Wenn Sie diesen Text lesen, dann haben Sie ein weiteres Corona-Jahr überlebt. Ja, es ist tatsächlich ein weiteres Jahr an uns vorübergezogen. Die Reichen sind wieder reicher geworden, die Armen ärmer, und der Mittelstand, er klammert sich weiterhin mit zitternden Fingern fest, um nicht abzurutschen.
In Deutschland ist eine neue Regierung im Amt. Ein sarkastischer Spruch besagt: »Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.« – Nun, ich will es so formulieren: Auch wenn dieser Spruch wahr sein sollte, bestünde akut kein Grund, Wahlen in Deutschland zu verbieten.
Zwei Anfangsnotizen
Eine Randnotiz, kaum dass der Text begonnen hat: Fürchten die Behörden in Deutschland, dass, anders als Wahlen, Demonstrationen durchaus etwas verändern können? Wenn man es nicht fürchten würde, würde man Pro-Grundrechte-Demonstrationen sonst so rabiat verbieten? Und dann, als Randnotiz zur Randnotiz: Das Wörtlein »würde«, zusammen mit dem Infinitiv eines Verbs, kann im Deutschen zur Bildung des Konjunktivs II genutzt werden. Etwa so: »Sie würde gern mehr zu lachen haben, er würde es gern mehr krachen lassen, und beide würden sie lieber ein jeder ganz andere Sachen machen.« – Das Wort »würde« ist, wie Sie also sehen, im Deutschen oft ein Marker dessen, was zwar wünschenswert, aber aus praktischen Gründen unmöglich ist. Wenn Sie daraus nur, lieber Leser, bezüglich des Wert von Artikel 1 des Grundgesetzes zynische Gedanken ableiten sollten, würde ich dafür keine Verantwortung übernehmen wollen. – Genug aber der Notizen, wir kehren lieber schnell würdevoll zum besonders wichtigen Haupttext zurück!
Zurück zum Text!
Ein weiteres Jahr ist herum. Was habe ich gelernt, was war die Moral von der Geschicht’? Ich habe über diese Frage gegrübelt, ich habe in mir geforscht, ich habe formuliert und wieder weggestrichen, auf der Suche danach, welche Lehre ich aus diesem weiteren schrägen Jahr ziehe.
Ich will meine Lektion aus 2021 in »halber Abgrenzung« formulieren, und zwar in Abgrenzung zu einem Satz, der in diesen Tagen geradezu selbstverständlich richtig klingen könnte.
Jener Satz lautet: »Jeder Mensch ist besonders, jeder Mensch ist wichtig.«
(Man möchte vielleicht mit Monty Python ausrufen: »Ich nicht!« – Wir haben dafür aber Zeit, und es sind auch leider nicht mehr die Zeiten, für solche Kindereien (Monty Python würde heute am Galgen politischer Korrektheit hängen).)
»Jeder Mensch ist besonders, jeder Mensch ist wichtig«, ich halte diese Aussage für halb richtig – und für halb falsch!
Ich widerspreche dem ersten Teil: Nein, es ist nicht ein jeder Mensch »besonders«. Es sollte doch bekannt sein: Wenn jeder Mensch besonders ist, dann ist niemand besonders. Der einzige Ort, an dem ein jeder Mensch »besonders« ist, ist die Irrenanstalt, und selbst da werden die gequälten Seelen durch Medikamente doch wieder gleich und so eben nicht-besonders gemacht.
Jedoch, die zweite Aussage dieses Satzes, die ist sehr richtig, und die würde ich gern hier betonen – pardon, die betone ich hier, und die zeige ich auf, im Indikativ: Jeder einzelne Mensch ist wichtig!
Nicht die einzige Abgrenzung
Ja, ich habe dieses Jahr gelernt, dass es sehr okay ist, nicht besonders zu sein.
Ich leide unterm Corona-Wahnsinn, und es ist dann doch beruhigend, dass ich nicht besonders darin bin, dass es Ihnen und Tausenden von anderen Lesern genauso geht. – Wenn ich besonders darin wäre, diese Lage, diese Unsicherheit, diese Übergriffigkeit des Staates, diesen meinen Zweifel als quälend und schmerzhaft zu empfinden, das wäre ein eigener Anlass zur Sorge – aber ich bin darin nicht besonders, und deshalb auch nicht allein.
Jedoch, ich bin nicht nur im Leid und Ärger nicht-besonders. Ich bin auch in meiner Freude gern nicht-besonders, ja, sprechen wir es aus: gewöhnlich.
Gerade wenn der Wahnsinn uns unsere täglichen Freuden zu nehmen droht, wenn unsere Hoffnung und unser Glück in den Seilen hängen wie ein zusammengeschlagener Boxer, und wenn wir doch spüren und hören und auch fühlen, dass wir darin nicht allein sind, gerade dann ist es ein echter Trost, zu wissen, dass dein Glück und mein Glück sich ähneln, dass wir auch in unserer Idee des Guten nicht-besonders und so nicht-allein sind.
Meine Vorstellung von Glück ähnelt deiner, mein Leiden an der Welt ähnelt deinem, weder du noch ich sind im Glück oder im Leid heute allzu »besonders«, und das schenkt mir tatsächlich Trost.
Hartes Durchgreifen
Nein, es ist nicht ein jeder von uns »besonders« – aber ein jeder ist wichtig!
Es gibt Grobheiten, die sind unverzeihlich. Es gibt Verletzungen, etwa Verletzungen an der Würde, die können wir nicht verzeihen, selbst wenn wir es wollen würden. Ich weiß nicht, ob und wie wir dem Staat verzeihen können, ganz persönlich und wohl auch moralisch gesprochen, was uns heute angetan wird.
Kaum hatte sich die deutsche Regierung einmal die Ermächtigung geholt, im Namen von Corona die Grundrechte aufzuheben, scheinen zwar noch nicht alle Dämme geborsten zu sein, aber es sind sichtbar Risse darin, und unsere Knöchel stehen schon im Wasser.
Wir sahen Bilder, wie einem Demonstranten mit dem Knie ins Gesicht getreten wird (es ist für mich das Bild des Jahres 2021). Hartes Durchgreifen gegen spazierende Rentner und Kinder – gegen, sprechen wir es aus: Andersdenkende. Man fragt sich, wo diese Robustheit der Staatsmacht bleibt, wenn Judenhasser und die Feinde der Freiheit in Berlin aufmarschieren.
Jedoch, der harsche Auftritt der Staatsgewalt gegen Demonstranten, wenn diese einmal die Grundrechte einfordern – oder es wagen, allein und nur mit einer Kerze als stillem Symbol durch die Straße zu gehen – es ist für mich nicht einmal die ärgste Fehlentwicklung des Jahres, es ist »nur« das Symptom einer tieferen Schieflage.
Was mich am meisten erschreckt, was mir die größte Sorge bereitet, ist doch, wie unwichtig der Einzelne wurde.
Der Einzelne, der seine Eltern besuchen wollte. Der Einzelne, der eine eigene Meinung vertreten, und dies auch kundtun wollte. Der Einzelne, der sich nicht zum angeblichen Schutz der Masse eine mRNA-Injektion verabreichen lassen wollte. Der Einzelne, seine Würde und Grundrechte:.
Die Botschaft von Politik und Propaganda im Jahr 2021, knapp zusammengefasst: »Du bist unwichtig. Gehorsam und Gesundheit sind, worauf es ankommt.«
Laut und deutlich und nachdrücklich
Niemand von uns »Normalsterblichen« weiß, was das neue Jahr bringen wird – wir können uns nur relativ sicher sein, dass Regierungen und ihre Behörden die durch die Corona-Panik gewonnenen Möglichkeiten ausgiebig nutzen werden.
Ich weiß aber, denn ich kann es selbst bestimmen, in welchem Geist ich ins neue Jahr gehe. Mein »inneres Vorhaben« für 2022 leitet sich direkt aus der Lektion ab, die mich das Jahr 2021 lehrte.
Erstens, ich bin einverstanden damit, nicht »besonders« zu sein – ich genieße, feiere und ich lebe es aus, was mich »gewöhnlich« macht.
Wir sind Menschen in einem Boot. Zu viele wollen Kapitän sein, das ist wahr, zu viele spielen den Clown. Das Boot hat Schlagseite und es titscht zwischen Klippen. Es ist keinesfalls sicher, dass uns zuletzt ein sicherer Hafen erwartet. Und doch, dass wir gemeinsam im Boot namens »Menschheit« sitzen, das ist auch dann wahr, wenn es uns nicht gefallen sollte.
Jedoch, dass du oder ich nicht »besonders« sind, bedeutet keinesfalls, dass wir nicht wichtig wären!
Ich verweigere mich laut und deutlich und nachdrücklich jener Propaganda, jenem neuen Zischen der Schlangen aus alten Abgründen, dass der Einzelne (wieder?!) unwichtig sei.
Die Hoffnung und das Glück des Einzelnen, sie sind wichtig. Die Schmerzen und die Ängste des Einzelnen, sie sind wichtig. Die Freiheit des Einzelnen ist wichtig wie schon lange nicht mehr! Und, selbst wenn die Politik, die Propaganda oder irgendwelche Stellen mit »Verfassung« im Namen es wegerklären wollen sollten: Die Würde, Unversehrtheit und körperliche Selbstbestimmung des Einzelnen sind wichtig!
Ich bin nicht besonders, du bist nicht besonders, doch wir sind als Individuen wichtig, und wenn du das ähnlich siehst, dann gehen wir tatsächlich gemeinsam ins neue Jahr.