Dushan-Wegner

21.02.2024

Würde ich dennoch einen Birnbaum pflanzen

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten
Erinnert ihr euch an das Gedicht »Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland«? Meint ihr, das mit der Birne würde wirklich funktionieren? Und: Welchen »Birnbaum« wollt ihr dereinst hinterlassen?
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Hinweis/ Neu: Das Video zu diesem Text enthält nicht den gesamten Text, sondern nur die besprochene Ballade, von mir vorgetragen.

Wer in seiner Schulzeit deutsche Gedichte lernte, der lernte den Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland kennen. Ihr wisst schon »Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland, ein Birnbaum in seinem Garten stand« und so weiter. Wunderschön.

Es ist eine Ballade von Theodor Fontane, geschrieben 1889.

Die Handlung ist schnell erzählt: Hauptcharakter ist der im Titel genannte »Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland«. Sein historisches Vorbild ist Hans Georg von Ribbeck, ein Gutsherr des Adelsgeschlechts von Ribbeck.

Dieser Herr von Ribbeck aus der Ballade verschenkte gern die Birnen seines Birnbaums an Kinder, die an seinem Grundstück vorbeikamen. Als er spürte, dass und wie sein Ende nahte, veranlasste Herr von Ribbeck, dass ihm eine Birne mit ins Grab gelegt wurde.

Der ribbecksche Hintergedanke: Herr von Ribbeck wusste, dass sein Sohn geizig war und wohl keine Birnen mehr an Kinder verschenken würde. Also wollte er, indem und sobald aus der mit ihm begrabenen Birne ein Birnbaum gewachsen sein würde, auf diese Weise weiter Birnen an Kinder verschenken, die an seinem letzten »Grundstück« vorbeigingen.

Über den Tod hinaus

Wir kennen ja bestimmt alle die letzten Zeilen: »So spendet Segen noch immer die Hand, des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland«.

Es ist eine Parabel übers Geben und darüber, was ich »relevante Strukturen« nenne. Ja, es ist eine Parabel über das Geben als Sinn des Lebens.

Am Ende sind wir alle tot, ganz wie der Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Die einen bleiben in Erinnerung als die, die gegeben haben, die anderen als die, die genommen haben, und einige natürlich gar nicht.

Alles herzerwärmend und inspirierend, ich weiß.

Doch da wäre eine Sache, die mir an dieser Ballade so richtig Angst bereitet. Oder zumindest Wehmut. Es ist eine bestimmte Tatsache. Es ist die Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts.

In der Dorfkirche des realen Ortes Ribbeck ist ein Baumstumpf zu besichtigen. Dieser Baumstumpf ist von einem Birnbaum, der tatsächlich auf der Gruft der Familie von Ribbeck stand und 1911 umgeworfen wurde.

Nützliche Birnen und Bescheidenheit

Tatsächlich existierte das in der Ballade beschriebene Haus zu Lebzeiten des realen Herrn von Ribbeck nicht. Es steckt also eine Schippe Fantasie in der Erzählung. Doch stellen wir uns vor, alles wäre genau so passiert, wie Fontane es beschreibt! Und stellen wir uns weiter vor, dass kein Dichter die Ereignisse verewigt hätte.

Dann wäre die Frage: Was nützt es, einen Birnbaum zu pflanzen, wenn ein Sturm ihn doch irgendwann umwerfen wird? Wenn Schädlinge ihn auffressen werden? Oder wenn irgendwelche Idioten den Baum abholzen?

Ich finde, es lehrt uns Bescheidenheit, dass selbst das, was nach unserem Tod bleibt, sterblich ist. Wenn wir den Menschen auch nicht auf ewig nützlich sein können, so können wir ihnen doch eine Zeit lang nützlich sein. Einigen wenigen eine Birne geben. Einigen wenigen, die wollen.

Oder, frei nach Luther: Auch wenn ich weiß, dass der Birnbaum in einigen Jahren vom Sturm umgeworfen, von Idioten umgehauen oder von der Zeit zerfressen wird, so will ich dennoch einen Birnbaum pflanzen.

Hier also (und auch von mir selbst vorgetragen bei YouTube), die ganze Ballade!

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland (Theodor Fontane)

(via: Wikisource)

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit,
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Thurme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wist’ ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb’ ne Birn.«
 
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. ’s war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit,
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit in’s Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner, mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«
Und die Kinder klagten, das Herze schwer,
»He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?«
 
So klagten die Kinder. Das war nicht recht,
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht,
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt,
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er that,
Als um eine Birn’ in’s Grab er bat,
Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
 
Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet’s wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung’ über’n Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: »wiste ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew’ Di ’ne Birn.«
 
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

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