

Wie ein Leckerli

Es ist evolutionär ja durchaus sinnvoll, dass ein Mensch sich danach sehnt, von Autoritäten auf die Schulter geklopft zu bekommen. Es ist gut für den Stamm, dessen erstes Ziel das Überleben eben als Stamm ist, sprich: die Bewahrung und Mehrung des eigenen genetischen Codes.

Jedoch, dass dir ein Fremder auf die Schulter klopft, und dass dir das gut tut, es bedeutet noch lange nicht, dass das, wofür du gelobt wurdest, auch langfristig gut für dich ist!

Es fühlt sich gut an, wenn der Chef dir für deine Erfolge lobend auf die Schultern klopft – doch er tut es, um dich darin zu trainieren, ihn reicher zu machen.

Jedes Schulterklopfen ist wie ein Leckerli, das man einem Hund gibt, um dem Tier ein bestimmtes Verhalten anzutrainieren.

Du willst einfach nur mal gelobt werden? Achte darauf, dass du dich nicht zum Hund machst – oder zu nochmal anderem Getier.

Deine Fehler ihre Fehler

Man hört und sieht gelegentlich, dass Menschen ihr Leben durch Alkohol oder härtere Drogen ruinieren. Ich kenne aber Menschen, bei denen frage ich mich, ob sie ihr Leben nicht durch das Verlangen nach billigem Lob von interessierten Dritten gründlicher vor die Wand fahren, als weiche oder harte Drogen es hätten bewirken können. Ja, Schulterklopfen ist eigentlich eine eigene Art von Droge.

Schulterklopfen ist die gefährlichste Geste der Welt, denn es kann dich trainieren, gegen deine eigenen langfristigen Interessen zu handeln.

Freunde mögen dir für deine unsinnigen Entscheidungen auf die Schulter klopfen, doch womöglich tun sie es nur unbewusst, weil deine Fehler ihre Fehler rechtfertigen. Oder sie klopfen dir nur auf die Schulter, weil sie gute Stimmung machen wollen – und selbst würden sie den Unsinn, den du tust, dir lieber nicht nachmachen wollen.

Kollegen oder Chefs, die dir auf die Schulter klopfen, doch in Wahrheit tun sie es – und vielleicht ist das eigentlich auch allen bewusst – weil du dir in Überstunden die Gesundheit kaputt machst, doch der Erfolg deiner Arbeit denen zugute kommt.

Politiker und Journalisten, die dir auf die Schulter klopfen, weil du brav die Parolen des Tages mitbrüllst und auch sonst brav mitmachst, sie hören sich gelegentlich an wie der Züchter, der die Schafe auf dem Weg zur Schlachtbank für ihren Gehorsam lobt (und wenn sie nicht gehorsam sind, kommt eben der Hund, und der sorgt dann für Gehorsam).

Beruhigend und berauschend

Ich ermahne mich also, dass ich nicht nur des Lobes wegen handeln soll (ich schreibe ja auch nicht wegen Ihrer Leserbeiträge, wie Sie an manchem Text, der Sie verärgerte oder befremdete, selbst feststellen konnten).

Ich ermahne mich, meinen Durst nach Schulterklopfen im Zaum zu halten, weil das Schulterklopfen für den, der es empfängt, die gefährlichste der Gesten ist.

Jedoch, ich frage mich, wonach ich dann mein Handeln ausrichten soll, mein Streben, mein Wünschen.

Die Antwort gehört wohl zu jener Art von Dingen, die wie das Gitarrespielen oder Schach sind, insofern man schnell die Grundlagen begreift, ein Nachmittag genügt bereits, zur Meisterschaft braucht es dann aber ein ganzes Leben. Es geht um Überzeugungen und Wichtigkeiten, es geht um den selbst gegebenen Auftrag. Es geht um Werte, die über Jahre und Jahrzehnte, vielleicht sogar über Generationen hinweg geformt und geprüft wurden.

Tue, was richtig ist, weil es richtig ist, nicht weil sie dir dafür auf die Schulter klopfen. Hüte dich davor, deine Seele zu verlieren wo sie nicht wiederzufinden ist, indem du tust, wovon du doch ahnen musst, dass es falsch ist, doch wofür sie dir so beruhigend und berauschend auf deine Schultern klopfen.

Ja, ein jeder von uns möchte auch mal das Schweinchen »Babe« sein, und er will gesagt bekommen: »Gut gemacht, Schwein.« – Was ist aber in der Realität ein wirklich gutes Schwein? Natürlich jenes, welches den besten Preis einbringt, nachdem es geschlachtet wurde.

Verscheuche jedes Schulterklopfen von dir, so wie du die eklige Schmeißfliege und die gefährliche Malariamücke verscheuchst.

Handle danach, was aus deiner echten, eigenen Überzeugung stammt, ob du zum Dank einen Schlag in den Nacken erwartest oder eine Parade auf der Hauptstraße.

Weiterschreiben, Wegner!

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