Dushan-Wegner

07.08.2022

Hollahi, hollaho, der Staatsfunk will kein Staatsfunk sein

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Luke Paris
Man versteht sich bestens mit dem Personal des Staates. Man ist mit dem Staat unauflösbar verknüpft. Man wird via Gesetz mit Milliarden versorgt – und die Inhalte klingen genau so. Doch man will partout nicht »Staatsfunk« genannt werden. Was aber dann?!
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Eine Seefahrt, die ist lustig! Ja, so singt ein altes Lied, und der Refrain geht dann: »Hollahi, hollaho, Holla-hia hia hia«.

Wir sind Ruderer, waren es gestern und werden es morgen auch noch sein, und das Leben ist eine Seefahrt. Ob wir dieser aber derzeit »lustig« finden, das könnte an der individuellen Grundeinstellung liegen.

Ich, du, er, sie, es – wir sind alle Ruderer, Seefahrer. Das metaphorische Wasser unter uns, von dem ich hier rede, besteht weiterhin aus Begriffen, Wörtern und deren Bedeutung. Die Wellen und Gischt der Worte aber sind das Gegeneinanderklatschen der bald im Stundentakt wechselnden und immer neuen Bedeutungen.

Der Schwanz wedelt den Hund

Während ich dies schreibe, wütet ein Sturm-im-Twitterglas über das Wort und den Begriff »Staatsfunk«. Darf man das Wort sagen? Wenn nein, warum eigentlich nicht?

Anlass ist der neueste Skandal um die RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. Es geht um »Compliance-Verstöße, Vetternwirtschaft und verschwenderischem [sic!, Stand 7.8.2022] Umgang mit den Beiträgen der Gebührenzahler, unter anderem beim Bau des neuen Digitalen Medienhauses des RBB« (tagesspiegel.de, 4.8.2022).

Schlesinger lebte in etwa das Leben, das man als Unbedarfter von einer Staatsfunk-Funktionärin erwarten könnte. Nun trat sie vom Ehrenamt als ARD-Vorsitzende zurück, bleibt aber superbezahlte RBB-Intendantin.

Schlesinger war, bevor sie 2016 zur Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg gewählt wurde, als »Investigativ-Journalistin« und Moderatorin des politischen Magazins »Panorama« bekannt, also beides Rollen, an denen man sich extra »moralisch« geben muss. – Jedoch: Nicht nur Wein lässt die Welt erkennen, was in einem Menschen wirklich steckt; auch Macht lässt uns sehen, welcher Charakter wirklich in einem Menschen haust. Ich wage die Vermutung, dass das Ergebnis bei manchem anderen »Journalisten« ähnlich wäre wie bei Frau Schlesinger.

In Berlin zeigte die (inhaltlich einzige) Oppositionspartei »AfD« nun, warum sie wohl gerade von ARD und ZDF so agressiv bekämpft wird.

Die AfD-Fraktion Berlin ließ den für Medienpolitik zuständigen Hauptausschuss zusammenkommen. Es sollte u. a. um »angeblich nicht korrekt abgerechnete Abendessen der Intendantin« gehen (tagesspiegel.de, 18.7.2022).

Die Parteien des Nicht-AfD-Blockes fanden die Einberufung des Medienpolitik-Ausschusses wegen einer solchen Lappalie arg nervig, vor allem in der heiligen Sommerpause, wenn Politiker sich doch von ihrer harten Arbeit erholen sollen.

Frau Schlesinger wie auch zuständige Polit-Funktionäre wollten nicht zum Ausschuss erscheinen (tagesspiegel.de, 18.7.2022).

In einem geradezu atemraubenden Akt des performativen Widerspruchs erklärt ein Politiker namens Christian Goiny: »Wir haben keinen Staatsfunk, sondern öffentlich-rechtliche Sender«, und man solle, wenn ich das richtig verstehe, das Ergebnis bereits angelaufener Prüfungen abwarten (ebenda).

Was will Herr Goiny damit sagen, dass er zur Abwehr der Besprechung im Hauptausschuss anbringt, ARD und ZDF seien »kein Staatsfunk«? Nun, das performativ Widersprüchliche scheint mir genau dann zur Oberfläche dieses schäumenden Sprachwassers hochzubrodeln, wenn man bedenkt, welche Funktionen eben dieser Politiker einnimmt. Er ist erstens CDU-Abgeordneter im »Abgeordnetenhaus-Ausschuss für Engagement, Bundesangelegenheiten und Medien«, und zweitens gehört er dem Rundfunkrat des RBB an (so ebenda).

Zu Deutsch, allgemeiner und doch präziser gesagt: Die Bundes- und Landespolitik garantiert ARD und ZDF ihre zwangsweise eingezogenen Milliardenbeiträge, u.a. mit Rückendeckung eines geradezu peinlichen Urteils des Bundesverfassungsgerichts unter Vorsitz eines strammen CDU-Mannes (siehe Essay vom 5.8.2021). Ebendiese Politik sitzt in den Verwaltungsräten, welche kontrollieren, ob alles mit »linken Dingen« zugeht. Und wieder genau diese Politik sitzt in den Ausschüssen, welche die politische Linie gegenüber diesen Anstalten bestimmen sollen.

Wenn Politiker in ihren Funktionen nicht »der Staat« sind, was ist dann »der Staat«? Diese via Gesetz finanzierten und vom Staat kontrollierten Anstalten wollen nicht »Staatsfunk« genannt werden?

Das einzige Wort, das mir passender erschiene als »Staatsfunk« wäre »Staat im Staat«-Funk, doch das geht etwas schwer von der Zunge. Wenn der Staat bildlich einen Hund darstellt, und der Staatsfunk dessen Schwanz, dann frage nicht nur ich seit einiger Zeit, ob nicht der Schwanz mit dem Hund wedelt. (Siehe dazu auch den wichtigen Film »Wag the Dog«!)

Und doch, und doch, ich will den Humor nicht verlieren. Ich stimme eine Strophe des Liedes von der lustigen Seefahrt an: »Mit der Fleischback schwer beladen schwankt der Seemann übers Deck; doch das Fleisch ist voller Maden, dass er denkt, es läuft ihm weg.«

(Anmerkung: Sicher, es klingt lustig, dass das Fleisch mittels der Maden selbst weglaufen soll. Meine Lebenserfahrung sagt mir allerdings, dass ich es wäre, der aus Ekel vorm madendurchsetzten Fleisch flieht. Egal. Komisches Lied.)

Wellen und Gischt

Ich meine mich zu erinnern, dass es Wolfgang Kubicki war, der für eine juristisch saubere Nicht-Beleidigung empfahl, nicht zu sagen, »X ist ein Idiot«, sondern »X bringt alles mit, was es braucht, ein Idiot genannt zu werden«. (Sollte ich die Quelle finden, reiche ich sie hier nach. Vielleicht täuscht mich auch meine Erinnerung, denn ich bringe ja einiges mit, was es braucht, um ein Idiot genannt zu werden.)

Von mir aus! Wenn ARD und ZDF nicht »Staatsfunk« genannt werden wollen, dann könnten wir auch formulieren: »ARD und ZDF bringen alles mit, was es braucht, ›Staatsfunk‹ genannt zu werden.«

Der Trick dieser Formulierung ist natürlich, dass man damit beschrieben hat, wie Wörter und Begriffe tatsächlich funktionieren: Eine leicht wiedererkennbare Ansammlung von Eigenschaften wird mit einem Wort verknüpft, das für eben diese Ansammlung von Eigenschaften steht.

Wenn Politiker und Journalisten in Deutschland nun nicht möchten, dass ARD und ZDF leicht verständlich »Staatsfunk« genannt werden, dann sagen sie: Auch wenn ARD und ZDF auf viele Arten vom Staat abhängig und mit seinen Politikern verknüpft sind, was in den »Staatsverträgen« geregelt ist und dem unbedarften Zuschauer an den Sendungen und Inhalten täglich überdeutlich wird, wollen sie dennoch nicht mit dem Wort bezeichnet werden, welches in traditioneller Sprache für eben diese Ansammlung von Eigenschaften steht.

Ja, ich nenne diese aufbrausenden Kämpfe um Wortbedeutung die »Wellen« und die »Gischt« auf dem See der Wörter.

Exkurs: Weitere Strophe

Ein Exkurs: Ich greife mir mein Liederbuch, und ich singe mir eine weitere Strophe aus jenem Lied von der lustigen Seefahrt vor: »Und der erste Maschinist, ist kein Jude, ist kein Christ, unser erster Offizier, der trägt Wäsche aus Papier.«

Sind Sie auch so erschrocken, lieber Leser, in jenem alten Lied kommt das Wort »Jude« vor! – »Darf man das heute sagen?«, fragte schon dereinst Harald Schmidt. – Antworten wir mal so: Politiker machen sich regelmäßig lächerlich damit, statt »Juden« lieber »Menschen jüdischen Glaubens« zu sagen. Erstens offenbaren sie damit einen latenten eigenen tiefsitzenden Antisemitismus, weil sich ihnen »Jude« offenbar wie ein böses Wort anfühlt. Und zweitens erklären sie damit mal eben alle säkularen Juden zu Nichtjuden. Ja, manchmal sind es jene, welche den Sturm wechselnder Bedeutungen anheizen, die selbst in die aufgewühlten Wortwogen hineinfallen.

Okay, Sie können die Reling wieder loslassen – Ihre Knöchel werden ja schon ganz weiß! Beenden wir lieber wieder diesen Exkurs.

Scharf durch die zischende Gischt

Sie und ich und die meisten von uns sind kleine Ruderer. Unser Verstand und unser Sprachgefühl sind unser Boot. Wir rudern, so gut wir können, um nicht den Verstand zu verlieren und unterzugehen. Ich habe gesehen, wie – bildlich gesprochen – lieben Mitbürgern »das Boot umkippt«. Es ist kein angenehmer Anblick.

Du ruderst auf dem Meer der Propaganda und ihrer künstlichen Framing-Wörter. Dein Schiff schneidet scharf durch die zischende Gischt der Bedeutungsverschiebung.

Eine Frage haben wir noch nicht beantwortet: Auf was für einem Schiff ruderst du eigentlich?

Fühlst du dich wie der reiche Student an einer Elite-Uni, der das Rudern als teuren Sport betreibt – und der jederzeit aussteigen und ans sichere Land treten kann? Betreibst du also das täglich neue Sprachspiel eher so als elitären Freizeitspaß – oder vielleicht sogar zum Profit, von ausländischen Akteuren finanziert und aktiv den Westen schwächend?

Oder findest du dich auf dem anderen Ende der Skala wieder? Bist du Sklave auf der Sprachgaleere, angekettet wider willen, und ruderst stöhnend durchs Meer der Worte und Unsinnigkeiten, aus Angst vor Hunger und Peitsche? Versuchst du irgendwie zu überleben, als Lehrer oder Beamter etwa, und als solcher mühst du dich redlich, die Lüge namens »Wahrheit des Tages« auch brav täglich neu einzuüben?

Ach, wahrscheinlich bist du weder Luxus-Spaß-Ruderer noch Galeeren-Sklave. Ich vermute einfach mal, dass es dir geht wie mir: Die deutsche Debatte wirkt nur so lange mega-bewegend und mega-wichtig, wie man nicht den globalen Maßstab kennt.

Für ein Weltmeer

Die deutsche Debatte ist kein Ozean, nicht in der Weite und nicht in der Tiefe – auch wenn es manchem, der nicht über den Tellerrand zu sehen vermag, durchaus so vorkommen mag. Die deutsche Debatte ist mehr so ein Parksee, der sich für ein Weltmeer hält. Wir sind Ruderer auf einem wildgewordenen Parksee, und wir rudern hektisch in geradezu niedlichen kleinen Ruderbooten.

Unser Parksee mag uns wie die Welt erscheinen, und unser Ruderboot ist uns die private Arche Noah. Jedoch, wenn eine höhere Macht auf uns hinabsehen sollte, dann lächelt sie wohl irritiert hinab, und fragt sich, warum wir eigentlich so kurzsichtig und zugleich so hektisch sind. Und ich hoffe sehr, dass sie nicht, wie einst bei Hiob, mit dem Teufel eine Wette abschließt und unser Ruderbötchen noch etwas wilder umherhüpfen lässt.

Mit jedem Bedeutungswechsel wird das Wasser etwas wütender. Das Boot schwankt. Ich rudere mit aller Kraft, um hier und da eine Bedeutung festzuhalten – und in meiner Erkenntnis weiterzukommen.

Hier sitze ich nun in meinem kleinen Ruderboot, und ich rudere, denn ich kann nicht anders. Eine Seefahrt, die ist lustig, der Staatsfunk ist kein Staatsfunk, hollahi, hollaho!

Weiterschreiben, Wegner!

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