Dushan-Wegner

21.11.2023

Wie lange noch?

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Bei aller täglichen Debatte und allem Streit über Rezession, Klimapanik, Einwanderung und so weiter, die eine große Frage ist doch: Wie lange können wir uns noch durchwursteln bis es »Rumms!« macht?
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Im Jahr 1902, weit vor den beiden Weltkriegen, schrieb der 26-jährige Rainer Maria Rilke sein Gedicht »Herbsttag«. Ich lese dieser Tage die Nachrichten und höre jene drei Strophen als Akkorde auch hinter unseren Umbrüchen.

Bevor wir zum ganzen Gedicht kommen, lassen Sie mich erst Zeile für Zeile durchgehen, Gedanken dazu notieren.

»Herr: es ist Zeit«

Man könnte – und sollte wohl auch – das Gedicht als Metapher auf das Altwerden des Menschen lesen, der seinen Sommer hinter sich hat und hofft, dass sein Herbst golden werden möge. Behalten wir das im Hinterkopf – es wird noch wichtig werden.

Etwas Großes geht in diesen Tagen und Jahren zu Ende.

Gibt es einen einzelnen Handelnden hinter diesen Ereignissen, ob irdisch oder überirdisch? Macht es einen Unterschied? Dass gewisse Akteure, die sich als Wohltäter preisen lassen, die Menschheit hassen und uns dezimieren wollen, wird ja offen gesagt.

Ist es denn eine höhere Macht, die unsere Zeit bemisst, uns unser Mene Tekel Upharsin schreibt? Nun, wenn die niederen Mächte wir selbst sind, warum nicht auch die höheren?

»Der Sommer war sehr groß«

Dies sind die letzten Tage des Westens.

Und auch die letzten Tage zwischen dem einen und dem nächsten Mittelalter. Wer heute Karriere machen will, dient sich an, um diesen Sommer der westlichen Kultur schneller zu Ende zu bringen.

Doch groß war es, was wir hatten!

»Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los«

Eine Sonnenuhr im Schatten ist keine Uhr – sie ist ein schräg herumstehender Stein.

Was ist denn die Uhrzeit heute? Keine Uhrzeit. Eine Ära endet, die nächste steht kurz bevor, und wenn sie beginnt, werden »auf den Fluren« die »Winde« losgelassen.

»Befiehl den letzten Früchten voll zu sein«

Noch spielen sie Musik in den Konzerthäusern. Mit Geigen, Trompeten und der gelegentlichen Triangel. Noch hängen die Bilder in den Museen, warten geduldig auf deinen Besuch.

Schaut nur auf die Gebäude, solange die neuen Barbaren sie noch nicht abgerissen haben!

Betrachtet die Gemälde, bevor die neuen Barbaren sie beschmiert und zerrissen haben. Fahrt einmal noch mit Fingern und Augen die Bronze und den Marmor der Statuen entlang, bevor die neuen Barbaren unser Gedächtnis umgeworfen und in die Flüsse geworfen haben. Lest die Bücher ein zweites, ein drittes Mal, und lernt die Gedichte auswendig, bevor die neuen Barbaren unser Gewissen und unser Gefühl verbieten – verdächtig ist es ihnen ja bereits.

»Gib ihnen noch zwei südlichere Tage«

Wie viel Zeit bleibt uns denn noch? Die Sonnenuhren liegen im Schatten, wie sollen wir die Zeit messen?

Da war doch etwas: Aus Abend und Morgen wird der nächste Tag. Wir werden noch einige Fälle des Neu-Aufbäumens erleben. Und ich hoffe, dass sie kommen!

»Dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein«

Wir kennen das Gedicht ja. Wir wissen ja, was gleich folgt, den Hausbau betreffend.

Doch der bald folgende Schocker wird hier vorab gespiegelt, positiv und auf anderer Ebene: Jetzt ist nicht die Zeit, die Kultur aufzugeben. Jetzt ist die Zeit, sie schnell noch zur Vollendung zu bringen.

Doch dann schließlich das furiose Finale des Gedichts »Herbsttag«, die dritte Strophe:

»Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr«

Das ist heute keine Metapher, das ist knallharte Realität! Immobilienmakler klagen: Familien, die früher ein Haus gekauft hätten, lassen heute ihr Kapital von der Miete auffressen. Die offen bösartigen Grünen sagen ja geradeheraus, dass Familien sich keine Häuser mehr bauen sollen.

»Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben«

In diesem einen Punkt wage ich, Herrn Rilke zu widersprechen. Zumindest als Möglichkeit. Wer sich etwas Mühe gibt, der kann heute Menschen finden, die so denken wie er. Die Masse und Mehrheit mag verloren sein, gehirngewaschen und gewissengebügelt. Die Gewissen- und Verstandgestraften bleiben eine Minderheit, doch wir werden mehr und »allein« sind wir also nicht!

»Wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben«

Moment! Wem schreibt einer, der allein ist? Sicher, auch ein Brief an sich selbst – sprich: ein Tagebuch – tut der Seele gut.

Jeder Brief ist aber eine Übung. Eine Übung darin, sich verständlich zu machen, dem anderen zu helfen, mich zu verstehen – und nicht selten bin »der andere« ich selbst, und dann schreibe ich, um mir selbst zu helfen, mich zu verstehen.

Mehr Klarheit wagen! Wach bleiben, so lange wie möglich, denn schlafen wird man später noch, ob man will oder nicht.

Und lesen! Lesend dem Menschen ähnlicher werden, der zu werden man schon so lange aufgeschoben hat.

»Und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben«

Wenn alle schmachtenden Briefe geschrieben und alle süßen Weine getrunken sind, dann bleibt nur noch: als Gespenst in den Alleen umherwandern.

Nur solange man jung und also dumm ist, ist diese Vorstellung erschreckend! Mit dem Fortschreiten der Herbsttage finde ich überraschend guten Trost darin, bald durch die Alleen zu geistern und den Leuten vom Sommer zu erzählen.

Wenn weitergeht, was heute in und an unserem Land passiert, werden auch wir, als Kultur und als Volk, bald durch die Alleen der Weltgeschichte geistern.

Und wenn wir dann umhergeistern, dann lasst uns vom Sommer erzählen, von seinen reifen Früchten. Lasst uns den Spaziergängern unsere alten Gedichte in die Ohren flüstern, zur Erinnerung an den Sommer.

Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

So viel für heute

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