Dushan-Wegner

07.11.2016

USA: Warum ich Trump wählen würde

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Aaron Burden
Amerikas Stärke wird ganz wesentlich gespeist vom Bild, das die Amerikaner von sich selbst haben. Die Welt braucht ein starkes Amerika.
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Dieser Essay erschien am 7. Nov. 2016, am Tag vor der US-Wahl, bei Tichys Einblick.

»Dreihundert Millionen Menschen, und das ist das Beste, was wir aufstellen konnten?« – diese Frage hört man dieser Tage oft in den USA. Mein Demokratenherz blutet. In der guten alten Zeit sollten ja demokratische Prozesse sicherstellen, dass nur die Besten und Strahlendsten in die Nähe des Präsidentenamtes gelangen. Das ist diesmal in den USA einigermaßen misslungen. Und doch, entscheiden muss man sich, will man seine Stimme demokratisch geltend machen.

Ich selbst würde bei dieser Wahl für Donald J. Trump stimmen. Hier kommt mein Grund.

An Demokratie glauben

Trumps Präsidentschaft wird helfen, den Glauben der Menschen rund um den Globus an die Demokratie wieder zu stärken. Demokratie ist schwach, wenn Bürger nicht an sie glauben. Weltweit brodelt die Unzufriedenheit der Menschen mit ihren gewählten Häuptlingen.

Andauernde Unzufriedenheit metastasiert. Aus Unzufriedenheit mit »dem System« wird, unbehandelt, der Zweifel am Prinzip Demokratie selbst. Auch große Unzufriedenheit braucht ein demokratisches Ventil.

Donald Trump ist des Wählers Stinkefinger in Richtung alter Elite. Wenn Hillary Clinton gewinnt, wird die Abfolge der letzten Präsidenten lauten: »Bush, Clinton, Bush, Obama, Clinton.« Wie Jill Stein, Kandidatin der US-Grünen, sagte: Das klingt nach Oligarchie, nicht nach Demokratie.

Die schlechten Seiten

Beide Kandidaten haben dunkle Seiten, und bei beiden sind die dunklen Seiten leider deutlich dunkler, als die hellen Seiten hell sind.

Donald Trump ist bei Gelegenheit frauenfeindlich (er sieht Frauen als Spielzeug mächtiger Männer), seine Selbstzentriertheit könnte die Stabilität der USA gefährden (wieso nicht Nuklearwaffen einsetzen?), und er wurde »schon mal« bei der Lüge erwischt (z.B. USA haben mit die höchsten Steuern der Welt).

Hillary Clinton dagegen ist bei Gelegenheit frauenfeindlich (sie demütigte öffentlich die Frauen, die ihr Mann benutzt hatte), ihre Selbstzentriertheit (Benghazi, E-Mails etc.) könnte die Stabilität der USA gefährden, und sie wurde »schon mal« bei der Lüge erwischt (z.B. Sniper-Fire).

Gleichsetzung?

Ich höre Sie fragen: Herr Wegner, setzen Sie tatsächlich Donald Trump und Hillary Clinton moralisch gleich?

Nein, das tue ich nicht. Ich halte Hillary Clinton für problematischer.

Ja, Donald Trump hat extrem blöde Macho-Sprüche über Frauen zum Besten gegeben. (Die markantesten davon auf einer 11 Jahre alten Aufnahme.) Hillary Clinton wiederum hat die Frauen, die Affären mit ihrem Mann hatten, beschimpft und gedemütigt, als Lügnerinnen und Verliererinnen gezeichnet. Und ihre Empörung über 11 Jahre alte Vulgär-Sprüche Trumps trägt nur begrenzt weit, wenn sie im Wahlkampf mit wild fluchenden Rappern auftritt.

Ja, Donald Trump hat jahrelang keine Steuern gezahlt. (Wir reden von seinem Einkommen, nicht von Umsatzsteuer oder den Steuern seiner Angestellten.) Steuern zu sparen, ist an sich völlig zulässig, wie Ihnen Apple, Starbucks und EU-Junckers erklären können. Hillary Clinton dagegen hat Spenden für ihre Clinton Foundation entgegengenommen von Entitäten, mit denen sie als Außenministerin der USA verhandelte, zum Beispiel 1 Mio. von Katar. Für Trump interessiert sich das Finanzamt, für Clinton das FBI. Das ist ein Unterschied.

Ja, beide, Trump und Clinton sagen gelegentlich die Unwahrheit. Doch bei Trump gibt es eine zusätzliche Ebene, die einfache Gemüter, und jene, die fürs Nichtverstehen bezahlt werden, eben nicht verstehen werden.

Clinton lügt zum eigenen Vorteil oder ohne erkennbaren Grund, zum Beispiel als sie phantasierte, in Bosnien im Feuer der Scharfschützen aus einem Hubschrauber ausgestiegen zu sein. (Sie wurde mit Blumen empfangen.)

Trump dagegen scheint ein Spiel mit seinen Zuhörern zu spielen. Wenn er sagt, seine berüchtigte Mauer würde mit jeder Kritik an ihr um 10 Fuß höher, dann nimmt das niemand wirklich wörtlich. Als er sagte, Mexikaner würden ihre Drogendealer und Vergewaltiger in die USA schicken – und dann zum Besuch nach Mexiko fuhr – war das eher rassistisch gefärbte Aktionskunst, nicht als solche gemeinte Sachbeschreibung. Es ist gefährlich, es ist eines Präsidenten nicht würdig und es wäre eine Frage der Zeit, bis solches Spiel internationale Krisen provoziert – so er es dann weiterspielte – aber es ist nicht »Lüge« im Wortsinn.

Die New York Times nennt es Trumps eigene »Realität« und zieht Hannah Arendt heran. Die Schwierigkeit dieser Einordnung ist nicht, dass sie falsch wäre. Sie ist richtig. Die Schwierigkeit ist vielmehr der unfreiwillige Humor, wenn »Liberals« den »Conservatives« vorwerfen, in paralleler Realität zu leben.

Wer sich monatelang zur Bierbrezel verbog, um Hillary Clintons diverse Sonderthemen, von E-Mails bis Benghazi, zu rechtfertigen, der kann ja auch mal ansetzen, Trump zu rechtfertigen. Nur eine Minute lang. Versuchen wir, Trumps »besonderen Stil« zu verstehen.

Was Trump zu Beginn seiner Kampagne tat, mochte zeitweilig die Grenze zum Wahnsinn nicht nur berühren. Aber: Welche andere Option hatte er? Sollte er mehr oder weniger würdevoll untergehen wie seine Mitbewerber? Was soll ein politischer Outsider ohne ernsthafte Washington-Verbindungen oder tiefere Presse-Connections anderes machen, als TV-würdigen Radau?

Nicht erst durch WikiLeaks sehen wir die intensiven Verbindungen der Clintons zur Presse. Journalisten der Washington Post bezeichneten sich als »Freunde« der Demokraten. Eine CNN-Korrespondentin gab Debatten-Fragen vorab an Clintons Team weiter.

Journalisten spenden Geld an die Demokraten oder arbeiten direkt für die Clinton Foundation. Man könnte es seitenweise aufzählen. Trump musste Radau machen, denn noch intensiver als die Verbindung zum Clinton-Lager ist die Verbindung zum Geld, und mit Trumps Radau haben Medien viel Geld verdient. Radau war Trumps einzige Chance, eine große mediale Bühne zu bekommen.

Vielleicht sind Sie aber nicht bereit, Trumps Fakten-Jonglage und Radikal-Populismus als »Outsider-Notwendigkeit« zu rechtfertigen. Dann würde ich gern entgegenhalten, dass Hillary Clinton fahrlässig mit US-Staatsgeheimnissen umgegangen ist.

Bereits 2009 hatte Colin Powell sie davor gewarnt, parallele Systeme zu betreiben. Und als das FBI bei ihr diesbezüglich nachfragte, haben ihre Leute allen Ernstes einige der verlangten Geräte mit einem Hammer zerstört. Mangelnde Sorgfalt im Umgang mit Staatsgeheimnissen schwächt die USA. Das wiegt schwerer als Trumps halb ernst gemeinter Radikal-Populismus.

Obama macht sich derzeit lustig über Trump, dessen Team ihm »verbot«, selbst zu twittern. Wer Twitter nicht beherrscht, der dürfe nicht an die Atom-Codes gelassen werden. Hillary Clinton beherrscht E-Mail nicht.

Programm und Versprechen

Man könnte für Hillary Clinton ins Feld führen, dass sie ein besseres »Programm« hat als Trump – was auch immer »besser« hier bedeutet. Ignorieren wir einmal die Frage, ob Hillary Clinton tatsächlich, wie versprochen, jenen ins Fleisch schneiden wird, die ihr den Wahlkampf und ihre Clinton Foundation finanzieren. (Eine äußerst optimistische Annahme, aber geschenkt.)

Ich möchte die Frage nach dem politischen Programm anders beantworten: Wer Donald Trump wählt, weil er die Mauer nach Mexiko baut, oder Hillary Clinton wählt, weil sie Wallstreet in die Schranken weisen wird, der hat auch Barack Obama gewählt, weil er Guantanamo schließen und die Rechte von Whistleblowern verteidigen würde.

Starke Länder haben einen eigenen Charakter und einen eigenen Willen. Die USA sind ohne Zweifel ein Land mit einem sehr starken und weltweit wirkenden Charakter. Noch immer formen die Menschen ihre Werte nach Hollywoods Geschichten. Ich organisiere mein Leben mit Werkzeugen, die in Silicon Valley erdacht wurden. Der American Dream ist der Traum der ganzen Welt. Amerika ist stark und ein wenig stur, stärker und sturer als das »Programm« eines Präsidentschaftskandidaten.

Fazit

Die erste Rolle des US-Präsidenten ist es, den Charakter der Vereinigten Staaten nach innen wie nach außen zu vertreten, zu formen und zu verteidigen. Was von Kennedy, Reagan oder Obama bleiben wird, ist das Image und der Charakter, den sie ihrer Zeit gaben. Kennedys Mondfahrprojekt war nett, ist aber inzwischen eingemottet, Reagan hatte seine »voodoo economics« und Obamas Krankenversicherung krankt auch bereits. Was bleibt, ist die Geschmacksrichtung, die sie jeweils unserem Bild der Vereinigten Staaten schenkten.

Ich bin nicht sicher, wofür Hillary Clinton steht, außer eben für die Clinton-Dynastie. Woran wollen wir denken, wenn wir »Amerika« denken? An kühle Karriere-Anwälte oder an extrovertierte New Yorker Milliardäre? Donald Trump steht für unterhaltsamen Wahnsinn, mehrfache Pleiten und die Überzeugung, dass »at the end of the day« Amerika und der American Dream noch immer »Rock’n’Roll« sind.

Amerikas Stärke wird ganz wesentlich gespeist vom Bild, das die Amerikaner von sich selbst haben. Die Welt braucht ein starkes Amerika. Trump wäre besser für das Selbstbild »normaler« Amerikaner. Deshalb würde ich Trump wählen.

Weiterschreiben, Wegner!

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