13.09.2023

Die große Maschine und ihre kleinen Teile

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten, Bild: »Die Maschine läuft (heiß)«
Eine Maschine kann nur so gut funktionieren wie ihre Bauteile. Eine unbequeme, aber dringende Frage: Wie verhält es sich heute um die »Bauteile« der Gesellschaft, sprich: Charakter und Intellekt der Einzelnen?
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Es waren einmal viele kleine Maschinen. Ach, vielleicht ist »Maschine« ein zu großes Wort. Wir könnten »Gerät« sagen. Oder noch präziser: »Bauteil«.

Von diesen Bauteilen existierten verschiedene Varianten und viele, viele Exemplare. Einige Bauteile waren etwas größer, andere etwas kleiner. Einigen Bauteilen fehlten ein paar Schrauben, andere Bauteile waren etwas eingedellt und verbogen. Doch die meisten Bauteile erledigten ihre Aufgabe zufriedenstellend, wenn auch längst nicht immer klar war, worin diese Aufgabe eigentlich bestand.

Und dann war da noch eine viel größere Maschine, und diese große Maschine bestand aus diesen kleinen Bauteilen.

Doch die große Maschine war keineswegs nur eine vergrößerte Version eines ihrer Bauteile. Die Große Maschine war nicht nur viel stärker als ihre Bauteile, sie besaß auch durchaus andere Fähigkeiten und Verhaltensweisen.

Man erzählt, dass dieses Gesamtkonstrukt früher einmal gut funktionierte. Die kleinen Maschinchen taten, wozu sie gebaut waren, nämlich vor allem ein Bauteil der größeren Maschine zu sein und als solche »ihr Ding zu machen«.

Angeblich bestand der Zweck der großen Maschine ja darin, ihren Bauteilen zu helfen, selbst wiederum ihrem Kleine-Maschine-Zweck nachzukommen, doch es konnten Zweifel daran aufkommen, wenn man sah, wie die große Maschine die kleinen Maschinchen verschliss, aus denen sie doch bestand.

Womöglich hatte die große Maschine einen ganz anderen Zweck?

Hatte sie einen?

Schon damals hätte man den Verdacht hegen können, dass sie überhaupt keinen Zweck besaß, dass sie ohne Zweck tat und trieb, was sie eben tat und trieb.

Welchen Zweck hat der Zweck?

Vielleicht ist ein »Zweck« immer etwas lediglich Zugeschriebenes, etwas Akzidentelles und damit Entbehrliches. (Probieren wir einen neuen Slogan aus: »Der Zweck ist zwecklos!«)

Es war aber nicht die Zwecklosigkeit, die der großen Maschine zum Verhängnis wurde.

Es waren Eigenschaften ihrer Bauteile, welche die große Maschine schlussendlich kollabieren ließen.

Über die Jahre ergab sich nämlich eine kuriose Divergenz: Während die große Maschine in ihrem Tun immer effektiver wurde, fiel die Qualität der einzelnen Bauteile messbar ab.

Je effizienter und schlagkräftiger die große Maschine war, desto öfter fielen die kleinen Bauteile durch Fehler und Materialermüdung auf.

Das stelle man sich so vor: Eine große Maschine, die schneller und schneller läuft, die mit jeder Umdrehung stärker und so auch gefährlicher wird – während ihre Bauteile zerfallen, zerspringen, zerbröseln.

Dazu aber sei hier nur so viel gesagt: Es schien zunächst so zu enden, wie man erwarten würde. Die große Maschine zerfiel und ihre beschädigten Bauteile verstreuten sich auf dem Fabrikboden.

Doch dann stellte sich heraus, dass das Ende keineswegs das Ende war. Eine andere, noch viel größere Maschine kam, um die erste zu ersetzen. Die neue, größere Maschine begutachtete die herumliegenden Bauteile und die, die sie selbst gebrauchen konnte, fügte sie sich ein – die restlichen fegte sie zusammen, trug sie hinaus und überließ sie ihrem Bauteilschicksal.

Doch schon lange bevor die erste große Maschine an sich selbst zerfallen war, hätten die Bauteile ja merken müssen, dass sie scheitern würde.

Man möchte, das Große und seine Teile betrachtend, den Bauteilchen zurufen: »Seht ihr denn nicht, was mit der großen Maschine passiert?«

Ich habe Zweifel, ob Bauteile wirklich in der Lage sind, über sich und die eigene Rolle in der großen Maschine zu reflektieren.

Und auch wenn sie es wären: Welche Motivation und Möglichkeiten hätte jedes einzelne Bauteil, seine Rolle in der großen Maschine zu optimieren, wenn die anderen es nicht tun?

Doch nehmen wir für einen Augenblick an, die Teile wären willens und in der Lage, einen Rat zum Wohl des Großen und Ganzen anzunehmen und sogar nach bestem Können zu befolgen – was sollten wir den Bauteilen raten?

Oder anders: Kleines Bauteil, was nun?

Nachwort und Verweis

Ich hoffe, Sie sind an dieser Stelle für heute »zufriedengestellt« oder zumindest »angeregt«. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, reiche den Klingelbeutel herum und sage: »Bleiben Sie gesund! Beim nächsten Essay denken wir zusammen weiter.«

Wenn Sie aber mögen, hätte ich noch einen begleitenden Text für Sie, der die »Inspiration« zu dieser Metapher erläutert: »Und dann fror er ein«

Weiterschreiben, Dushan!

Danke fürs Lesen! Bitte bedenke: Diese Texte (inzwischen 2,182 Essays) und Angebote wie Freie Denker und meine Videos sind nur mit deiner regelmäßigen Unterstützung möglich.

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