Es war damals, im letzten Jahrtausend, fast ein Jahrzehnt vor 9/11, und noch während Helmut Kohl unser Kanzler war, da arbeitete ich eines Sommers in einer Farbenfabrik.
Eine mehrwöchige USA-Reise war geplant, und es galt, noch etwas Kleingeld zu verdienen. Als Hilfsarbeiter in einer Farbenfabrik wurde ich für Hilfsarbeiten abgestellt, von Container-Reinigung (in Schutzkleidung, klar) bis hin zum Abfüllen von Farbe in Verkaufseinheiten.
Ich kann mich gut daran erinnern, als ich zum ersten Mal händisch die Farbe für den Verkauf abfüllen sollte. Das Abfüllen der Farbe war an sich wenig spektakulär: Ich stellte einen Plastikbehälter unter das Silo mit der Farbe. Ich füllte die Farbe hinein. Ich verschloss den Plastikbehälter mit einem Deckel und stapelte die gefüllten Behälter auf einer Palette.
So weit so wenig spektakulär – wäre da nicht ein Detail…
Wenn ein Farben-Abfüll-Tag auf dem Plan stand, wurde mir ein Farbsilo zugeteilt, und dazu erhielt ich eine Liste, wie viele Paletten es von welcher Farb-Marke bräuchte. Etwa »2 Paletten Marke A, 4 Paletten Marke B«, und so fort.
Fällt Ihnen am letzten Absatz eine inhaltliche Schräge auf? Ein Missverhältnis? Oder sind Sie bereits so bewandert in der Marketing-Logik des modernen Kapitalismus, dass Sie es zwar sehen, es Ihnen aber »normal« längst nicht »schräg« erscheint?
Nun… das Missverhältnis ist: Mir wurde ein Farbsilo zugeteilt, doch ich füllte daraus die Farbe verschiedener Marken ab.
Mit anderen Worten: In den Containern der verschiedenen Marken war die gleiche Farbe drin.
Es waren Marken, die miteinander konkurrierten, teils mit großen Werbebudgets. Die teuerste Marke kostete ein Vielfaches der günstigsten. Die Marken standen teilweise im Baumarkt nebeneinander – und einige Kunden wählten die eine Marke, andere wählten die andere Marke, und jeder Kunde hatte gewiss gute Gründe.
Nicht dass wir uns missverstehen: Die Farbe war ein hervorragendes Produkt – viele Jahre später würde ich eine der Marken selbst nutzen, um unser Zuhause zu streichen, mit nichts als guten und sentimentalen Gefühlen – doch es war damals das erste Mal, dass ich erfuhr, wie »Marken« eben manchmal funktionieren (und es war nicht das letzte Mal).
Meine Rolle damals erscheint mir wie eine erschreckend präzise Metapher für manche Politiker, Journalisten und andere Propagandisten heute: Der gehorsame Hilfsarbeiter, der die immergleiche Tünche in die Bottiche füllt, und dann, je nach Tagesparole, mal dieses und mal jenes Etikett draufpappt. (Und die arglosen Kunden im Baumarkt führen dann lange hitzige Diskussionen, bis hin zu wahren Religionskriegen, welches Produkt das beste sei.)
Überall dieselbe Tünche, nur manchmal mit verschiedenen Deckeln… und damit wären wir bei den Nachrichten des Tages.
»Heizen kann es ja wohl nicht sein«
Einige von Ihnen haben es dieser Tage mitbekommen: Bühnenphilosoph Dieter Nuhr wurde von der »Deutschen Forschungsgemeinschaft« gebeten, einen Videoclip zur Bedeutung der Wissenschaft einzuspielen. Das hat er getan, und es ist ein kluges erkenntnisphilosophisches Stück geworden. Nuhrs Kernaussage: »Wissenschaft weiß nicht alles – ist aber die einzige vernünftige Wissensbasis, die wir haben. Deshalb ist sie so wichtig!«
Man hatte nicht mit dem Twitter-Mob gerechnet.
Im Text »Übergewicht und Übermoral« erwähnte ich die Schreiberin Bari Weiss, die bei der berüchtigten New York Times kündigte, und in ihrem Kündigungsschreiben davon schrieb, dass bei jener Zeitung inzwischen der linke Twitter-Mob die Endredaktion betreibe, und es ist wohl nicht nur beim nicht-nur-amerikanischen Leitblatt der Trump-Hasser so…
Nuhr wagte es in der Vergangenheit mehrfach, Thesen zu hinterfragen, die irgendwer als »Wissenschaft« verkündet hatte. Er schmunzelte über die von einer recht kühlen PR-Maschinerie aufgebaute Figur Greta Thunberg (»Ich bin gespannt, was Greta macht, wenn es kalt wird. Heizen kann es ja wohl nicht sein«, merkur.de, 15.12.2019), welch Blasphemie! Er wagte sogar das durchaus spannende Verhältnis von Merkel und Drosten aufzuspießen (»Ist dieser Drosten noch ihr virologischer Berater?“ oder „Ist sie ihm inzwischen hörig?«, laut merkur.de, 5.5.2020).
Der linke Mob mag Witze über links-globalistische Glaubenssätze wirklich, wirklich nicht. Anonyme und nicht-ganz-anonyme Linke schimpften so lange, bis die ach-so-wissenschaftliche Deutsche Forschungsgemeinschaft den nachdenklichen Beitrag des Kabarettisten von ihrer Website herunternahm und öffentlich Abbitte tat (@dfg_public, 31.7.2020) – in den Sozialen Medien ist der Audio-Beitrag, während ich dies schreibe, weiterhin verfügbar (@dfg_public, 30.7.2020).
Folgerichtig und konsequent
Im Text »The Left Can’t Meme – Warum Linke keinen Humor können« riss ich an, warum (heutige) Linke aus logischen Gründen nicht in der Lage sind, echten Humor zu formulieren oder auch nur darüber zu lachen (linker »Humor« besteht heute aus Verhöhnung von Andersdenkenden).
Unsere Begriffe von der Welt (unser Weltbild) und die Tatsachen der Welt selbst (die Realität) passen nie perfekt zueinander. Der erste Grund für die Divergenz von Begriffen und Realität ist, dass die Natur/Evolution effizient vorgeht: Praktisch alle unserer Eigenschaften sind dem Prinzip des »gut genug« untergeordnet – und zwar gut genug um unsere DNA weiterzugeben. (Medizin und private Gesundheitsvorsorge sind zum guten Teil damit beschäftigt, den Verfall des Körpers aufzuhalten, der schlicht dadurch entsteht, dass wir »gut genug« zum Kinderzeugen und Aufziehen gebaut sind, und alles darüber hinaus ist ein Luxus, den Mediziner auszudehnen versuchen.)
Auch unsere Alltags-Begriffe funktionieren meist nach dem Prinzip des »gut genug«. Kein Begriff enthält alle Informationen über den Gegenstand (wenn Sie kein Ingenieur sind, enthält Ihr Begriff von Autos wenige Informationen über den Motor-Aufbau). Manche unserer Begriffe sind ganz oder teilweise falsch, manche passen untereinander nicht zusammen, andere Begriffe sind unbeweisbar oder schlicht ausgedacht.
In wichtigen Fällen kann die Differenz zwischen Begriffen und Realität buchstäblich schmerzen, und das ist, wo Humor weiterhilft.
Wir scherzen übers Alter, weil es so weh tut, uns selbst dabei beim Auseinanderfallen zuzusehen. Wir scherzen über Ehe und Kinderaufziehen, weil unsere Idealbegriffe und die Realität von Beidem auf so lächerliche wie schmerzhafte Art auseinandergehen. Als Dieter Nuhr über die von PR-Profis aufgebaute Figur »Greta Thunberg« scherzte, griff er einen tatsächlichen Schmerz auf, konkret die schmerzhafte Differenz von Thunbergs Rolle als Verehrungsobjekt und die Realität dieses nach eigenen Aussagen unter seelischen Problemen leidenden Kindes. (Randnotiz: Manche Reaktionen auf seine Witze entlarvten unbeaufsichtigt die perfide Propaganda-Strategie hinter der Thunberg-Figur. Es sei unanständig, so hieß es, öffentlich Witze über ein Kind zu machen – es ist der zynische Versuch einer mit viel Geld geölten PR-Maschine, Thunberg gegen jede schärfere Kritik zu immunisieren.)
Humor ist eine Reparaturwerkstatt der Begriffe. Indem wir lachen, beginnen wir bereits mit der Begriffs-Reparatur, denn wir erkennen zumindest an, dass es eine Differenz gibt – und das ist der Grund, warum heutige Linke – wie alle anderen Ideologen! – keinen Humor »können«, weder aktiv noch rezipierend.
Ideologen setzen zur Prämisse, dass alle ihre Begriffe »richtig« sind, Humor erkennt an, dass Begriffe unvollkommen sind und immerzu repariert werden müssen – deswegen fürchten alle Ideologen und Diktatoren den Humor, und Humor über ihre Lehrsätze und Autoritäten wird verboten und verbannt, abgestraft und abgeschafft.
Es war folgerichtig und konsequent, dass der linke Mob gegen das Statement eines Witzemachers tobte, der es gewagt hatte, gegen die Lücken und Fehlern in linken Glaubenssätzen aufzubegehren (und es überrascht genau gar nicht, dass man sich in stramm linksideologischen Blättern wie sueddeutsche.de, 1.8.2020 hinter die Abstrafung des Witzemachers stellte).
Es war dann doch erstaunlich, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft sich so schnell und so öffentlich vom Kabarettisten Nuhr distanzierte – eigentlich müsste Humor der Wissenschaft näher sein als die blinde Wut der Ideologen – eigentlich…
Nachtrag 6.8.2020: Der Beitrag des Kabarettisten ist nun doch wieder auf der Homepage zu hören, siehe dfg2020.de/gemeinsam-fuer-das-wissen/. – Beginn der entsprechenden Erklärung der DFG:
Die DFG bedauert es ausdrücklich, das Statement von Dieter Nuhr vorschnell von der Internetseite der Online-Aktion #fürdasWissen herunter genommen zu haben. (dfg2020.de/beitrag-von-dieter-nuhr-wieder-online/)
Na, immerhin. Man hätte auch schlechter auf die Reaktion reagieren können (etwa gar nicht oder trotzig). – Ende des Nachtrags.
Nur die Deckel
Wer in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrtausends auch nur halbwach die Entwicklung der Welt beobachtete, der kam kaum umhin, eine erschreckende Vereinheitlichung öffentlicher Meinung zu diagnostizieren.
»Wenn es drauf ankommt«, wenn es darum geht, Deutschland und die Demokratie zu schwächen, sei es durch den Migrationspakt oder durch geradezu irre Bürgschaften, scheint im »Rahmen des Anerkannten« nur noch eine Einheitsmeinung zu existieren. Von ARD über CDU und FDP, über die Grünen und SPD bis hin zum ZDF (von den wenigen Ausnahmen wie dem erwähnten Nuhr abgesehen, noch…) – überall die selbe Tünche drin, nur die Deckel sind verschieden.
Nun würde man hoffen, dass zumindest Wissenschaftler »frei« wären in ihrem Denken (und dann auch im Forschen). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verteilt jedes Jahr mehrere Milliarden Euro an Forschungsgeld. Man fragt sich: Wie »meinungsdivers« verläuft die Verteilung des Geldes? Ich sage es mal so: Wenn es heißt, dass sich angeblich »die meisten Wissenschaftler« etwa zum Klima einig sind, plagt mich schon länger ein gewisser Verdacht, wie dieses »die meisten« entstanden sein könnte.
Einschub: Freiheits-Demos in Berlin
In Berlin haben letzten Samstag zigtausende Menschen (manche sagen: hunderttausende!) gegen die mutwilligen Corona-Maßnahmen der Regierung demonstriert – die Einheitsmeinung war sehr entschlossen dagegen (tagesschau.de, 2.8.2020). Ich selbst bin in einem Meinungs-Zwischenraum: einerseits halte ich es nicht für einen ernsthaften Freiheitsverlust, die Hände zu waschen und im Supermarkt eine Maske anzuziehen, die Japaner oder medizinisches Personal im OP-Saal ganz selbstverständlich tragen, andererseits sehe ich die reale Gefahr durchs Herunterfahren von Wirtschaft und Aufschieben von Operationen. Und, vor allem: Ich bezweifele nicht, dass Leute wie die Merkel-Regierung jede Krise, also auch das China-Virus, dazu nutzen werden, ihre Macht zu stärken und nebenbei die Werte der Demokratie auszuhöhlen.
Politik und Propaganda beschimpften die demonstrierenden Andersdenkenden in heute gewohnter Derbheit, es fielen fast-schon-übliche Beleidigungen wie »Covidioten«, wie Regierungsparteien in Deutschland eben über Andersdenkende sprechen. Zugleich: Es muss schon ein magisches Virus sein, dessen Ansteckungskraft sich an der politischen Gesinnung der Personen ausrichtet! Sogar der Staatsfunk stellt fest, dass die marxistischen Black-Lives-Matter-Demos die Corona-Infektionen kaum beeinflusst haben (deutschlandfunk.de, 2.8.2020).
Auch wenn ich nicht jede Meinung der Demonstranten teile – so teile ich definitiv ein gesundes und mich-selbst-erschreckendes Misstrauen gegenüber der vermerkelten Regierung und dem verfluchten Staatsfunk – so bin ich ehrlich glücklich darüber, dass so viele Menschen es wagen, offen der Einheitsmeinung zu widersprechen.
Niemand kennt wirklich »die Wahrheit«, zumindest nicht was diese Erde und dieses Leben angeht, doch wer sich der Debatte verweigert, wer abweichende Meinung verteufelt und Andersdenkende verfolgt, der liegt ziemlich wahrscheinlich auf mehr als einer Ebene falsch.
Es könnte sich herausstellen…
Die Berliner Meinungsfabrik verkauft uns eine einheitliche Einheitsmeinung, und sie klebt nur hundert verschiedene Aufkleber drauf – wem die Einheitsfarbe nicht gefällt, der wird fertiggemacht.
Ich freue mich über jeden Menschen, welcher der Einheitsmeinung widerspricht. Heute wird so manches Wort in sein orwellsches Gegenteil umgedeutet, und dazu gehören »divers« und »bunt«, welche Code sind für geistigen Gleichschritt und (oft von »alten weißen Männern«) vorgegebene Einheitsmeinung, wenn auch von Menschen verschiedener Hautfarbe aufgesagt.
Ich freue mich, wenn Meinungen tatsächlich bunt sind, wenn wir sprechen, wenn wir Kritik aussprechen und mancher »offiziellen« Meinung widersprechen.
Oder, als Aufforderung formuliert: Wenn sie alle in ihrer Einheitsfarbe pinseln, sei der andersfarbige Klecks! Es könnte sich herausstellen, dass du derjenige warst, der die ganze Zeit über richtig lag!