Bei focus.de, 28.3.2024 lese ich aktuell Zeilen, die mich aufs Neue an einen berühmten Anti-Krieg-Song von Bob Dylan denken lassen. Und dabei handelt der Text auf den ersten Blick gar nicht vom Krieg. Sondern Heizkosten-Nachzahlungen in Berlin.
Doch eines nach dem anderen. Lasst mich zunächst das Lied (neu) einleiten. Lasst mich über ein einfach zu spielendes Lied schreiben, und über den Verlust von Nostalgie.
d-Moll, C-Dur, e-Moll, a-Moll
Ich vermisse meine nostalgischen Gefühle bei Bob Dylans »Masters of War«. Es ist ein genial simpel strukturiertes Lied, wie so manches Dylan-Lied. Die Akkorde sind einfach zu spielen (d-Moll, C-Dur, e-Moll, und a-Moll im Refrain), ob am Klavier oder auf der Gitarre. Die Melodie ist ohne Anstrengung zu singen. Also tat ich es, und es fühlte sich so fein nostalgisch an.
»Masters of War«, 1963 erschienen, ist ein Song gegen den Krieg. Es klagt die an, die am Krieg verdienen. Die, die »großen Kanonen bauen«, die »Todesflugzeuge«. Die, die sich hinter hohen Mauern und Schreibtischen verstecken, und die »mit der Welt spielen«, als sei die Welt ihr »kleines Spielzeug«.
Ich spielte und spiele die Akkorde der Kriegsmeister, und ich sang die Melodie immer wieder gern. Bis heute. Zuletzt aber, und deshalb schreibe ich diese Zeilen, wollte sich ein sonst mit diesem Lied verbundenes Gefühl nicht einsetzen. Es fehlt plötzlich und dramatisch: die Nostalgie.
Als die ersten Neandertaler-Stämme einander die abgeflachten Neandertalerschädel einschlugen, existierten bestimmt bereits einige besonders gewiefte Neandertaler, welche besonders effektive Knüppel und Schlagsteine zum Tausch anboten.
Und nun sind sie wieder da. Die Kriegsmeister hinter den Kulissen und ihre gemieteten Pistolen auf offener Bühne, alle sind wieder da.
Ach, ich bin Realist genug: Vermutlich waren sie die ganze Zeit da, von Neandertalerzeiten bis heute. Heute sind sie nur sichtbarer, frecher – buchstäblich »unverschämt«.
Nein, »Masters of War« weckt in mir keine Nostalgie mehr. Dafür ist es viel zu sehr »jetzt«.
Zwei Aspekte erscheinen mir heute besonders aktuell. Der eine wirkt wie ein Beleg dafür, dass wir uns zurückentwickeln. Es hat mit den letzten Zeilen zu tun.
Wir entwickeln uns zurück
Die letzte Strophe lautet, übersetzt: »Und ich hoffe, dass ihr sterbt. Und dass euer Tod bald kommen wird. Ich werde eurem Sarg folgen, am bleichen Nachmittag. Und ich werde zuschauen, während euer Sarg in die Erde gesenkt wird. Hinunter zu eurem Todesbett, und ich werde über eurem Grab stehen, bis ich sicher bin, dass ihr tot seid.«
Ich habe es früher gesagt, und ich sage es wieder: Würde Bob Dylan diese Zeilen heute neu singen, würde er als Rechter und Putinfreund und was weiß ich gelten, er käme wegen »Hassrede« vor Gericht, würde zensiert und gecancelt. Vermutlich würden ihn die modernen Kriegsmeister persönlich anzeigen und von den Bühnen wegverbieten. Ja, wir entwickeln uns zurück.
Doch da wäre ein weiterer Aspekt, und der ist offenbar größer als »nur« Krieg – und damit wären wir wieder beim Artikel im Focus.
7000 Euro
Ein Gedanke im Song »Masters of War« schockt mich bis heute. Es sind die Zeilen, die frei ins Deutsche übertragen etwa so lauten: »Du hast die größte Angst unter uns geworfen, die überhaupt geworfen werden kann, nämlich Angst davor, Kinder in die Welt zu bringen.«
Im erwähnten Focus-Artikel geht es nicht um Krieg, zumindest nicht um den Krieg mit Panzern und Flugzeugen und Raketen.
Es geht um horrende Preissteigerungen, Nachzahlungen und Forderungen gegenüber Mietern, die in den Menschen blanke Angst vor der Zukunft wecken.
Bürgern, die ohnehin von Monat zu Monat haushalten, die in simplen Mietwohnungen leben und nichts anderes haben, flattern plötzlich Forderungen über 1600, 2000 oder 7000 Euro nach Hause – ohne, dass sie sich irgendetwas hätten zuschulden kommen lassen!
Doch Nostalgie
Eine Mieterin wird zitiert: »Ich bin jetzt 37 und habe echt Angst, alt zu werden«.
Eine andere: »Das macht es schwierig, nicht auf komische Gedanken zu kommen«.
Was für »komische Gedanken« sollen das sein? Es wird im Text nicht ausformuliert.
Die Politik hat unbegrenzt Geld für den Krieg nebenan und für die SMS-Freunde bei den Pharmakonzernen und für Fahrradwege in Peru und für »junge Männer« sowieso – doch deutsche Mieter, unsere sehr konkreten »Nächsten«, werden ruiniert und auf »komische Gedanken« gebracht.
Die Angst davor, Kinder in die Welt zu bringen, von welcher Bob Dylan singt, sie ist tatsächlich noch vergleichsweise milde im Vergleich zur blanken Angst, zu sein.
Und – oh! – da sind sie plötzlich doch wieder: Nostalgie, Sehnsucht!
Und zwar: Sehnsucht nach einer Zeit, als Menschen »nur« fürchteten, Kinder in die Welt zu bringen. Heute fürchten die Menschen überhaupt nur, zu sein.
Nicht einmal Jesus
Ich schreibe diese Zeilen kurz vor Ostern 2024, also vor der Christen höchstem Fest, wenn die PR-Knechte der Kriegstreiber und andere gänzlich Gottlose viel vom Gottessohn reden (während, wenn sie eine Bibel anfassten, ihnen vermutlich die Hand in Flammen aufginge).
Lasst mich also, ganz im österlichen Geiste, nur ehrlicher, diese Gedanken mit übersetzten Worten aus Dylans »Masters of War« abzurunden: »Eine Sache weiß ich, auch wenn ich jünger bin als ihr: Nicht einmal Jesus würde vergeben, was ihr tut.«