Dushan-Wegner

07.04.2021

Zur Straffung nach Istanbul

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Dennis van Lith
Prinzessin Angela steht auf der Burg und winkt keck den Männern zu, doch heimlich zahlt sie Ritter Recep, damit er am Fuß der Mauer steht und die Geladenen mit scharfer Lanze von der Prinzessin fort hält.
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Sogar die Chirurgen selbst sagen es, und sie sagen es nicht ohne Stolz: Die ästhetische Chirurgie bietet an, psychologische Probleme mit dem scharfen Skalpell zu lösen. Du fühlst dich nicht bewundert genug? – Wie wäre es mit einer kleineren Nase? Du magst nicht, wen du im Spiegel siehst? Könnte eine schnelle Straffung helfen? – Du willst nicht so alt aussehen, wie du dich fühlst? Probier doch eine Haartransplantation!

Eigentlich bräuchte es einen Therapeuten – doch von angehobenen Schlupflidern verspricht man sich zuweilen, pardon, einschneidendere Veränderungen. Die Jahrzehnte auf dem Kalender, sie haben sich Kerben auf unseren Gesichtern geschlagen. Das Lebenskonto, das einzige Konto, das solange wächst, solange wir leben – doch muss es jeder gleich sehen? 

Des Einen bedürfen – doch ein Anderes tun, weil man sich das eigentliche Problem nicht auszusprechen traut – oder weil man es aus diversen Gründen nicht lösen kann (vielleicht sogar überhaupt nicht lösen will) – ja, damit wären wir bei der Politik und den Nachrichten dieser Tage!

Berlin und Brüssel, Europa und Asien

Das Brüssel-Berliner Imperium »spielt«, so welt.de, 6.4.2021, »ein heikles Spiel«. Mit wem »spielen« die Damen? Richtig, mit dem starken Herrn vom Bosporus.

Vor fünf Jahren hat man einen »Deal« geschlossen. Der Inhalt des Deals ist zugleich Konsequenz wie auch notwendige Bedingung für den Betrieb des Propagandastaates Deutschland. Über die Medien gibt Merkel die Einladende – wenn die Menschen dann aber tatsächlich kommen, dann soll Recep Tayyip Erdoğan sie bitte eine Zeit lang aufhalten.

Da wir uns ja ohnehin länger schon von der Aufklärung aus rückwärts bewegen, dichten wir es doch in die schöne Bildsprache des Mittelalters um: Prinzessin Angela steht auf der Burg und winkt keck den Männern zu, doch heimlich zahlt sie Ritter Recep (oder lässt Kammerzofe Ursula diesen bezahlen), damit er am Fuß der Mauer steht und die Geladenen mit scharfer Lanze von der Prinzessin fort hält.

Nun will man also den Deal verlängern. Die womöglich am wenigsten glaubwürdige Politikerin der EU-Zone, eine Personifikation aller Dinge, welche die Politik dem Volk eklig werden lassen, diese Frau von der Sowieso reist in die Türkei und sie will einen neuen Deal verhandeln.

Gegenstand des Deals sind auch weiterhin Geldflüsse in die Türkei, um den Fluss derjenigen, welche es an den Busen der deutschen Freigebigkeit zieht, doch lieber zwischen Europa und Asien zu halten.

Die Lebensbedingungen der in der Türkei »geparkten« Migranten sollen verbessert werden. (Scharfe Zungen sagen: Deutschland via EU weiterhin als »Sozialamt der Welt« – auch außerhalb Deutschlands.) – Das »Sterben im Mittelmeer« soll verringert werden. (Seien wir realistisch: »Verringert« indem man zurückschickt – oder indem man durch WAS GENAU in der Türkei ersetzt? Durch Arbeit als Näher in türkischen Textilfabriken? siehe etwa euronews.com, 15.7.2016)

Wer sich für einen Experten in diesen Angelegenheiten hält, und wer ein solches Selbstbild erfolgreich in Karrieremünze umwandelte, der diskutiert heute die Details dieses Deals, die blanke Möglichkeit, das weiterhin vorhandene Erpressungspotential aber interessanterweise auch die Notwendigkeit.

Jedoch, es kommt mir vor wie jene »Psychotherapie mit dem Skalpell«: Man löst ein ganz anderes Problem als das eigentliche. Man tut es auf teure Art und Weise – und das eigentliche Problem traut man sich kaum auszusprechen.

All das Händeringen, all die Wir-haben-es-nicht-so-gemeints und die Bald-wird-alles-bessers, all das Geld, das dann doch wie magisch auf den Offshore-Konten dieser-und-jener wiederauftaucht, all das ist doch wie die lange Abfolge ästhetischer Operationen, weil man sich nicht an das herantraut, was wirklich getan werden müsste – den Patienten auf die Couch bitten, und dann nicht seine Haut, sondern sein Gemüt umschneidern!

Die Migrationskrise ist doch keine logistische, ja nicht mal wirklich eine politische oder auch »nur« eine soziale. Das Geld, das an Herrn Erdogan überwiesen wird, es kauft den lupenreinen Damen von Berlin und Brüssel noch ein paar Monate, es ist die typische Lösung eines Propagandastaates – das eigentliche Problem traut man sich nicht anzusprechen, ja man gibt Millionen und Milliarden für Propaganda aus, die jedes Aussprechen des Problems verhindert.

Klugheit und Erfindungsgabe, Bibliotheken und Parks

Die Motive der neuen Migranten unterscheiden sich grundlegend von der Motivation, die manche uns bekannte frühere Migrantengruppe antrieb. Migranten etwa aus den Ostblockstaaten nahmen teils große Verluste in Kauf und arbeiteten hart, weil sie die Werte des Westens leben wollten – ein nicht zu vernachlässigender Teil der neuen Migranten will von den Vorzügen des Westens profitieren, verachtet dessen Werte jedoch denkbar offen, ähnlich wie die Herkunftsstaaten, die laut und nachdrücklich das westliche Geld fordern, aber den Iblis tun werden, nach den Werten zu leben, welche dieses Geld erst möglich machten. (Nein, wir werden hier nicht das offensichtliche aktuelle Problem diskutieren, dass die Werte, die uns wirklich stark machten, wie Fleiß, Klugheit und Erfindungsgabe, in diesem Jahr ganz anderswo aufgegriffen, praktiziert und vervollkommnet werden, während man jene unserer Werte, die uns letztendlich schwach machten, als »Baizuo« auslacht.)

Wenn deine Seele unglücklich ist, werden dich Operationen selbst für Hunderttausende Euro nicht glücklich machen. Wenn diese Völker und Menschen sich nach unserem Restwohlstand sehnen, aber unsere Restwerte belächeln oder sogar offen verachten, dann wird auch eine Trilliarde Euro erst geliehenes und dann verschenktes Geld das Problem nicht lösen.

Nein, das Geld an Papa Erdoğan ist nicht gut angelegt. All diese Zahlungen sind Verzugszinsen, die wir zahlen, weil unsere sogenannten Eliten aus ihren eigenen Gründen die eigentlichen Probleme nicht aussprechen – ob sie nur von Angst oder auch noch von anderen Hemmnissen geplagt werden.

Ach, wenn wir uns trauen würden, die Grenzen auch wirklich Grenzen sein zu lassen, wenn wir die Probleme beim Namen nennen würden und wenn wir den Gesellschaften Afrikas die Verantwortung für sich selbst zutrauen würden (oder von mir aus: auferlegen), wie viel Geld und Leiden würden wir sparen!

Dieses Geld ließe sich so viel besser anlegen! Zum Beispiel für neue Schulen, neue Bibliotheken und Parks.

Und wenn alle Springbrunnen und Schmuckkarussells gebaut sind, und wenn dann noch Geld übrig ist, dann vielleicht noch eine kleine Schönheitsoperation für alle, so eine kleine, in der Mittagspause. Nach all dem Stress hat sich ein jeder von uns verdient, zwei oder drei Falten vom Lebenskonto abgezogen zu bekommen.

Weiterschreiben, Wegner!

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