Dushan-Wegner

11.11.2021

Die Menschen wurschteln sich durch

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Es gibt keine fliegenden Autos, und es wird so bald keine geben. Simpler Grund: Wir sind unvollkommene Lebewesen, mehr so Durchwurschtler. Man kann auch sagen: Es ist gut, dass unsere Autos mit allen vier Reifen auf dem Boden der Tatsachen fahren.
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Was fehlt da?

Jetzt, wo ich es erwähne, fällt Ihnen bestimmt auf, was da fehlt.

Die fliegenden Autos fehlen!

Keine fliegenden Autos, nirgends!

Wahrscheinlich sehen Sie um sich herum andere Automobile, »normale« PKWs. Aber oben? Da sehen Sie keine fliegenden Autos.

Unsere Autos fliegen nicht. Mit »Auto« meine ich ein Fahrzeug des Individualverkehrs in der Stadt. Diese Autos fliegen nicht – und das wird wahrscheinlich so bleiben.

Seit es Autos gibt, träumen die Menschen davon, dass eines Tages diese Autos auch fliegen werden.

In Science-Fiction-Filmen stehen fliegende Autos als Symbol für die Zukunft selbst.

In Blade Runner fliegen Autos über die nächtlichen Riesenpyramiden.

In Fifth Element und Total Recall 2012 wird die Verfolgungsjagd in fliegenden Autos abgehalten.

Sogar bei Harry Potter fliegt ein Auto, natürlich auf magische Weise.

Fliegende Autos sind eine attraktive Idee – weil und solange man wichtige Prämissen der Realität ausblendet.

Die Idee der fliegenden Autos als Fahrzeug für Individuen berechnet das menschliche Scheitern und die Folgen nicht ein.

In PKWs mit vier Rädern kann ein Unfallfahrer ein paar Leute töten, das stimmt leider. Aber er tötet nicht Hunderte, wie er es mit einem fliegenden Auto in der Stadt anrichten könnte.

Ein schlecht gewarteter PKW bleibt liegen und wird zum Verkehrshindernis. Eine Panne bei einem Flugauto dagegen bedeutet, dass eine höllische Gefahr aus dem Himmel fällt.

Ein einziger Fehler genügt, und die utopische Vorstellung vom fliegenden Auto wird schnell reichlich dystopisch.

Man kann die großen Vorstellungen von der Zukunft ja in 2 Kategorien teilen: Utopien und Dystopien.

Die Utopie träumt sich eine vollkommen gute Gesellschaft.

Die Dystopie ist dagegen eine unmenschliche und düstere Gesellschaft. Man fragt sich, was die Menschen in der Dystopie überhaupt zum Weitermachen motiviert. (Übrigens: Mediziner nennen es eine »Dystopie«, wenn Organe sich an Stellen befinden, wo sie nicht hingehören.)

Die Menschheit hat beides durchprobiert, Utopien wie Dystopien. Das eine war nicht möglich, das andere ist nicht stabil.

Ideologen versuchten, vermeintliche Utopien umzusetzen, es entstanden immer wieder reale Dystopien. Ideologen brauchen regelmäßig Mauern, Soldaten und blanke Gewalt, um Menschen davon abzuhalten, aus der »Utopie« zu fliehen.

Die Länder, die tatsächlich als eine Art reale »Utopie« gehandelt werden, entstanden durch disziplinierte Arbeit über Jahrzehnte und Generationen, durch eine produktive Mischung von Entsagung bei gleichzeitiger Lust an der Produktivität.

Eine vollwertige Utopie, wie manche Visionen der Zukunft sie zeichneten, ohne Verbrechen, ohne Hunger und Leid, dafür aber mit fliegenden Autos, so eine perfekte Utopie gibt es nicht – und es kann sie nicht geben.

Reale Dystopien wiederum haben sich als instabil und auf Dauer wenig konkurrenzfähig erwiesen: Hoffnungslos unglückliche Menschen sind weit weniger kreativ und produktiv als Menschen, die glücklich zu werden hoffen.

Kurz gesagt: Dystopien sind möglich, aber instabil. Utopien aber sind nicht nur instabil – sie sind unmöglich.

Eine Utopie setzt voraus, dass alle Menschen nach einer höheren und vollkommenen ethischen Norm handeln, denken und sogar fühlen.

Dabei ist es aber nur das zweite Problem, dass jeder Versuch, so einen Standard umzusetzen, schnell zu totalitärem Zwang führt – und damit zum Gegenstück der Utopie, nämlich der Dystopie – siehe Sozialismus oder sogenannte Gottesstaaten.

Der Mensch ist unvollkommen, und wer das im Entwurf seiner Utopie nicht einberechnet, der wird erst zum Ideologen, dann, sollte er Macht erlangen, wird er zum Tyrann, und zuletzt regelmäßig zum Massenmörder – und das ist »nur« das zweite Problem des Traums von der vollkommenen Gesellschaft.

Das erste Problem der Utopie ist, dass längst keine Übereinkunft darin besteht, was ein idealer und höherer Zustand denn genau sein sollte! Selbst wenn man die Leute alle in die Form eines idealen Supermenschen pressen wollte – nach welchen Kriterien wählen wir diese Form aus?

Nach welchen Kriterien wählen wir die aus, die bestimmen sollen, nach welchem Ideal man die Menschen kneten soll?

Ach, die Frage ist eine theoretische – und manche Theorie wurde dazu aufgestellt.

Der Mensch ist nicht knetbar, sonst wäre er Knetmasse und nicht Mensch.

Der Mensch ist nicht vollkommen und gut, und er ist nicht nur ein Lump und Hallodri!

Die Menschen sind insgesamt nicht nur böse, selbst wenn sie manches Böse entstehen ließen – und die Menschheit taugt nicht zur vollkommenen Güte, selbst wenn Einzelne immer wieder zu großer Moral bereit sind.

Die Menschen insgesamt sind nicht nur klug, und sie sind nicht vollständig blöd.

Wir sind unvollkommen, aber irgendwie haben wir bislang überlebt.

Ja, wir wurschteln uns mehr so durch. Eine Technologie aber, welche die Vollkommenheit aller Beteiligten erfordert, wäre in der Hand von unvollkommenen, sich durchwurschtelnden Wesen denkbar gefährlich.

Nein, Flugautos wären keine gute Idee. Wir sind nicht die richtigen Wesen für fliegende Autos – doch wir müssen zum Glück ja nicht nur zu Fuß gehen! Wir haben normale Autos, also die mit vier Rädern und Knautschzone und so – es sind die richtigen Autos für Lebewesen, die sich mehr so durchwurschteln.

Es gibt ja durchaus fliegende Busse, und wir nennen sie Verkehrsflugzeuge. Menschen zwängen sich in diese, um die zwei Wochen Erholung anzutreten, für die sie ein Jahr lang sich durchgewurschtelt und Geld gespart haben. Flugzeuge aber fliegen unter Sicherheitsbedingungen, die genügend nah sind an einem vollkommenen System.

Warum es keine fliegenden Autos gibt und geben wird, und warum weder Dystopien noch Utopien sich stabil durchsetzen können, es hat wohl eine gemeinsame Begründung: die Natur des Menschen.

Die Menschen von heute sind im Prinzip ähnlich blöd und ähnlich klug wie die Menschen von vor hundert und vor tausend Jahren. Unsere Technologie mag weiter sein, doch die Grenzen ihrer Anwendbarkeit werden weiterhin von den Grenzen menschlicher Qualitäten gesetzt – und die sind weitgehend dieselben.

Aber ja, ich kann, ich will und ich werde es positiv formulieren, nämlich so: Die Menschen wurschteln sich durch.

Die Menschheit und der Mensch als Typus in ihr, wir werden nicht klüger und nicht edler – wir sind und bleiben »ein Sichdurchwurschtelndes«.

Eine Technologie, welche die Gesellschaft erfolgreich formen soll, kann nur eine Technologie für den sich-durchwurschtelnden Menschen sein.

Wir bleiben die manchmal nervigen, die oft liebevollen, die bei Gelegenheit bösartigen und dann wieder wunderbar gütigen Fehlbaren, die wir vor zehn und zwanzig und mehr Jahrhunderten waren.

Wenn Sie sich also demnächst wieder fragen, wie unser aller Sache weitergehen wird, dann schauen Sie aus dem Fenster und blicken Sie um sich.

Wenn Sie keine fliegenden Autos sehen, dann wissen sie: Wir Menschen werden uns schon irgendwie durchwurschteln.

Weiterschreiben, Wegner!

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