Dushan-Wegner

13.08.2018

Mit dieser 1 Zeile zeigt Bento (aus Versehen!), was in der Politik-Debatte schiefläuft

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild von Meiying Ng
Würden Sie in einem Haus leben wollen, das nach Gefühl gebaut ist? Und einem Staat? Gefühle sollten nicht alleinige Grundlage politischer Meinung sein. Schon gar nicht wenn diese Entscheidungen das Leben von Millionen Menschen betreffen!
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Manche Dinge sind kompliziert zu verstehen. Mathematik ist kompliziert und Beziehungen sind kompliziert. Andere Angelegenheiten sind einfach zu verstehen. Wie man am Daumen nuckelt, das versteht schon ein Baby. Wie man auf dem Smartphone oder iPad wischt, auch das versteht schon ein Kind, deshalb sind diese Geräte ja so erfolgreich.

Wenn wir »kompliziert« sagen, dann meinen wir hier »kompliziert zu verstehen«, und mit »einfach« meinen wir »einfach zu verstehen«. Dinge, die einfach zu verstehen sind, können in ihrem Innern ziemlich kompliziert sein, wie etwa die erwähnten Smartphones. Andere Dinge, die kompliziert sind, können zum Ziel haben, eine beinahe heilig wirkende Einfachheit zu erlangen, wie etwa die erwähnten Gebiete Mathematik und Physik – erst wenn das Komplizierte einfach erscheint, haben wir es durchdrungen und verstanden.

Warum zum Kuckuck?

Wir stehen vor komplizierten Zukunftsfragen: Wie werden wir uns in der Zukunft umher bewegen? Wie werden wir unseren Strom produzieren? Wie gehen Gesellschaften damit um, dass Menschen mit in Teilen inkompatiblen Denkarten aufeinander treffen? Die Fragen sind groß und die Antworten scheinen kompliziert zu sein.

Viele Bürger stehen einer anderen Frage gegenüber, und die erscheint um so komplizierter, je näher man hinschaut: Warum zum Kuckuck ist politisches Denken in Berliner Behörden und Redaktionen so oft so irrational?

Die Frage erscheint kompliziert, doch manchmal, in ganz seltenen Momenten, verraten die Medien selbst die Antwort, und manchmal ist diese Antwort erschreckend einfach.

Video et cetera

Wenn man verstehen möchte, was falsch läuft in moderner Debatte, und welche Denkweisen die Gesellschaft auseinanderreißen, hilft es, Bento (bento.de) zu lesen. Es ist eine Art »Jugend-Ausgabe« von Spiegel Online.

Die Meldungen auf Bento haben »Dimensionen«. Es gibt die Kategorien Storys, Meinung, News, Video et cetera. Und dann gibt es noch die Themen, deren Name bei Bento dann auch vor der eigentlichen Überschrift steht als Dachzeile (manchmal auch »Kicker« genannt). Die Funktion der Dachzeile ist bei Bento und anderswo, dem Leser eine Einordnung der Inhalte zu ermöglichen, bevor er die eigentliche Headline liest. Bei üblichen Publikationen könnte die Dachzeile zum Beispiel »US-Wirtschaft« oder »Herzgesundheit« lauten. Bei Bento sind die Dachzeilen anders, sie lauten zum Beispiel »Gerechtigkeit«, »Grün«, »Haha« – und danach kommt die Überschrift.

Ich bin auf eine Kombination von Dachzeile und Überschrift aus 2017 gestoßen, mit welcher Bento.de unbeabsichtigt perfekt bebildert, was im Kern falsch läuft in der politischen Debatte – in Deutschland, aber auch in den USA.

Von Zeit zu Zeit

Lesen Sie einmal folgende Kombination durch (und beachten Sie dabei, dass vor dem Doppelpunkt das kategorisierende Thema steht und danach die Headline): »Fühlen: Meine Familie wird immer rechter. Kann ich das ändern?« (bento.de, 10.11.2017)

Sehen Sie den buchstäblichen Kategorien-Fehler?

Eine politische Richtung ist eine Perspektive auf das Land und die Gesellschaft. Der eine Mensch hat seinen Blick vor allem auf die Arbeiter und einfachen Leute gerichtet. Der nächste Mensch richtet seinen Blick vor allem auf die Wirtschaftskraft. Der dritte Mensch richtet seinen Blick auf das Wohl der Frösche und Fichten. Diese Perspektiven sind Werte, die über den Tag hinaus bestand haben. Sicher, aus einer politischen Ausrichtung kann und soll auch ein Gefühl abgeleitet werden – doch anders herum wird die politische Ausrichtung flatternd wie die Fahne im Wind.

Politische Richtungen dürfen in Gefühle münden, von Zeit zu Zeit, doch sie sollten mehr als ein Gefühl zum Fundament haben. Natürlich ist es ein schönes Gefühl, als Genosse den Sonntag mit den Nachbarn an der Gulaschkanone zu verbringen (natürlich nur mit Gulaschkanonen-Bediener-Diplom!), doch niemand sollte seine politische Ausrichtung für einen Teller Gulasch verkaufen.

Ja, es ist wahr, dass Menschen ihre politische Meinung schon einmal nach emotionalen Faktoren ausrichten. Es wird seine Gründe haben, warum in deutschen TV-Krimis die Bösen auffallend häufig als nah an der aktuellen Opposition dargestellt werden. Dass politische Manipulation durch Emotion (ein Stück weit) funktioniert und dass, als Beispiel, Armee-Actionfilme eine positive Einstellung zur Armee bewirken können, heißt nicht, dass es der Debattenqualität zuträglich ist, Argumente allein auf Gefühlen zu basieren.

In dieser Dachzeile-Titel-Kombination (»Fühlen: Meine Familie wird immer rechter. Kann ich das ändern?«) wird deutlich, was falsch läuft in der deutschen Debatte. Argumente, die mit Fühlen beginnen, mit Fühlen geführt werden und mit Fühlen enden, werden selten vorm Licht des Verstandes standhalten können.

Yin und Yang

Es liegt etwas Befreiendes darin, zum einfachen Kern eines Problems durchgedrungen zu sein. Wir dürfen Bento danken, bebildert zu haben, was falsch läuft in der politischen Debatte: Argumente beginnen in der Kategorie »Fühlen«, und verlassen sie auch nicht wieder.

Können wir die Debattenqualität wieder einrenken? Kann die politische Debatte wieder »rund« werden, vollständig und den ganzen Menschen ansprechen? Verstand und Gefühl?

Man kann für und gegen (fast) jede politische Partei und Richtung argumentieren, doch die Passagiere im Argumentzug sollten im Logik-Bahnhof nicht nur winkend durchfahren. Das Gefühl sollte den Verstand kontrollieren – und anders herum! Viele Menschen versuchen heute im privaten Leben »ganz« zu werden, ihr Gefühl und ihren Verstand in Einklang zu bringen – lassen Sie uns auch in der politischen Debatte darauf bestehen! Es gilt: Yin und Yang, Ebbe und Flut, Gefühl und Verstand – auch und besonders, wenn es um unsere Zukunft geht!

Weiterschreiben, Wegner!

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