Dushan-Wegner

05.10.2023

Hinweise zur Schifffahrt auf Parkseen (Prolegomena)

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten
Wann waren Sie zuletzt mit einem Boot auf einem Parksee unterwegs? Diesen Sommer? In der Kindheit mit Ihrem Vater? – Erzähle mir von der Schifffahrt auf Parkseen, und ich sage dir, wer du bist. (Oder wer du damals gern warst.)
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Das Befahren eines Parksees, wie man es bisweilen in der Freizeit tut, unterscheidet sich in wichtigen Punkten von der beruflichen Schifffahrt auf Meeren und Flüssen.

Dieser Unterschied wird offenkundig, wenn der geneigte Beobachter dieser Phänomene etwa die Parksee-Fahrt eines Vaters und seiner Kinder betrachtet und diese mit der Erstreise des Kolumbus vergleicht.

Die erste Differenz liegt natürlich in der Art des Wasserfahrzeugs. Die Vergnügungsfahrt auf dem gebändigten Wasser einer städtischen Parkanlage wird im einfachstmöglichen Ruderboot ausgeführt. Besonders beliebt sind in den letzten Jahren die zu jedem anderen maritimen Zweck völlig untauglichen Tretboote.

Die Wasserfahrzeuge der beruflichen Schifffahrt teilen sich bekanntlich in ganz andere Kategorien, wie etwa Frachtschiffe, Containerschiffe, Bergungsschiffe, Spezialschiffe wie schwimmende Kräne oder auch Forschungsschiffe. Kaum eines dieser Schiffe wäre auf den hier behandelten Parkseen komfortabel oder sinnvoll zu manövrieren.

Die Vergnügungsfahrt auf dem Parksee hat einen vereinbarten zeitlichen Endpunkt, nämlich das Ende der Mietzeit, üblicherweise eingeteilt in Schritte von Viertelstunden. Ab der vereinbarten Uhrzeit wartet die nächste Mietpartei am Steg, in leichter Nervosität, ihr könnten bezahlte Vergnügungsminuten entgehen, wenn und weil die Vorgänger ihre Bootserholungszeit überziehen.

Der Vergnügungsfahrt bietet sich in der Regel kein anzusteuerndes geografisches Ziel, allenfalls eine Insel in der Mitte des Sees, die meist zwar angesteuert, aber oft nicht betreten werden darf. Selbst nach dem erfolgreichen Erreichen dieser Insel – eine Eroberung, die wenig Bewunderung der Nachwelt einbringt und doch erstaunlich befriedigend ist –, muss das Boot zurückgegeben werden. Man kehrt nicht von einer Reise zurück, man gibt das Boot wieder ab – das ist ein Unterschied.

Die Berufsschifffahrt dagegen hat immer ein vereinbartes Ziel, sowohl geografisch als auch in der Funktion. Und anders als bei der Schifffahrt auf dem Parksee ist die genaue Dauer der Reise nicht immer exakt planbar, zum Ärgernis der Reeder. Winde, Gewitter oder Uneinigkeit mit den Zollbehörden können eine Reise erheblich in die Länge ziehen.

(Eine Mischform von Parksee- und Berufsschifffahrt stellen Kreuz- und Ausflugsfahrten dar. Diese sind der Parksee-Schifffahrt insofern zuzuordnen, als sie die großen Flüsse wie auch die Weltmeere wie einen Parksee behandeln und das Schiff zu einem vereinbarten Zeitpunkt hier oder da in Häfen einfahren soll. Der Berufsschifffahrt sind sie insofern zuzuordnen, als die Passagiere die Fracht sind, die von A nach B transportiert wird. Allerdings zahlt diese Fracht ihren eigenen Transport und wird nicht lediglich von A nach B transportiert, sondern auch nach C, D, E, F und so weiter, außer natürlich, die Fracht kehrt bei einem Zwischenhalt zu spät vom Landausflug zurück.)

Der Zeitpunkt

Fälle wie die des Kolumbus zeigen, dass man in der Berufsschifffahrt ganz wesentlich von seinem Ziel abweichen und doch von der Geschichte und den Finanziers als erfolgreich durchgehen kann. Und auch wenn es auf Parkseen zuweilen vorkommen soll, dass rowdyhafte Bootsmieter ihr Schiffchen nicht zur vereinbarten Zeit zurückgeben – oder gar wenige Minuten zuvor, wie es der Anstand doch gebieten sollte –, sondern dass sie frech ihre Zeit überziehen, an ein abgelegenes Ufer fahren, das Boot dort zurücklassen und sich in die Büsche aufmachen, mit unbezahlter Erholungszeit auf dem Gewissen, so bleibt es doch die Ausnahme und wird innerhalb eines funktionierenden Verleihbetriebs geächtet und geahndet.

Während wir aber Kolumbus bewundern, ärgern uns die Fälle der Erholungszeiträuber natürlich wegen der Unordnung, die diese in das System der Parksee-Schifffahrt bringen. Viel mehr aber wegen des nur schwer zu ertragenden Missstandes, dass diese Ganoven nicht nur Erholungszeit raubten, sondern sich in der geraubten Zeit tatsächlich erholt haben könnten.

Von Schräglagen wie Kolumbus und Leihzeitüberziehern abgesehen, kann man sagen, dass in der Schifffahrt generell entweder der Zeitpunkt der Ankunft oder Sinn und Zweck der Reise zuverlässig fixiert werden kann, nie beides.

Der Erfolg

Während nun die zwei ernsthaften Ausprägungen der Schifffahrt sich darin unterscheiden, dass bei der Berufsschifffahrt zuerst das Absolvieren der Aufgabe bestimmt, ob die Fahrt ein Erfolg war, bei der Parksee-Schifffahrt hingegen in der pünktlichen Rückgabe des Bootes der Erfolg liegt, muss man sagen, dass die Berufsschifffahrt hinsichtlich ihres Zwecks und ihrer Motivation vollständig frei jedes Mysteriums ist.

Eine Ware wird per Schiff transportiert, weil dies für den Eigentümer der Ware die im Geschäftssinne lukrativste Art ist, sie zu befördern. Würden sich Lastkraftwagen oder der Transport auf dem Rücken eines Esels besser rechnen, würde der Unternehmer eben jenes Transportmittel wählen. Damit wäre dann aber auch alles Notwendige zur Berufsschifffahrt festgestellt, womit wir uns vollständig den anstehenden Fragen zur Schifffahrt auf Parkseen zuwenden dürfen.

Die Kapitel

In den ersten vier Kapiteln dieser Hinweise werden wir, nach einer kurzen Geschichte von Parkseen, zunächst skizzieren, welche Art von Städten sich zur Anlage von Parkseen eignen, sozial wie auch geologisch. Wir werden untersuchen, welche politischen Fragen vorab geklärt werden müssen und welches Publikum zu erwarten ist.

Wir werden untersuchen, ob Bürgerschaften mit einem bestehenden Sinn fürs Schöne erst Parkseen hervorbringen, oder ob die Anlage eines Parksees in den Menschen einen bis dahin schlafenden Sinn für das Schöne der Stadt wecken kann.

In einem Kapitel untersuchen wir die Bootsarten, in einem weiteren die Psychopathologie der Tretboote in Schwanform und Vorschläge zur klinischen Behandlung ihrer Mieter.

In den folgenden Kapiteln geben wir Hinweise, welche Art von Besuchern in einem Park mit Parksee zu erwarten sind.

Wir werden nicht darum herumkommen, Hinweise darauf zu erhalten, welche Art von Publikum die Anlage eines Parksees und die Organisation eines würdigen Schifffahrtsbetriebs erst erschwert und zuletzt unmöglich machen kann, und wie Städte in den Ostgebieten solche Entwicklungen ihrer Parkseen verhinderten.

Wir werden Hinweise dazu geben, welche Preisgestaltung dem langfristigen Bootsverleih zuträglich ist. Wir werden über die Bedeutung von nachts abschließbaren Zäunen um den Stadtpark sprechen.

Und schließlich werden wir über aktuelle und zukünftige ökonomische wie wohl auch politische Entwicklungen der Schifffahrt auf Parkseen reden. Wir werden über die stadtübergreifende Bildung von Monopolen im Schiffsbetrieb reden. Über Verstrickungen der Bootsverleiher mit den lokalen Rathäusern sowie das Versagen der verantwortlichen Aufsichtsbehörden in ebendiesen Rathäusern.

Auf denn!

Sie sehen also bereits, geschätzte Leser, dass die Schifffahrt auf Parkseen ein reichhaltiges Panoptikum bietet, einen metaphorischen Einblick in die besuchende Gesellschaft, ja in die Seelen der Bootsmieter selbst.

Und um diese geht es! Doch vergessen wir nicht: So faszinierend alle Betrachtung um Ökonomie, Soziologie und Logistik der Schifffahrt auf Parkseen ist: Zuerst und zuletzt geht es doch um die Familien, um die neuen und alten Liebespaare, um die einzelnen Menschen und ihre Freude, sich zur zeitlich begrenzten Entspannung ein Boot zu mieten, und die vielleicht sogar die Insel in der Mitte des Sees ansteuern, um sie neu für sich zu erobern.

Der Mensch ist geboren, um zu erobern und das Eroberte zu beschützen, jeder auf seine Weise. Jedes Tages Zweck ist es aber, seiner Stunden wert gewesen zu sein. Für all dies ist die Schifffahrt auf Parkseen eine hervorragende Übung.

Auf also, ihr Parkseefahrer, lasst uns in den Parksee stechen, ob im Ruder- oder im Tretboot!

Weiterschreiben, Wegner!

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