Bei mehr als 60 Millionen Wählern gehe ich davon aus, dass einige meine Sicht nicht teilen. (Ich leiste mir zugegebenerweise auch eine gänzlich fernweltliche Meinung, die dazu führt, dass ich in den Spiegel schauen und mich knuddelig finden kann. Ich mag Kätzchen, Welpen, Babys und Kekse mit oder ohne vegan und will, dass alle möglichst lange möglichst viel solidarisch und artgerecht miteinander oder alleine lernen können. Außerdem sollen bitte alle gerettet werden, die der Rettung bedürfen. Und alle sollten sich so benehmen, dass niemand verletzt wird. Aus eigenem Antrieb und aus der Güte ihres Herzens. ? ? ? ) Trotzdem bin ich mir darüber im Klaren, dass manche meiner Mitbürger im wahlfähigen Alter das anders sehen. Damit kann ich leben. Gut sogar.
Was ich bei der Bundestagswahl 2013, vor vier Jahren, am schlimmsten fand, war, dass ca 15% der Wähler nicht im Bundestag repräsentiert sein würden. Folglich ist der seither gewachsene Unmut wenig überraschend. Allein diese Tatsache würde ausreichen, um Wählerfrust zu schüren, ganz abgesehen von den politischen Entwicklungen seit 2015.
Das diesjährige Wahlergebnis ist ein Gewinn für die Demokratie: Linke und Grüne weiter drin, FDP wieder drin, AFD jetzt auch. Das sind ca 19 Millionen Menschen, mitsamt ihren Anliegen, Visionen, Sorgen und Ängsten. 19 Millionen Stimmen, die nun Vertretung finden. 19 Millionen Stimmen, die gemeinsam die Debatte voranbringen sollten.
Bei einer fußballgewöhnten Nation ist es verständlich, dass man das Ausscheiden des gegnerischen Teams herbeiwünscht. Eine Demokratie funktioniert aber anders. Ich freue mich, wenn in den kommenden Jahren eiskalte Rechner neben gefühlsduseligen Herzmenschen sitzen und gemeinsam versuchen müssen, Lösungen für die Probleme unserer Gesellschaft auszudiskutieren. Nein, ich muss nicht alle Meinungen teilen. Ich kann manche dieser Meinungen auch ganz fürchterlich finden. Ich sollte mich aber offen damit auseinandersetzen.
Von daher: Herzlichen Glückwunsch, Demokratie!