Dushan-Wegner

03.08.2023

Der Guten eisiges Schweigen

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Bild: »Verflucht kalt hier.«
Wenn ein »alter weißer Mann« auch nur ein ungeschicktes Kompliment macht, springt die nationale Empörung an. Wenn aber »junge Männer« eine Minderjährige vergewaltigen, herrscht eiskaltes Schweigen. Warum?
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Zu den schrecklichsten Begriffen, die ich je hörte (oder mir auch nur vorstellen kann), gehört die »Vernichtung lebensunwerten Lebens« (siehe Wikipedia). Wir denken bei dem Begriff an die NS-Zeit, doch tatsächlich wurde er 1920 von Alfred Erich Hoche etabliert.

Hoche war Psychiater, Neuroanatom und Neuropathologe. Er wurde 1865 als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. Er studierte, promovierte und habilitierte, heiratete und zeugte einen Sohn (der im 1. Weltkrieg fiel), schrieb im Alter nur noch Belletristik und starb im Jahr 1943. Das Urteil steht aus, ob er an einem Schlaganfall oder am »Bilanzsuizid« starb.

Von Alfred Erich Hoche aber bleibt jenes Schlagwort, gegen welches alles in unserer Seele rebellieren will. Wir stellen fest: Wenn die relevanten Strukturen sich nur genug von den unseren unterscheiden, kommen auch respektable Menschen auf sehr gruselige Ideen.

Auf sein Niveau

Die deutsche Intelligenzija – oder was man von Staats wegen dafür zu halten hat – hat sich bekanntlich ein sehr komfortables Konstrukt zurechtgelegt, wonach es ungebührlich oder sogar strafbewehrt ist, auf Parallelen zwischen dem Denken und Handeln der heutigen »Guten« und jener »Guten« der NS-Zeit hinzuweisen. Das Argument lautet etwa: »Auch wenn wir heutigen Guten stellenweise den echten Nazis von damals ähneln, sind wir doch nicht so schlimm wie diese, also ist es eine Verharmlosung jener, unser Tun und Handeln mit deren Tun und Handeln zu vergleichen, und muss folglich verboten und bestraft werden.« (Dieselben sind es natürlich, die unentwegt ihre politischen Gegner als »Nazis« oder »Faschisten« titulieren.)

Weil dem aber so ist, halte ich mich an den Rat, mich nicht mit Lügnern und Trotteln anzulegen (»Er zieht dich auf sein Niveau hinunter und schlägt dich dann mit Erfahrung«). Ich werde mich also nicht auf Debatten darüber einlassen, ob auch heute gewisses Leben de facto als »lebensunwert« klassifiziert und entsprechend »behandelt« wird, nur eben mit anderem, »korrekten« Vokabular – und was Länder gemeinsam haben, in denen dies geschieht. (Wussten Sie übrigens, dass die Gründerin der amerikanischen Abtreibungs-Organisation »Planned Parenthood« eine Anhängerin der Eugenik war? Ja, das ist eine Verschwörungstheorie, sprich: Es ist gut dokumentiert, siehe plannedparenthood.org, aber stört womöglich das Narrativ der »Guten«.)

Nein, ich debattiere das nicht. Ich möchte vielmehr heute auf eine eher emotionale Parallele hinweisen, eine Parallele in den Begriffen: Die Praxis öffentlicher Debatte unterscheidet heute zwischen Leben, das zu bemitleiden ist, und Leben, das nicht zu bemitleiden ist.

2018 stellte Martin Lichtmesz im Text »Die Hierarchie der Opfer« fest, dass es in Deutschland erstaunlich präzise vorhersagbar ist, welche Gewaltopfer öffentlich beklagt werden – und bei welchen aktiv weggeschaut wird.

Alles klar?

In Deutschland ereignen sich derzeit so viele Sexualdelikte, dass die Frage »Hast du von dieser, äh, sexuellen Tat gehört?« die Rückfrage erzwingt: »Von welcher?«

Gemeint sein könnte der Fall des Afghanen »Mohammad M. (23)« in Regensburg (bild.de, 3.8.2023). Er vergewaltigte eine 16-Jährige und belästigte andere Frauen und kam frei – weil er, so der Richter (!), ein »Musterbeispiel dafür ist, wie man in Deutschland gut ankommen kann«.

Oder ist der Fall in Regen gemeint (pnp.de, 1.8.2023)?

Oder der Fall in Bocholt (lokalklick.eu, 2.8.2023)?

In Berlin zumindest sind wahrscheinlich aktuell die Fälle der »Gruppenvergewaltigungen« und eine Reihe weiterer Sexualdelikte in Berliner Parks und Grünanlagen gemeint.

Ich schrieb über das Grünen-Utopia »Görlitzer Park« schon 2019 im Essay »Vom Verlust öffentlicher Orte« und 2020 in »Kreuzberg, ein Modell für Deutschland«. Wir erfahren nun, dass es »allein in der ersten Hälfte dieses Jahres dort bereits zu acht Fällen von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und des sexuellen Übergriffs gekommen sei«, davon fünf im Juni, dazu über ein Dutzend weiterer Sexualdelikte und zwei Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern (jungefreiheit.de, 27.7.2023).

Die Berliner Polizei aber scheint zu mauern, und der Bürger denkt sich: »Alles klar«.

Dit is Berlin

Im Zusammenhang mit den jüngsten Vergewaltigungen und Raubüberfällen im grünen Deutschland-Vorbild »Görli Park« gab es wohl mehrere Festnahmen der mutmaßlichen Täter aus der »Dealer-Szene« (welt.de, 2.8.2023).

Einer der Festgenommenen stammt anscheinend aus Somalia. Es gibt wohl noch mehr Verdächtige, doch die Polizei will aus »ermittlungstaktischen Gründen« »keine weiteren Angaben zur Tat oder den Tatverdächtigen machen« (ebenda). Man fahndet nach Tätern, indem man nicht sagt, woran sie zu erkennen sind – dit is Berlin.

Diese Hitze!

Womöglich ist die Identität der Täter den Behörden auch gar nicht so wirklich wichtig, denn es könnte ein »wahrer« Täter gefunden sein.

Früher war es Usus, dass sich Täter vor Gericht auf ihre »schwierige Kindheit« herausredeten und so nicht selbst die Schuld für ihre Taten tragen mussten. Nun, der Name einer Sonderkommission der Polizei zu den jüngsten Vergewaltigungen könnte ein Hinweis darauf sein, bei wem Behörden und Gerichte die Schuld abladen wollen. Der Name ist »Calor«, was im Spanischen »Hitze« bedeutet. Die jungen Männer werden sich vor Gericht verteidigen: »Ich tat es nur, weil es so heiß war!« – Der Richter muss sie dann quasi freisprechen, sonst gilt er in Deutschland als »Klimaleugner«, und wer wollte das riskieren?

Nichts. Kälte.

Ali Utlu merkte letztens an:

Wenn die Deutschen sich nur genauso über alle freigelassenen Flüchtlinge nach einer tatsächlichen Vergewaltigung aufregen würden, wie über die angeblichen Vergewaltigungen von Till Lindemann. (@AliCologne, 3.8.2023)

Utlu vergleicht damit die mediale Aufregung um die Vorwürfe einer »Influencerin« gegen einen Rockstar mit der weitgehenden Kälte gegenüber den vergewaltigten Opfern migrantischer junger Männer.

Im einen Fall überlegten es sich Damen, die freiwillig zu Aftershow-Partys der Band Rammstein gekommen waren, offenbar später anders, und es wurde von »patriarchalen Machtstrukturen« gefaselt, natürlich unterstützt von der umstrittenen Amadeu-Antonio-Stiftung (spiegel.de, 19.6.2023). Kein einziger der Kernvorwürfe wurde belegt, doch die woke Meute tat ultra empathisch mit den Beschuldigerinnen – welche wohlgemerkt jederzeit hätten gehen können, wenn ihnen die Rammstein-Party nicht passte.

Wenn es aber um echte Vergewaltigungen von Minderjährigen geht, kennt dieselbe woke Meute keine Empathie.

Nichts.

Kälte.

In gewissen Ländern ist es üblich, dass im Fall von Vergewaltigungen auch die Vergewaltigte als »Ehebrecherin« gilt. Es ist vorgekommen, dass die Vergewaltigte selbst zu Peitschenhieben verurteilt wurde, nachdem sie öffentlich über das erlittene Leid sprach (hrw.org, 15.11.2007). Ähnlich kalt reagieren die deutschen »Guten«, wenn ein Mädchen von »jungen Männern« vergewaltigt wird.

Schweige lieber

Wenn ein »alter weißer Mann« dir auch nur ein ungeschicktes Kompliment macht, springt die nationale Empörungsindustrie an, bis dieser vermeintliche Schwerverbrecher erledigt ist. (Wir erinnern uns etwa an die hanebüchene Dirndl-Kampagne gegen den FDP-Spitzenkandidaten 2013; siehe spiegel,de, 21.1.2013.)

Wenn es aber ein »junger Mann« war, der dich vergewaltigte, dann erwarte keine Empathie von den woken Non-Player-Characters – im Gegenteil. Schweige lieber darüber, was dir angetan wurde. Nicht, dass du noch als »Rassistin« giltst! Nimm dir ein Beispiel an jener Politikerin, die eine Vergewaltigung durch »Flüchtlinge« zunächst verschwieg, weil sie »Angst hatte, dass die Vergewaltigung von Rechts missbraucht wird, um die Hetze gegen Flüchtlinge weiter anzuheizen« (daserste.ndr.de, 26.7.2016). (Oh, bin ich da gar in Sarkasmus abgeglitten?)

Ähnliche Richtung

In Deutschland teilt man Opfer in die zwei Gruppen »bemitleidenswerte Opfer« und »nicht bemitleidenswerte Opfer«.

Denken wir noch eine Sekunde darüber nach, warum wir Mitleid, Mitgefühl oder Empathie empfinden!

Indem ich deine Gefühle nachvollziehe, erkenne ich an, dass du Leben und Gefühle hast, die im Wert und Wesen dem meinen gleichen.

Die eiskalte linksgrüne Maschinerie empfindet keine Empathie für die Opfer »junger Männer«. Wenn »junge Männer« ein Mädchen vergewaltigen, gilt dessen Leid als »nicht bemitleidenswert«. Nein, es ist nicht dasselbe, wie jenes Leben als »lebensunwert« zu bezeichnen, doch es weist in eine ähnliche Richtung.

Und ist nicht das erste Mal, dass die eisige Kälte der »Guten« mir eine Gänsehaut beschert.

Rechtfertigung und Kontext

Der Erfinder des Begriffs vom »lebensunwerten Leben« hat meines Wissens selbst niemanden getötet. Doch er hat mit seinen eiskalten Ideen späteren Praktikern die Rechtfertigung geliefert.

Die »Guten«, die praktisch zwischen »bemitleidenswerten Opfern« und »nicht bemitleidenswerten Opfern« unterscheiden, vergewaltigen meines Wissen selbst niemanden. Doch sie schaffen den gesellschaftlichen Kontext, innerhalb dessen gewisse Vergewaltiger sich ungehemmt »ausleben« können. Denn diese machen die Erfahrung, dass die Behörden sie mit Samthandschuhen anfassen, dass die Journaille sie deckt und die Gerichte sie »auf Bewährung« freilassen – während der deutsche Steuermichel sie mehr als großzügig finanziert.

Keine erhabene Absicht

»Nichts ist wichtiger als das Leben«, schrieb ich 2018 gegen den eiskalten linken Ungeist unserer Zeit – und ich bleibe dabei. Und natürlich verweigern wir uns alle der Unterscheidung von »lebenswertem« und »nicht lebenswertem« Leben.

Wenn wir aber das Menschsein in jedem Mitmenschen jenseits von Worten und Erklärungen anerkennen – müssten wir uns dann nicht darauf einlassen, gerade mit den Opfern mitzufühlen?

Ich glaube den heutigen »Guten« nicht, dass auch nur eine einzige ihrer Handlungen von Empathie oder auch nur dem Versuch einer erhabenen Absicht getrieben sein könnte.

Wer vor sein Mitgefühl einen politischen Filter schaltet, der hatte vermutlich nie eines.

Ähnlich wie der Holocaust heute in der politischen Debatte vor allem als rhetorischer Hammer gegen Andersdenkende geführt wird, so wirkt das Mitgefühl der »Guten« auch nur als rhetorischer Trick, um politische Positionen durchzusetzen. Bei den »falschen« Opfern wirken die »Guten« zuverlässig wie eiskalte Psychopathen.

Umso überzeugter

Für ein Leben, auf das man später einigermaßen zufrieden zurückblicken kann, empfiehlt es sich, regelmäßig zu prüfen, was man als »gut« und »richtig« empfindet, was man also selbst tun soll. (Wohl dem, für den die Antworten auf diese beiden Fragen zusammenfallen!)

Bisweilen kann die Antwort auf die Fragen kompliziert sein, doch hier scheint sie mir recht klar: Die empathiefreie, eiskalte Art der heutigen »Guten« ist tatsächlich böse (sprich: sie beschädigt mir sehr relevante Strukturen).

Was also sollen wir tun? Unter der Prämisse, dass man tun will, was gut ist, und meiden will, was böse ist, ergibt sich nur eine Antwort: Seid nicht wie die »Guten«, denn sie sind von bösen Menschen kaum zu unterscheiden. Fühlt aber mit denen, denen Böses angetan wurde.

Tut, was wirklich gut ist. Und wenn die »Guten« euch dafür hassen, dann tut es umso überzeugter.

Weiterschreiben, Wegner!

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