Der Kreis Vinton im US-Bundesstaat Ohio ist stolz darauf, dass über 70 Prozent seiner Fläche bewaldet sind. Weiße Eichen wachsen dort, Schwarzbirken und Sumpfrosen. Im Vinton County befindet sich das Dorf Hamden mit knapp unter eintausend Einwohnern. (Mit Google Maps können Sie einen virtuellen Spaziergang durch Hamden unternehmen.)
Von den EU-Ländern aus können wir leider nicht die Website der lokalen Zeitung einsehen (die Meldung wäre hier: vintonjacksoncourier.com, 7.5.2019) – schönen Dank an Brüssel, geht doch alle nach Hause, so ihr denn eines habt! – doch auch in den überregionalen US-Medien wird dieser Tage ein ganz besonderer Fall aus Hamden gemeldet (etwa nypost.com, 8.5.2019).
Eine Frau mittleren Alters hatte sich am Montag, den 6. Mai 2019, gegen 9 Uhr morgens zu einem Einfamilienhaus in Hamden illegal Zugang verschafft hatte. Sie kam durch den Hintereingang, saß eine Weile auf der Couch. Sie streichelte den Hund und wusch das Geschirr. Dann ging sie wieder.
Es wird davon ausgegangen, dass die Dame »unter Einfluss von Substanzen« war, und damit ist nicht Kaffee gemeint.
Die Dame wurde festgenommen und sitzt derzeit im Ohio Regional Jail, ihr wird Einbruch (»burglary«) zur Last gelegt.
US-Medien verbreiten das Foto der Festgenommenen und dieses Fotos spricht Bände. Wir sehen in die Augen einer mageren, traurigen Frau mit auffälligen Flecken im Gesicht.
Was trieb sie? – Ja, ja, man kann sagen »Drogen«, doch diese Drogen, so sie tatsächlich im Spiel waren, legten doch nur etwas frei, was in ihr schlummerte – eine Sehnsucht, einen Wunsch, eine »Ordnung der Kreise«, etwas zutiefst Menschliches.
Die Frau hat, formal betrachtet, wohl ein Verbrechen begangen, sie ist eine »Böse«, ein »Gegner der Anständigen«, und doch beschäftigt mich die Frage: Wonach sehnt sich eine Frau, die in ein Haus einbricht, um auf dem Sofa zu sitzen, den Hund zu streicheln und das Geschirr zu waschen?
Sind Sie und ich nicht auch – metaphorisch betrachtet – diese Frau, die vermutlich zuvor im Leben alles verlor und einfach nur einmal ein wenig Normalität wollte?
Flach wie eine Regenpfütze
Es ist dem Menschen eigen, bei jeder großen Erzählung auch für den Schurken gewisses Interesse aufzubringen – wenn der Protagonist, etwa ein Raskolnikow, ein Bateman oder Miltons Satan, nicht bereits der Schurke ist.
Mancher Leser und Kinogänger identifiziert sich mit dem »Joker« des DC-Universums. (Randnotiz: Nun wird dem Terroristen »Joker« ein ganzer Blockbuster gewidmet, mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle und im Trailer mit dem denkbar banalen Sprüchlein angekündigt: »Ich dachte immer, mein Leben sei eine Tragödie, nun weiß ich, dass es eine Komödie ist.« – Es ist flach wie eine Regenpfütze, der Erfolg ist gewiss.)
Ja, die Faszination des Schurken ist menschlich, wenn auch diese Neigung unterschiedlich ausgeprägt ist; wir denken etwa an die Besessenheit des SPIEGELs mit Hitler (immer wieder auf dem Cover, mal ins Sonnengotthafte verklärt, siehe SPIEGEL 30/1997). (Zitat: »Hitler faszinierte die Menschen durch seine „knallblauen“, immer schon leicht hervorstechenden „strahlenden“ Augen, denen viele Besucher nicht standzuhalten vermochten.«, aus: DER SPIEGEL, Ausgabe 6/1964)
Diese ans Erotische grenzende Faszination der selbsterklärten Guten mit dem unbezweifelbar Bösen ist mir fremd.
Fremd ist sie mir
Wer nicht-nur-heimlich die Symbolik der NS-Ära vermisst, sich aber beim Ausleben seiner Lust dennoch moralisch »gut« fühlen möchte, dem bietet die Unterhaltungsmusik-Gruppe »Rammstein« dieser Tage ein klug geschnürtes Gesamtpaket an.
Wer sich auf die deutschen Schenkel klatscht, wenn der Spaßmacher beim Staatsfunk sich als Hitler verkleidet oder wer gemeinsam mit anderen Mitläufern mit Runen im Logo gegen Abweichler vorgehen will, der wird sich auch freuen, mit Nazi-Ästhetik »gegen Nazis« zu sein. Das Böse ist heute Marketing-Gag. Wer die echten Nazis appetitlich findet, aber die Gewissenskalorien meiden will, der könnte an Rammstein und Freunden gewissen Gefallen finden.
Das »Deutschland« der neuen Rammstein-Videos ist das Deutschland der Linken, welche die Welt in wir-vs-die teilen, welche den Gleichschritt feiern und zugleich überall »Nazis« sehen, diese Hirn-aus-Haltung-an-Wir-sind-mehr-Gröler, welche »den Nazis« ins Gesicht schießen möchten, und die doch nie zu merken scheinen, dass sie immerzu und immer mehr nur in den Spiegel brüllen, dass sie es selbst sind, die heute Bücher verbrennen, die Menschen verfolgen und deren Weltbild aus wenig mehr als Übermensch-Phantasien und Feindbildern zusammengenietet ist.
Fremd ist sie mir, diese Lust am Bösen und seinen Symbolen. Nein, ich bin keiner, der gebannt die Schurken verehrt – das Leben ist zu kurz und unsere Aufmerksamkeit zu wertvoll, als dass wir sie allzu lange dem Bösen und seinen Zeichen schenken sollten.
Ich finde mich in den Bösen wie auch in Verbrechern sowieso nicht, nur diese eine Frau, die in ein Haus eindrang um das Geschirr zu spülen, den Hund zu streicheln und ein wenig auf dem Sofa zu sitzen, die ist unter den Verbrechern eine Ausnahme, und sie eine Böse zu nennen erscheint mir ganz unmöglich. Ich verstehe diese Frau, ein wenig, und ich bin auf gewisse Weise auch so ein Einbrecher, der einfach nur ein wenig auf dem Sofa sitzen will – metaphorisch gesprochen.
Herzlichen Glückwunsch
Manche Philosophie lehrt uns, dass im Menschen das Gute und das Böse vereint sind – die Dualität. Der Gute, der schaudernd das Böse betrachtet, erkennt einen Teil von sich im Bösen wieder, und die Angst vor dem Bösen in sich selbst lässt den Guten erschaudern, und dieses Schaudern empfindet er als angenehm, und so liest er den Spiegel und schaut Rammstein-Videos. – Dank der »Relevanten Strukturen« sehen wir es dann doch etwas präziser: Der Mensch kann Strukturen als »relevant« empfinden, die einander in Teilen oder vollständig ausschließen. Wer seine Karriere mag und seine Familie zugleich, der ähnelt dem abstrakten Prinzip nach dem Bösewicht, der die Gesellschaft zugleich retten und zerstören will.
Selbst wer keine Comics liest und nicht einmal die neuen Batman-Filme gesehen hat, kennt den Joker als Gegenspieler des Batman. Kennen Sie den Joker und können ihn ein wenig verstehen, finden ihn gar sympathisch? Herzlichen Glückwunsch: Sie haben gerade Sympathie für Terrorismus gezeigt – aber gut, das tun Linke jeden Tag, wenn sie mit Guevara oder der Hamas sympathisieren.
Nein, ich kann wenig anfangen mit der Faszination fürs Böse oder für Verbrecher – doch diese eine Dame, die illegalerweise Geschirr spült, die verstehe ich durchaus.
Wo rationale Erklärungen versagen
Ich bin nicht Joker, ich trage kein Palituch, keinen roten Antifa-Stern und kein anderes Terror-Symbol, ob verboten oder erlaubt. Und ganz gewiss teile ich nicht die Faszination von Teilen der Linken für Mörder und Terroristen, für nationale oder andere Sozialisten.
Wenn überhaupt, will ich der Anti-Joker sein, denn ich glaube an Ordnung und an die Fähigkeit der Menschen, ihr Glück zu finden – wenn man sie nur lässt.
Wir leben in einer Zeit, in welcher Totschläger frei herumlaufen, aber einem Menschen für ein falsches Wort der Ruf und die Existenz zerstört werden können.
Wir leben in einer Zeit, wo rationale Erklärungen für das Geschehene versagen, wo die erklärten Absichten der Eliten wie Verschwörungstheorien klingen (@RegSprecher, 23.4.2018) – und damit Raum für noch irrere Theorien schaffen.
Wir leben in einer Zeit, wo ferne Gerichte beschließen können, dass dein Land zur Heimat von Verbrechern aus aller Welt werden soll (welt.de, 14.5.2019).
Wir leben in einer Zeit, in der Unrecht zum praktizierten Recht zu werden droht – und das Recht damit zur Farce. Ich will das nicht, und ja, ich fürchte mich davor.
Ich sehne mich nach Gerechtigkeit und Ordnung. Ich wünsche mir demokratisch kontrollierte Politiker, und ein Volk, das nicht von Propaganda manipuliert wurde, schon wieder nach dem Untergang zu rufen.
Ich sehne mich danach, dass ich durch meine Stimme im Wahllokal bestimme, was im Land passiert, und ich will nicht, dass Macht durch dubiose Globalisten und eiskalte Spekulanten mit Villen in Übersee detailgesteuert wird, ich will nicht, dass ferne Gerichte und maschinenhafte Konzerne mein eigenes Land gegen mich wenden.
Nein, ich bin kein Linker, ich identifiziere mich nicht mit Terroristen und Freiheitsfeinden, wie Linke es tun. Der Joker ist nicht mein Held, Stalin, Guevara und Pol Pot ebenso wenig.
Mein Held und meine Heldin sind die Mütter und Väter, die Arbeiter, die Unternehmer und, ja, die ordentlichen Beamten, meine Helden sind die Parkwächter und Gärtner, die Bauern und Bäcker, kurz: die Menschen, die uns helfen, dass wir morgens als Mutige aufwachen und abends als Zufriedene schlafen gehen.
Ich mag Recht und Ordnung, auch wenn die Propaganda der Suizidalisten schon Schulkinder indoktrinieren will, Familie, Heimat, Recht und Ordnung seien böse (welt.de, 10.5.2019, 29.11.2018, und viele andere).
Wir leben in einer Zeit, in welcher die Bäckereien vor lauter Vorschriften sich kaum noch zu backen trauen (n-tv.de, 23.4.2019), aber den Drogendealern eigene Vertriebsbezirke im städtischen Park zugeteilt werden (rbb24.de, 9.5.2019).
Wir leben in einer Zeit, in der Migranten ins Land eingeflogen werden und die Regierung es aus merkwürdigen Gründen geheim zu halten scheint (jungefreiheit.de, 15.5.2019).
Wir leben in einer Zeit, in der wieder über Enteignung debattiert wird, während kriminelle ausländische Clans die Macht übernehmen (welt.de, 15.5.2019).
Nur ein wenig Ordnung
Nein, ich identifiziere mich nie mit den wirklich Bösen, nie mit den Verbrechern, und nur selten mit Regelbrechern.
Und doch: Die Frau, die ins Haus eindrang, dort auf dem Sofa saß, den Hund streichelte und das Geschirr spülte – selten konnte ich mich mit jemandem, der das Gesetz bricht, so genau und so herzlich identifizieren – metaphorisch betrachtet.
Ich will nicht die Weltrevolution. Ich bin kein Linker, ich will nicht nützlicher Idiot von Spekulanten, Konzernen und ihren NGOs sein.
Ich will doch nur wieder Hoffnung haben. Ich vermisse die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, so wie sie uns eben noch zum Greifen nah war, bevor Merkel und die Propaganda dem Land die Gegenwart samt der Zukunft versalzten.
Ich will doch nur ein wenig Normalität zurück. Ich kann jene Frau, die für ihr Verbrechen nun im Gefängnis sitzt und aufs Verfahren wartet, so gut verstehen, auf emotionaler Ebene zumindest. Ihr letzter Wunsch brach hervor, ihre Sehnsucht nach ein wenig Normalität – kennen Sie diese Sehnsucht denn nicht?
Ich will doch nur ein wenig auf dem Sofa sitzen, den Hund streicheln und das Geschirr spülen – meine Gattin lässt anfügen: metaphorisch betrachtet.