Dushan-Wegner

16.01.2018

Alternative Fakten und das große Narrativ

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten,
Alternative Fakten bedienen das Narrativ von Interessengruppen – und vergiften zugleich das soziale Klima. In diesem Blogpost dokumentiere ich, wie ein »Fake Hate«-Fall von CNN, Trudeau & Co. weltweit verbreitet wurde.
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Am 12. Januar 2018 ließ Justin Trudeau, der rundum jugendliche Premierminister Kanadas, via Twitter seine 3,92 Millionen Follower wissen:

»Ich empfinde große Anteilnahme für Khawlah Noman nach der feigen Attacke auf sie heute morgen in Toronto. Kanada ist ein offenes und einladendes Land, und Vorfälle wie dieser können nicht toleriert werden.«
Original: »My heart goes out to Khawlah Noman following this morning’s cowardly attack on her in Toronto. Canada is an open and welcoming country, and incidents like this cannot be tolerated.«
@JustinTrudeau, 12.1.2018 (archive.is )

(Der Tweet ist/war am 16.1.2018 noch immer online und hatte über 3100 Retweets.)

Was war passiert?

Einen Tag später berichtete CNN mit dieser Headline:

»Mädchen aus Toronto ‚sehr verängstigt‘ nachdem ein Mann ihren Hijab auf der Straße abschneidet.«
Original: »Toronto girl ‚really scared‘ after man cuts her hijab on street«
cnn.com 13.1.2018 (archive.is)

Im Artikel selbst wird detailliert davon berichtet, wie ein unbekannter Mann einem jungen muslimischen Mädchen auf dem Weg zur Schule mit der Schere am Hijab herumschnitt, wie sie schreiend davonlief und, detailliert, wie der »Verdächtige« ausgesehen habe.

Dieser CNN-Beitrag wurde über 19000 mal auf Facebook geteilt. (Diese Zahl, wie alle folgenden Social-Media-Zahlen hier, via sharedcount.com.)

Justin Trudeau sprach sein Mitgefühl auch in Person aus. Wir können es noch auf YouTube sehen:

https://www.youtube.com/watch?v=FSx25kfHKzw

»Meine Gedanken sind bei dem jungen Mädchen, das anscheinend ihrer Religion wegen angegriffen wurde…«
Original: »My heart goes out to the young girl who was attacked seemingly for her religion…«
Justin Trudeau via YouTube 13.1.2018

Newsweek titelte ähnlich:

»Muslimisches Mädchen von Mann angegriffen, der ihren Hijab abschnitt«
Original: »Muslim girl attacked by man who cut off her hijab«
Newsweek, 13.1.2018 (archive.is)

Andere Publikationen betonten besonders den emotionalen Aspekt. Es ist ja bei einer Meldung wichtig, nicht nur den Sachverhalt zu verstehen, sondern auch, was es mit den Opfern innerlich anrichtet:

»Ich fühlte mich sehr verängstigt und durcheinander« – Mädchen zweimal von einem Mann in Scarborough angegriffen, der ihren Hijab abschnitt
Original: ‘I felt really scared and confused’ — girl attacked twice by man who cut her hijab in Scarborough
– thestar.com, 12.1.2018 (archive.is)

Die Tat sprach sich natürlich herum. Al Jazeera berichtete:

»Muslimisches Mädchen aus Toronto »verängstigt«, nachdem Angreifer Hijab abschneidet«
Original: Toronto Muslim girl ’scared‘ after attacker cuts hijab
Al Jazeera, 12.1.2018 (archive.is)

Und weiter, im selben Artikel, der ca. 6750 mal auf Facebook geteilt wurde:

»Islamophobie
Seit 2013 steigt die Zahl der Hass-Verbrechen in Kanada. 2016 waren es, der kanadischen nationalen Statistikagentur zu Folge, 1409 angezeigte Hass-Verbrechen. Muslime waren polizeilichen Angaben nach 2016 Opfer von 139 Hass-Verbrechen, 20 weniger als 2015.«
Original: Islamophobia
Since 2013, hate crime has been on the rise in Canada. In 2016, there were 1,409 police-reported hate crimes, according to Canada’s national statistical agency.
Muslims suffered 139 hate crimes in 2016 according to police data, 20 fewer than in 2015.
Al Jazeera, 12.1.2018 (archive.is)

Auch in Großbritannien berichten Zeitungen:

»Grinsender Angreifer versucht den Hijab eines 11-Jahre-alten Mädchens auf ihrem Schulweg mit einer SCHERE abzuschneiden«
Original: »Smiling attacker tries to cut off 11-year-old girl’s hijab with SCISSORS as she walks to school«
Mirror 12.1.2018 (archive.is)

»Das können wir nicht hinnehmen«: Kanadischer Premierminister Justin Trudeau tweetet Unterstützung für das junge Mädchen, 11, die »verängstigt und verwirrt« wurde durch einen Fremden, der mit einer Schere an ihrem Hijab schnitt
Original: ‚This cannot be tolerated‘: Canadian Prime Minister Justin Trudeau tweets support to young girl, 11, who was ’scared and confused‘ by stranger cutting at her hijab with scissors
Daily Mail, 12.1.2018 (archive.is)

Weiter im selben Artikel heißt es:

»Es gibt einen Anstieg rechtsextremer Aktivitäten in Kanada, von denen viele sich gegen Muslime richten, so berichtet Reuters, während eine Umfrage der Menschenrechtskommission in Ontario ergab, dass mehr Menschen von sich sagen, sie hegten Muslimen gegenüber »sehr negative« Gefühle als jeder anderen Gruppe gegenüber.«
Original: There has been a rise in far-right extremist activity in Canada, much of it targeting Muslims, Reuters reported, while an Ontario’s Human Rights Commission survey found that more people reported harbouring „very negative“ feelings about Muslims than any other group.

Die Nachricht erreichte die »Jugendseiten« des Internet (und mit »Jugend« meinen wir Clickbait-Opfer):

»Dieses 11-jährige Mädchen sagt, ein Fremder habe ihr auf dem Schulweg ihren Hijab mit einer Schere abgeschnitten
Original: This 11-Year-Old Girl Says A Stranger Cut Her Hijab With Scissors On Her Way To School
– BuzzFeed 21.1.2018 (nur auf archive.is, dieselbe URL wurde inzwischen geupdated. Insgesamt wurde sie ca. 1300 mal auf Facebook geteilt.)

Kathleen Wynne, Premierministerin von Ontario teilte, wieder über Twitter, mit:

»Das ist ein feiger Akt des Hasses und so etwas hat keinen Platz in Ontario. Das repräsentiert nicht, wer wir sind. Wir müssen entschieden mit unserer Unterstützung hinter diesem jungen Mädchen stehen, das angefriffen wurde, einfach nur weil sie einen Hijab trug.«
Original: »This is a cowardly act of hatred, and it has no place in Ontario. This does not represent who we are. We must stand firm in our support of this young girl who was assaulted simply for wearing a hijab.«
Kathleen Wynne 12.1.2018 (archive.is)

Ihr Tweet war in einem Punkt richtig: Nein, diese Tat stand nicht dafür, wer die Menschen in Ontario wirklich sind.

Vor allem, weil sie nie stattgefunden hatte.

Am 15.1.2018 wurde lapidar vermeldet:

»Berichteter Hijab-Angriff auf 11-jähriges Mädchen »ist nicht passiert«, sagt Toronto Polizei«
Original: Reported hijab attack on 11-year-old girl ‚did not happen,‘ Toronto police say
cbc.ca 15.1.2018

CNN stellte die Korrektur zu der Story erst einen halben Tag, nachdem es als »Fake Hate« feststand, diskret online. Die Korrektur wurde nach aktuellem Stand (16.1.2018) immerhin ca. 2800 mal auf Facebook geteilt. Es wird wohl nicht viel mehr werden.

Also:

  • Fake-Hate-Meldung, gepushed von Trudeau und anderen: ca. 19000 mal auf Facebook geteilt.
  • Korrektur: ca. 2800 mal geteilt.

Das heißt: Allein auf Facebook haben über sechzehntausend Menschen eine erlogene Fake-Hate-Geschichte gelesen, aber wohl nicht die Korrektur.

Die Schulverwaltung ließ sich noch zitieren:

»Wir sind sehr dankbar, dass dieser Übergriff nicht tatsächlich stattgefunden hat. Wir werden keinen weiteren Kommentar abgeben.«
Original: «We are very thankful that this assault did not in fact happen. We won’t be commenting further.“

cnn.com, 15.1.2018

Damit ist die Sache für den politisch-medialen Empörungskomplex »abgehakt«. Man hat in großen Lettern über angeblichen Hass berichtet, Mitgefühl kundgetan und Empörung geschürt – dann stellt sich alles als erfundene Lüge heraus, was in dürren Worten kurz abgehandelt wird, und schon dreht sich das Fake-News-Rad weiter.

Die Zirkularität der Wahrheit

Der Fall vom erfundenen Hijab-Abschneider in Toronto ist wahrlich nicht der einzige Fall von »Fake Hate«, also frei erfundenen Fällen »rechten Hasses«. Doch Teile linken Narrativs brauchen und fördern diese erfundenen Fälle.

Nach der Wahl Donald Trumps berichteten Medien von Drohungen gegen Synagogen in den USA. Die unter Kai Gniffke allmählich ins Lager linker Trump-Hasser abrutschende Tagesschau berichtete:

Knapp ein Dutzend jüdischer Einrichtungen in den USA haben allein am Montag Bombendrohungen erhalten. […]

Bürgerrechtler beklagen, dass sich Extremisten und Hass-Gruppen in den USA seit dem Wahlsieg von Präsident Donald Trump im Aufwind sehen. Seit Anfang Januar dokumentierte die Organisation 69 solcher Drohungen gegen jüdische Einrichtungen; oft treffen sie wellenartig mehrere Einrichtungen an einem Tag.

tagesschau.de, 21.2.2017 (archive.is)

Im März 2017 stellte sich dann heraus, dass mindestens acht der Drohanrufe von einem schwarzen, eher linken »Ex-Journalisten« namens Juan Thompson stammten und eindeutig »Fake Hate« darstellten. (New York Times, 3.3.2017)

Im Dezember 2017 wurde Juan Thompson zu 60 Monaten Haft verurteilt.

Wenn Sie bei tagesschau.de nach »Juan Thompson« suchen, finden Sie nur eine Sportmeldung von 2007.

Fälle von »Fake Hate« gibt es natürlich auch in Deutschland selbst. Ein Beispiel sind etwa die »berühmten« Hakenkreuze von Bingen. Dazu Malu Dreyer:

»Das ist nicht nur schockierend, das ist wirklich auch beschämend. […] Das wollen wir nicht in diesem Land.«
zeit.de, 7.4.2016

Dann kam heraus, dass es ein Syrer gewesen war. Das entsprechende Foto taucht dennoch schon mal wieder als »Symbolbild« auf, wenn es um »rechte Gewalt« geht.

Cui bono?

Einst galt nicht nur vor Gericht, sondern auch in Politik die Unschuldsvermutung. Ein Angeklagter hatte als unschuldig zu gelten, bis ihm die Schuld zweifelsfrei nachgewiesen war.

Auch in Fällen von »Fake Hate« gibt es durchaus einen Angeklagten, selbst wenn man nicht konkret weiß, wer der Täter ist. Mal wird die Tat grundsätzlich Trump-Fans zugeschrieben, mal den »Rechten«, immer aber – logischerweise – einer diffusen, in der Gesellschaft wabernden Gefahr. Diese empfundene Gefahr ist den Multiplikatoren von »Fake Hate« durchaus nützlich, sei es zur Legitimierung von Steuergeldern für dubiose Projekte, sei es zum Kampf gegen Meinungsfreiheit oder für Überwachung.

Mit »alternativen Fakten« und »Fake Hate« wird ein Narrativ bedient, das Kritiker der Regierung oder patriarchaler Ideologien als blutrünstige Monster darstellt. Wer anti-demokratische, schwulenfeindliche oder christenfeindliche Strömungen als »gleichwertig« etablieren möchte, dem kommen solche Geschichtchen zupass, ob sie wahr sind oder nicht. Wahr ist, was den Gegner schlecht dastehen lässt. »Links-Intellektuelle«, die tief innen ihr eigenes Land hassen, arbeiten gern mit, und verbreiten diese Alternativen Fakten.

Man denke etwa an das von der Tagesschau de facto beworbene »Enthüllungsbuch« über Trump, das es prompt in die Bestseller-Charts schaffte – während der Autor selbst zugibt, dass es viel »gefühlte Wahrheit« enthält. Wahr ist, was dem Narrativ dient. Alternative Fakten sind ein Werkzeug der Macht.

Was tun?

Sicher, man könnte ausrufen: »Sie lügen wie gedruckt, wir bloggen (und twittern), wie sie lügen!« – Doch, es ist nicht genug.

Das Problem: Alleine in Deutschland bekommen die Öffentlich-Rechtlichen über acht Milliarden Euro via Zwangsgebühr. Ministerien finanzieren ungezählte Projekte, die teils eindeutig anti-freiheitliche Botschaften in die Gesellschaft tragen und mithalfen, den geistigen Boden für das verfassungswidrige »NetzDG« zu schaffen. Als wäre das alles nicht genug, feilen Vereine und »Think Tanks« an Talking Points, welche in die großen Kanäle eingespeist werden, etwa via »Experten« in Talk Shows, die sich »Wissenschaftler« nennen, aber Lobbyisten sind.

Es ist nicht einfach, in dieses sich selbst verstärkende, mit Milliarden von Euro und politischer Rückendeckung angeheizte Narrativ aus nützlichem Spin und alternativen Fakten vorzudringen. Der Wahlsieg von Donald Trump zum Beispiel hat aber gezeigt, dass es dennoch gelingen kann, gegen Fake News und Fake Hate zu gewinnen. Die letzten Bundestagswahlen sind ein Hinweis darauf, dass durchaus nicht alle Bürger der Politik des merkelschen Suizidalismus blind folgen mögen, dass nicht alle Bürger das Narrativ über ihre eigene Wahrnehmung der Realität stellen.

Was also tun? Wir können schimpfen, fluchen und dennoch versuchen, unterm Radar der neuen deutschen Zensurgesetze zu bleiben, klar.

Es gilt auch, täglich über Schimpfen hinauszugehen. Wir können und müssen die Bruchstellen der Alternativen Fakten finden und aufzeigen. Schritt für Schritt vorführen, wo deren Narrativ auseinanderbricht.

Extra wichtig: Wir sollten weiter versuchen, aus der Twitter-Blog-Blase herauszukommen und zu »Offlinern« zu reden.

Erinnern wir uns an die obigen Zahlen! Die Fake-Hate-News wurde von über 16000 Menschen mehr auf Facebook geteilt als die Korrektur – die Zahl der Einblendungen können wir nur ahnen. Wie viele Meldungen wurden nicht korrigiert? Was, wenn das täglich gehypte Problem doch nicht so schlimm ist, und unsere Aufmerksamkeit sich sinnvollerweise woanders hinrichten sollte? Alternative Fakten und Ablenkung verfolgen nicht selten dasselbe Ziel.

Die Menschen, die dem »offiziellen« Narrativ glauben, sind keinesfalls alle böswillig uninformiert. Sie haben vielleicht nur keine Zeit, sind gestresst, sind zu vertrauensselig.

Der Auftrag aller »freien Denker« (und ihrer Leser) muss für 2018 bleiben, Fakten und kritisches Denken in die ARD-ZDF-Filterblase hineinzutragen, einen Nachbarn, Kollegen und Freund und Verwandten nach dem anderen zu erreichen.

Weiterschreiben, Wegner!

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