Sagt ein Stein zum anderen Stein: »Meine Idee ist besser als deine Idee!« Antwortet der andere Stein: »Wie willst du Ideen haben? Du bist doch nur ein Stein!«
Steine liegen herum, seit Jahrmillionen. Das Meer formt sie zu runden Kieseln. Menschen bauen Häuser aus ihnen. Andere Menschen greifen sich Steine und attackieren mit ihnen israelische Panzer oder deutsche Polizisten. Hinter diesen Stein-Projekten, ob Hausbau oder Wurfattacke, steht manchmal (nicht immer) eine motivierende Idee (Wohnung, Intifada, Studentenrevolte). Vielleicht sogar ein Wettstreit der Ideen. Menschen haben Ideen. Steine haben keine Ideen. Steine können nicht in einen Wettstreit der Ideen treten.
Regierungen hassen Steinewerfer. Einzelne Politiker mögen mit Steinewerfern sympathisieren, andere gar von ihnen abstammen. Die Regierungen insgesamt sind ihnen gegenüber doch kritisch eingestellt. So ein rauer Granitstein, so schwungvoll wie revolutionär an die Schläfe gezielt, könnte glatt für Hass gehalten werden. Und »Hass« ist verboten. »Hass ist keine Meinung«, sagen sie. Ist der Wurf eines Steines eine Meinung? Einen handlichen Kopfstein kraftvoll an den Kopf zu kriegen, hat eine nicht von der Hand zu weisende Überzeugungskraft. Man ist tot. Survival of the zielgenauest.
Nicht nur die Steinewerfer werden von Regierungen ungemütlich empfunden. Auch die Ideenwerfer, die Attackierer und Infragesteller.
Das deutsche Innenministerium ließ seine Social-Media-Fachkraft jüngst verkünden: »Jeder darf seine Meinung äußern, aber sachlich & ohne Angriffe.«
Bürger, du darfst sagen, was du willst, es darf nur kein »Angriff« sein. Und sachlich muss es sein! Karl Kraus? Nicht sachlich genug, und so viele Angriffe pro Seite, dass Herrn Maas das Herz stehenbliebe, wenn er (Kraus) läse! Ab in den Knast, und wenn wir ihn von Wien ausliefern lassen müssen! Wehner? Strauß? Brecht? Tucholsky? Alles Hatespeech! (Das Wort »Hatespeech« fühlt sich ja an, als müsste es ein »r« enthalten, das man schwarzweiß und wütend rrrollen kann.)
Bürger, du darfst die Kanzlerin preisen, du darfst dem Genossen ein aufbauendes »Wir schaffen das« zuraunen. Du darfst bei guter Führung sogar mal übers Wetter schimpfen.
Nur Angriffe, braver Bürger, Angriffe darfst du nicht.
Die Regierung Merkel scheint Worte inzwischen mehr als Steine zu fürchten. Man lässt über alle Kanäle verkünden, wie hart jene bestraft werden, die allzu böse Worte sagen. Selbst die unvorstellbar politikferne Stiftung Warentest warnt den Bürger, wie teuer ein falsches Wort zur falschen Zeit sein kann. Im Vergleich dazu: Wann haben Sie von Strafen gehört, die den Steinwerfern und Autoanzündern der Berliner Autonomen zuteilwurden? Haben Sie nicht. Steinewerfer erhalten Einladungen zu Gesprächen. Wortwerfer zahlen Bußgelder. Manchmal gehen Wortwerfer in den Knast.
Im Merkel-Maas-Deutschland haben immer mehr Bürger das Gefühl, dass ein falsches Wort schärfer bestraft wird als der Steinwurf auf einen Polizisten.
Und die Regierung forciert dieses Gefühl der Angst. Ja, die Angst, das Falsche zu sagen, sie scheint gewollt. Und man kann es nur wahlweise mit Absicht oder mit vollständiger Unbedarftheit erklären, dass all die Ministerien, die sich der Propagierung regierungsgenehmer Rede verschrieben haben, wieder und wieder die Grenzen zwischen sowieso strafbewehrten Äußerungen und einem schwammigen, gefühligen »Hatespeech«-Begriff verschwimmen lassen. Ich unterstelle unseren Ministerien keineswegs Unbedarftheit.
Die von oben propagierte Angst, das Falsche zu sagen, macht uns als Gesellschaft dumm. Aller menschlicher Fortschritt geschah durch einen Wettstreit der Ideen. Und dieser Wettstreit wurde selten mit sanften Schmeicheleien geführt.
Jesus nannte die Pharisäer »Heuchler«, und – halten Sie sich fest! – »Schlangenbrut«. Die Kanaaniter nannte er »Hunde«.
Würde Heiko Maas heute Jesus wegen »Hatespeech« verfolgen lassen?
Würde Manuela Schwesig eine herzchenbeladene Anti-Jesus-Kampagne fördern? (Die reale Kampagne gewisser Islamisten finanzierte das Familienministerium ja bereits.)
Als Darwin ganz vorsichtig seine Thesen zur Entstehung der Arten präsentierte, wurde er selbst als »Affe« karikiert und übelst verspottet. Ja ihm wurde – Aufschrei! – die Menschenwürde streitig gemacht. Er selbst hatte ja, so die Gefühle manch Gläubiger bis heute, der gesamten Menschheit die Gottesbildlichkeit und damit die Würde abgesprochen. Hätten die No-Hatespeech-Soldaten den Darwin und seine Gegner gleichermaßen verhaften lassen? Nein, natürlich galt damals wie heute: Verboten ist nur, was gegen die Freunde der gerade modischen Linie geht. Darwinkritiker und Antifa können ruhig schlafen. Ralf Stegner tut es sowieso.
Es gibt viele Gründe, anzugreifen. Ein ehrlicher Angriff wird auch schon mal emotional, und ja, unsachlich. Manche greifen an, weil sie einfach nicht ertragen können, wie die öffentliche Debatte mit Bullshit-Herzchen-Getöse in vollständige Debilität absackt. Andere haben die DDR erlebt (gehörten aber nicht zu den Wende-Gewinnern) und sehen im Deutschland des Jahres 2016 durchaus Parallelen zum Geist des »Damals 2.0«. Das macht ihnen eine andere Form von Angst.
Die Regierung will nicht, dass man sie und ihre Freunde mit Worten angreift. Ihre Mediensprecher verkünden, alles sei erlaubt, außer Angriff. Oder Unsachlichkeit. Wohlgemerkt, man muss es im Bewusstsein halten, sie wollen den Angriff verbieten, während ihre eigenen Minister und sonstiges Personal unliebsame Teile des Volks als »Pack« oder gar »Arschloch« beschimpfen.
Man könnte sich beugen. Ich will mich nicht beugen. Wir sollten uns nicht beugen. Wer sich zu oft verbiegt, bleibt verbogen.
Rufen wir der Regierung zu: Challenge accepted! Greifen wir die Regierung mit Worten an!
Unser Justizminister mit der Vorliebe fürs Bewegtbildgewerbe arbeitet überraschend offen an praktischer Meinungssortierung außerhalb der altmodischen Pfade. Doch noch gibt es für den Bürger einige Mittel und Wege, die Meinung frei zu verbreiten, solange sie innerhalb von Gesetz und Recht bleibt. Über all diese legitimen Wege wollen wir schlechte Ideen und Argumente angreifen!
Der Angriff als Selbstzweck ist völlig legitim. Wer von Natur aus mit einem denkenden Gehirn gesegnet ist, wird immer versuchen, die Fadenrisse in den Konzepten der Anderen zu finden – und diese kleinen Risse bei Gelegenheit zum vollwertigen Totalschaden aufzuhebeln. Die Attacke auf die Ideen anderer ist dem Menschen angeboren, genauso wie Sex und Essen. Das Zerstören anderer Ideen sichert den Fortschritt der Menschheit.
Das Rad war eine aggressive Attacke auf die Idee, Sachen müssten einfach als Block an Seilen durch die Steppe geschleppt werden. Die Wissenschaft war eine aggressive Attacke auf die Idee, alle Dinge seien »einfach so« passiert, von unsichtbaren Mächten nach Tageslaune bestimmt. Heute würde ein SPD-Minister schnell Gesetze gegen Uber, pardon: das Rad erlassen, um das Gewerbe der Blöcke-am-Seil-Schlepper zu schützen. Ein anderer SPD-Minister würde Darwins Theorien verbieten lassen, weil sie Gläubige in tiefe Unsicherheit stürzten. Dafür ließe sich leicht eine ganz große Koalition finden.
Wer die Attacke verbietet, verbietet Fortschritt. Also: Auf, attackieren wir! Entlarven wir die Denkfehler! Pöbeln wir über die unlogischen Schlüsse! Geben wir die substanzlosen Beschwichtigungen der Lächerlichkeit preis!
Wichtige Tipps zur Attacke, wenn sie einen (in Deutschland 2016) nicht gleich um Kopf und Konto bringen soll: Nur Linke dürfen die Person selbst attackieren. Ein Linker darf seine Gegner als »Pack«, »Nazi« oder »Arschloch« titulieren. Wer als konservativ und/oder liberal verortet wird, darf nur über die Handlung eine Wertung abgeben. Ein Linker darf also sagen »Du bist ein Idiot«, jeder andere muss modifizieren zu »Ihre Handlung ist idiotisch«. Ebenso sind Rückgriffe auf’s Dritte Reich nur Linken erlaubt. Den Gegner einen »Nazi« zu schimpfen ist in gewissen Kreisen ein wenig Aufsehen erregender Usus. Für die Sprecher von Antifa und CDU scheint alles »Nazi«, was den Namen »Merkel« nicht murmelnd ergänzt mit »voll der Gnade, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit«. »Alle doof, außer ich«, kritzelt mancher Schüler auf die Schulbank. »Alles Nazi, außer ich«, scheint anderswo das Motto – und wenige der per Gesetz und Gewohnheit bezahlten Meinungslenker scheint es zu stören. Nur andersherum wird es brenzlig. Für einen Rechten, egal wie ramponiert sein Ruf ohnehin ist, kann es problematisch werden, Vergleiche mit dem Drittreichpersonal zu ziehen. Beachten wir also diese zwei Regeln: Nie die Person angreifen. Keine Vergleiche mit und Anlehnungen ans Dritte Reich. Vor allem, weil beides geschmacklos ist.
Ein guter Bürger bewegt sich im Rahmen der Gesetze, so war mal der Konsens. Sie wollen einen neuen Konsens etablieren, wonach der brave Bürger sich innerhalb der Gesetze »freiwillig« ein noch engeres Korsett anzieht. Er soll nicht nur gesetzestreu sein wollen, er soll »brav« sein. Ich sage: Ein wirklich nützlicher Bürger muss den Rahmen des Erlaubten auch mal ganz auskosten. Schimpfen wir, greifen wir an, suchen wir die Lücken ihrer Argumentkonstrukte und werfen wir spitze Worte hinein!
Sie wollen nicht, dass wir angreifen. Sie wollen nicht, dass wir emotional werden. Lasst uns angreifen!
Lasst uns ihre brüchigen, nicht immer eindeutig ehrlichen, manchmal fatal falschen Argumente mit aller Kraft unserer gelegentlich fehlbaren, fallweise unsachlichen Worte attackieren.
Sollen sie uns doch beschimpfen, diese Geisteskinder schlechter Eltern. Sollen sie uns Geier nennen – wir machen ja keinen Hehl daraus, dass wir das Aas toter Argumente entfernen, auf dass sein Gift nicht noch weiter streue. Sollen sie uns Zerstörer nennen – das nannten sie den von Goethe auch, wie er als Prometheus die Götter beschimpfte. Sollen sie uns mit dem Beelzebub gleichsetzen – seit Hiob weiß man ja, dass der Teufel ein Wettkumpan Gottes ist. Und ein Lichtbringer sowieso.
»There is a crack in everything, that’s how the light gets in«, singt Leonard Cohen. In allen Dingen ist ein Riss, so gelangt das Licht hinein. Greifen wir sie an, mit stärkeren Worten und besseren Argumenten. Ihre Logik ist brüchig und rissig und hinter den Rissen ist oft Dunkelheit. Jeder einzelne von uns mag für sich ein »kleines Licht« sein. Und doch, wenn sich Funke für Funke in die Risse ihrer Staatspantomime wirft, bekommen sie es mit der Angst des Entlarvten zu tun. Gut so! Bringen wir etwas Licht ins Dunkel!