Dushan-Wegner

20.02.2024

Was dachte sich der Hexenmeister?

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Ist es nicht ein merkwürdiger Zufall, dass immer wieder solche Krisen eintreten, für welche die Autoritäten (oder deren »Freunde« …) die passenden Lösungen verkaufen können?
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Im Jahr 1940 brachten die Walt Disney Studios das gezeichnete 124-Minuten-Meisterwerk »Fantasia« heraus. Walt Disney selbst war damals übrigens nicht einmal 40 Jahre alt. Der Film ist ein zweistündiges Musikvideo mit klassischer Musik und verschiedenen selbstständigen Szenen, die teils bebildern, wie ich mir einen LSD-Trip vorstelle.

In der dritten Szene hören wir Musik des Komponisten Paul Dukas. Sehr erzählerisch. Dazu sehen wir als Handlung eine wortlose Story mit Micky Maus.

Die Handlung ist wortlos, nur göttliche Musik, doch wir sehen dies: Das anthropomorphe Disney-Nagetier steht offenbar als Lehrling in den Diensten eines zaubernden Meisters und muss schwere Wassereimer schleppen, was denkbar anstrengend ist.

Einmal aber ist der Zaubermeister müde und zieht sich zurück, lässt aber seinen magischen Zauberhut da. Die Maus setzt sich den Zauberhut auf und verzaubert einen Besen, auf dass dieser an ihrer Stelle die Wassereimer schleppt.

Gezaubert, getan! Die Maus dirigiert den wasserholenden Besen vom komfortablen Meisterthron aus – und schläft darauf ein.

Die Maus träumt wilde Träume, voller Sterne und Asteroidenschauer. Und dann träumt die Maus von wildem Wasser und hoch spritzenden Wellen.

Doch herrje! Die geträumten Wasser haben eine sehr reale Ursache: Während die Maus schläft, bringt der Besen immer weiter und weiter Wasser heran. Der Keller läuft voll, das Mobiliar treibt im Raum umher – und der Besen bringt noch mehr Wasser.

Die Maus will den Besen aufhalten – doch vergebens! Der Besen schleppt Eimer für Eimer mehr Wasser heran.

Die Maus greift sich eine Axt, schlägt den Besen entzwei und zerhackt ihn in kleine Holzscheite.

Uff, geschafft! Oder?

Keineswegs!

Die kleinen Holzscheite werden selbst zu Besen! Eine Armee kleiner, wasserbringender Besen!

Die Maus schwimmt, sie droht zu ertrinken. Die Wasser schwellen an. Die Maus sucht im großen Zauberbuch nach dem magischen Wort, um den Spuk zu beenden. Es will nicht gelingen.

Dann – endlich – ist der alte Zaubermeister wieder da. Wie Moses teilt er die Wasser, hält die kleinen Besen und damit das Wasser auf.

Schüchtern gibt die kleine Maus nun Zauberhut und den nun wieder ganzen Besen zurück. Das Mäuslein greift sich wieder die Eimer, um wieder seinen Mausejob zu tun und selbst Wasser zu schleppen.

So weit also diese Parabel.

Gnade oder Kalkül?

Die übliche Lehre lautet ja, dass der Mensch darauf achten soll, ob er die »Geister, die er rief«, auch wirklich beherrschen kann. Der verzauberte Besen, dessen Macht sich nicht mehr einhegen lässt, als Sinnbild für Technologien von Mobiltelefon bis Atombombe.

Man könnte ja darauf hinweisen, dass das Problem mit der Unbeherrschbarkeit nicht in der Technologie selbst liegt, sondern in der menschlichen Psyche. In der Geschichte tritt dann der Meister als alte Autorität auf, die gnädig wieder die Kontrolle übernimmt, wenn die kleine Maus sich übernommen hat.

So weit, so bekannt.

Ich aber kann nicht anders, als mich nach der genauen Rolle des Meisters zu fragen – und nach seinen möglichen Absichten.

Wenn der Zaubermeister so klug und weise ist: Warum hat er dem Lehrling die Möglichkeit gelassen, solche Verwüstung anzurichten?

Hat der alte Meister dem Lehrling womöglich eine Falle gestellt?

Zum Schluss ist der Meister ja der große Gewinner! Er hat seine Autorität gestärkt. Der Lehrling ist gedemütigt und wird auf absehbare Zeit keinen eigenen Gedanken mehr ausprobieren.

Was soll der Lehrling hier gelernt haben? Dass es gefährlich ist, eigene Initiative zu ergreifen?

Wie sehr vertraut ihr dem Meister, das nicht alles selbst eingefädelt zu haben?

»Die ich rief, die Geister …«

Die Geschichte von der Maus und dem verzauberten Besen hat manchen anderen Dichter zu eigenen Variationen inspiriert, auch in Good Old Germany.

Eine deutsche Variation dieser lustigen Geschichte will ich heute vortragen!

Johann Wolfgang von Goethe: »Der Zauberlehrling«

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort’ und Werke
Merkt’ ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu’ ich Wunder auch.
 
Walle! walle
Manche Strecke,
Daß zum Zwecke
Wasser fließe,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße!
 
Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen;
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!
 
Walle! walle
Manche Strecke,
Daß zum Zwecke
Wasser fließe,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße!
 
Seht, er läuft zum Ufer nieder;
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!
 
Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! –
Ach, ich merk’ es! Wehe! wehe!
Hab’ ich doch das Wort vergessen!
 
Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein.
 
Nein, nicht länger
Kann ich’s lassen;
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!
 
O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh’ ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!
 
Willst’s am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten,
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten.
 
Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe!
Wahrlich, brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!
 
Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!
 
Und sie laufen! Naß und nässer
Wird’s im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör’ mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
Werd’ ich nun nicht los.
 
»In die Ecke,
Besen, Besen!
Seid’s gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur zu seinem Zwecke
Erst hervor der alte Meister.«

Ich wünsche uns, dass die »Meister«, die uns »retten« wollen, es halbwegs ehrlich meinen.

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