Dushan-Wegner

25.02.2024

Sturm schlimm, Leute lethargisch

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten
Die Lage in Deutschland fühlt sich bisweilen an, wie wenn ein wilder Sturm das Land zerlegt, die Bäume umwirft und die Dächer abdeckt – doch die Leute sind dafür erstaunlich entspannt. Geradezu lethargisch. Wie kommt das?
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Lasst mich euch eine Geschichte erzählen. Sie beginnt so: Ein Mann tritt aus seiner Haustür, doch es misslingt.

Habe ich »misslingt« gesagt?

Ich meine: Ein Mann will aus seinem Haus treten, hat die Tür einen Spalt weit geöffnet, da reißt eine Windböe ihm die Tür aus der Hand, knallt die Tür ganz auf, dass die Scharniere knacken, um die Tür in der selben Sekunde wieder zukrachen zu lassen, dem Mann ins Gesicht.

Die Tür reißt ihm das Gesicht unterhalb des linken Auges auf, bricht seine Nase und knickt ihm zwei Schneidezähne weg.

Was aber tut der Mann?

Nichts tut er.

Nichts?!

Habe ich »nichts« gesagt?

Ich meine: Der Mann schiebt die Tür mit der rechten Schulter wieder auf, und mit blutendem Gesicht tritt er doch noch auf die Straße.

Es tobt ein Sturm. Vorhänge kalten Regens wehen heran, einer nach dem anderen, unablässig. Immerhin waschen sie dem Mann das Blut aus dem Gesicht, bevor es gleich wieder nachblutet.

Der Mann aber achtet nicht auf Sturm, nicht auf das Blut. Der Mann geht zu einem geparkten Auto.

Habe ich »Auto« gesagt? Okay, ich meine auch ein Auto, doch es ist eigentlich eher ein Wrack.

Ein Ast hat die Windschutzscheibe durchschlagen. Regen schüttet hinein und fließt unten aus den Türen heraus auf die Straße.

Der Mann betrachtet den eingebeulten Kofferraum. Ein Motorradfahrer mit verrenkten Knochen liegt darauf und stöhnt vor Schmerzen. Das Motorrad liegt auf der Straße in einer Benzinlache.

Der Mann steigt in sein Wrack. Erstaunlicherweise startet der Motor. Der Mann fährt los, und der Motorradfahrer fällt vom Kofferraum auf sein Motorrad.

Der Mann, den wir hier beobachten, kneift die Augen zusammen und blinzelt durch die eingeschlagene Windschutzscheibe und die heranrollenden Regenwände.

Er fährt durch aufspritzende Wasserlachen.

Sein Mobiltelefon klingelt. Aus Gewohnheit hält er es an die Seite des Gesichts, die nun von der Tür zerschlagen und blutig ist. Blut beschmiert das Telefon, und wir hören ihn sagen: »Ja, hier alles soweit okay. Alles easy. Bin gleich da, dann trinken wir entspannt einen Kaffee. Tschüssi!«

So ruhig, so ignorant …

An dem Punkt setzen wir einen Schnitt in die Geschichte. Wir fragen uns: Warum blieb der Mann so ruhig, so nonchalant, so geradezu ignorant, während um ihn herum buchstäblich der Sturm tobte?

Ich weiß es nicht. Ihr wisst es auch nicht – nicht sicher. Wir können ihn auch nicht fragen, denn der Mann ist ausgedacht.

Doch wir können fragende Thesen aufstellen!

Blieb der Mann so ruhig, weil er derartige Stürme gewohnt war?

Blieb der Mann sogar mit Wunden so ruhig, weil seine Nervenbahnen nicht richtig reagierten und er den Schmerz nicht spürte?

Blieb der Mann so ruhig, weil er mit sehr viel wichtigeren Gedanken beschäftigt war, von denen wir nichts erfahren?

Inzwischen ist klar, dass diese Szene eine Metapher für unsere Zeit, für die Lage der Gesellschaft ist.

Wetterfest unempört

Der Sturm pfeift, den Menschen schlagen die Türen und Äste ins Gesicht, einige Leute bluten schon – doch für all das bleibt die Menge erstaunlich ruhig!

Es bleiben ja nicht nur jene ruhig, die den Sturm zwar sehen und hören, denen aber noch keine Haustür ins Gesicht schlug.

Selbst Leute, denen der Sturm die Knie wegschlug oder das Hausdach mitnahm, bleiben erstaunlich unempört.

Habe ich »unempört« gesagt? Ich meine: lethargisch.

Ich weiß nicht, warum die Menschen heute so ruhig bleiben. Ich bin sehr auf eure Thesen gespannt, als Kommentar bei YouTube!

Eines weiß ich aber: Der tief fliegende Ast wird dir auch dann die Zähne ausschlagen, wenn du sein Nahen sehr entspannt betrachtest.

Weitermachen, Wegner!

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Und was meinen Sie?

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