Dushan-Wegner

24.11.2017

Mit Journalisten reden

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild von Jan Tielens
Wie diskutiert man mit Leuten, deren Prämissen und Logik ganz andere als die unseren sind? Wir können ja versuchen, Denkfehler offenzulegen (auch die eigenen!) – und dann zu reparieren.
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Wenn mir etwas defekt scheint und es sich mit einigen wenigen Handgriffen reparieren ließe, dann erwacht in mir ein Reparatur-Reflex. Ich muss es geradezu reparieren. (Bevor meine Gattin an dieser Stelle laut zu lachen beginnt: Ich rede von Defekten in Logik und Argumentation.)

Vielleicht ist dieser Reparatur-Reflex ein Fehler auf meiner Seite, dann müsste eben dieser »repariert« werden – doch es macht so viel Spaß!

Wenn bösen Menschen Unheil widerfährt

In Thüringen hat dieser Tage ein »Kunst-Projekt« den AfD-Politiker Björn Höcke neu in die Schlagzeilen gebracht. Die »Künstler« nutzten das Andenken an den Holocaust für ihr Späßchen und setzten dem Politiker eine Kopie des Berliner Holocaust-Mahnmals vor die Haustür. (Ich erwähnte es.) Das Projekt erntete Kritik von allen Seiten des politischen Spektrums, doch nicht alle Kritik war gleich.

Ein Kommentar in Spiegel Online (Titel: »Trotzdem daneben«) steigt so ein:

»Wenn bösen Menschen Unheil widerfährt: Wer freut sich da nicht spontan und ungefiltert? Auch bei mir hat die neue Aktion des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) zunächst Schadenfreude ausgelöst.«
spiegel.de, 23.11.2017

Sie und ich sind wohl nicht die Zielgruppe dieses Journalisten. Ich denke nicht, dass ich ein »Heiliger« darin bin, dass ich mich eben nicht darüber freue, wenn »bösen Menschen« Unheil widerfährt. Es ist für mich eine Frage des Anstands und der menschlichen Reife. Der Journalist Christoph Twickel lässt hier gleich beides vermissen.

Twickel schreibt für den Spiegel und für Die Zeit. (Auf Amazon.de finden wir von/mit Herrn Twickel übrigens eine Hugo-Chávez-Biographie – »Hugo Chavez ist eine schillernde Figur«, und »Das Projektil sind wir«, einen Interview-Band über die RAF »jenseits von Verdammung und Verklärung«, der die »emotionale Motivation des Widerstands einzufangen« (SZ) weiß, und dann noch ein Buch namens »Gentrifidingsbums«.)

Der Einstieg dieses Spiegel-Kommentators »holt mich so vom Persönlichen her nicht ab« – im Gegenteil. Es scheint mir vielmehr ein weiteres Beispiel zu sein für die innere Verrohung jener Denkart, die man gemeinhin »Gutmenschentum« nennt. Doch, lesen wir weiter.

»Linke Antifagruppen sehen ihre Aufgabe darin, rechtsradikale Zusammenhänge und Individuen zu markieren – und in der Tat ist es legitim, Holocaust-Leugner und Neonazis in ihrem privaten und beruflichen Umfeld zu outen, um ihnen dadurch das bürgerliche Leben schwerer zu machen.«
spiegel.de, 23.11.2017

Das ist kein idealisiertes Bild der Antifa mehr, das scheint vielmehr schlicht gelogen. Antifa praktiziert heute Straßen-Terror (laut BILD auch wohl teils unter Einfluss aufputschender Drogen) und brutale Gewalt gegen die politische Opposition. Antifa versucht, die Äußerung abweichender Meinungen durch massive Bedrohung und Störung zu verhindern. – Die Behauptung zur Antifa ist mehr »Aktivismus« als realitätsnahe Beschreibung eines Sachverhalts, doch es wird noch wilder.

Betrachten wir diesen Satz:

»[…] in der Tat ist es legitim, Holocaust-Leugner und Neonazis in ihrem privaten und beruflichen Umfeld zu outen, um ihnen dadurch das bürgerliche Leben schwerer zu machen.«

In der Denkwelt des Autors gelten für jene, die er »Holocaust-Leugner« und »Neonazis« titelt, die in den ersten Artikeln des Grundgesetzes verankerten Grundrechte wohl nicht mehr. Was der Autor hier »outen« nennt, bedeutet in der Realität (mit der er, der Schreiber, dann nichts zu tun hat, klar) schon mal Anrufe bei Arbeitgebern (mit dem Ziel der Entlassung und wirtschaftlichen Vernichtung etwa eines Familienvaters) oder Diffamierung an der Universität (mit dem Ziel, ein Studium unmöglich zu machen), und selbst über Drohszenarien in Schulen wurde von Einzelnen phantasiert. Sie setzen praktisch um, was sie ihren Gegnern in der Theorie vorwerfen.

Hierzu muss man Reparaturen anbringen:

  1. Der erwähnte Höcke mag der »Neuen Rechten« angehören und sein Sound mag sich nach Schwarz-Weiß-Filmen anhören, er ist aber weder Holocaust-Leugner noch Neonazi.
  2. Selbst wenn einer die betreffenden Eigenschaften aufweist, gelten für ihn noch immer Recht und Grundgesetz.
  3. In der Logik des Spiegel-Autoren ist die Nachstellung und Nötigung politischer Gegner selbst in den privaten Bereich hinein wohl »legitim«, wenn man diese nur vorher »Neonazi« nennt oder behauptet, sie hätten den Holocaust geleugnet.

Der Spiegel-Autor kommt dann im Verlauf des Artikel doch noch zum Schluss, dass die Aktion ein Fehler sei – seine Gründe sind aber eigen:

»Und genau das ist das Problem: Die Aktion outet nicht, sie schenkt Aufmerksamkeit.«
spiegel.de, 23.11.2017

In der Ideologie eines Gutmenschen mit Presseausweis ist es nicht das Problem, dass die »Künstler« hier genau die anti-demokratische und anti-freiheitliche Denkweise an den Tag legen, die sie ihrem Gegner vorwerfen. In der Logik des Autors ist die stille Einschüchterung von Andersdenkenden wohl »legitim« – sie darf dem Opfer nur nicht »Aufmerksamkeit« verschaffen.

Denkt man seinen Ansatz und seine Problemperspektive zu Ende, könnte man zum Schluss kommen: Er predigt den Totalitarismus. Diese Leute träumen von einem neuen, linken Menschen und sind bereit, jene sozial und wirtschaftlich aus dem Weg zu räumen, die sich ihrer Caféhaus-Ideologie in den Weg stellen.

Zerpflücken und reparieren

Nutzt es etwas, mit diesen Menschen zu diskutieren? Ich bezweifle es inzwischen fast. Es gilt noch immer die alte Regel, dass Sie einen Menschen nicht dazu bewegen werden, etwas zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, es nicht zu verstehen. (Upton Sinclair) Was für eine Debatte wollen Sie führen mit einem, der sich öffentlich darüber freut, wenn jenen Menschen, die er nicht mag, ein Unheil geschieht?

Es ist langfristig nützlicher, wenn wir wieder und wieder solchen Unsinn zerpflücken und die heimlichen Denkfehler aufzeigen. Den Fehler offenzulegen ist der Beginn der Reparatur.

Diese Leute wollen den (linken) Einheitsmenschen und sie erfinden ein Recht, das nur für sie, »die Guten« gilt. Wir aber wollen, dass jeder »nach seiner Façon selig werden« kann (Friedrich II.). Und wir wollen bei einem Recht bleiben, das für jeden Menschen gleich gilt.

Gute Wünsche

Anders als jener Autor, der sich darüber freut, wenn »bösen Menschen Unheil widerfährt«, wünsche ich auch ihm alles Gute, viel Gesundheit und beruflichen Erfolg sowieso. Ich halte ihn aber auch nicht für »böse«, nur für in seiner moralischen Argumentation wenig trittsicher.

Dies war der Anfang meines Reparatur-Versuchs. Jener Autor und Sie, die Leser, können ja die Reparatur fortführen. Auf der anderen Seite: Man muss auch wissen, wann etwas nicht zu reparieren ist. Manchmal ist es besser, das Alte alt sein zu lassen und einen ganz neuen Gedanken zu beginnen.

Weiterschreiben, Wegner!

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