Dushan-Wegner

02.08.2023

Euren Augen, euren Ohren, eurem Verstand

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Sehr normale Dinge«
Das Wort »Verschwörungstheorie« bezog sich lange auf Erklärungen, die das Narrativ störten, aber bald bestätigt wurden. Doch heute meint es Fakten, die belegbar und überprüfbar sind, aber für tabu erklärt werden sollen (etwa Berechnungen zur Migration).
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Ein altes Gespenst spukt dieser Tage mit neuer Energie durch unsere Debatte – die gute alte Verschwörungstheorie.

Der CDU-Mann und Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang hat dieser Tage anlässlich der AfD-Europawahlversammlung erklärt, dort würden »rechtsextremistische Verschwörungstheorien« verbreitet (zdf.de, 31.7.2023).

Als Beispiel für eine solche »rechtsextremistische Verschwörungstheorie« der AfD nennt Haldenwang den »großen Austausch«. Bezieht er sich auf die von der UN diskutierte »Replacement Migration« (siehe un.org)?

Oder meint er die Quasi-Erpressung, Millionen von »Fachkräften« ins Land zu holen, weil nur so die Rente zu finanzieren sei (siehe Essay vom 3.7.2023)?

Oder meint der CDU-Mann die steigende Prozentzahl von Muslimen im einst christlich geprägten Deutschland (bamf.de), verbunden mit Kampfansagen jenes damaligen Spiegel-Korrespondenten Hasnain Kazim? (»Gewöhn dich dran. Wir sind hier, werden immer mehr und beanspruchen Deutschland für uns. Ob du willst oder nicht«, siehe tichyseinblick.de, 15.9.2016.)

Ach, bedeutet ein Begriff, was er laut irgendwelchen privaten Definitionen »meint«, oder bedeutet er, wofür er in der Praxis verwendet wird?

Kurze Geschichte des Begriffs

Wie so viele Begriffe heute erlebt auch »Verschwörungstheorie« eine Umdeutung. Erst galt das Wort als Herabwertung einer abweichenden Deutung aktueller Ereignisse.

Doch in den letzten Jahren wurden »Verschwörungstheorien« immer wieder wahr, etwa rund um die Biden-Familie oder die Coronapanik. Sprich: Die Theorien wurden bestätigt.

Also versuchte die Propaganda die »Theorie« aus dem Begriff zu entfernen, und man sprach von »Verschwörungsmythen« und »Verschwörungserzählung«. Tatsächlich lieferten sie mit diesem Neusprech nur ein Schibboleth, mit dem sich Propaganda leichter ausmachen ließ (siehe Essay vom 10.5.2021). (Ich dokumentiere überhaupt gern diese freiwilligen Erkennungszeichen des postdemokratischen Gleichschritts, siehe dazu auch »Die demokratischen Parteien« vom 12.6.2023.)

Ich selbst schrieb den Begriff um zum »Irgendwas-stimmt-da-nicht-Theoretiker«. Und ich kehrte die Anklage um: Nicht der Verschwörungstheoretiker muss seine These rechtfertigen, sondern der Verschwörungsleugner!

Im Intro zum Essay »Die Hühnerverschwörung« schrieb ich: »In jeder Familie und jeder Firma finden sich private Interessen, Kungeleien und Vorteilnahmen — Verschwörungsleugner aber glauben, dass ausgerechnet da, wo reichlich zu profitieren wäre, all das seit heute Morgen magischerweise nicht existiert.«

Es hat sich herumgesprochen

Wir können zwei interessante Entwicklungen ausmachen: Die Teilworte »Mythen« und »Erzählungen« weichen wieder der »Theorie«. Und man argumentiert auch nicht mehr gegen den Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen – man will es zum Tabu erklären, darüber zu sprechen.

Es hat sich nun wirklich herumgesprochen, dass die Verschwörungstheorien von gestern die Meldungen von heute sind.

Man will aber offenbar nicht das Investment verloren geben, das man ins negative Aufladen jenes Begriffs gesteckt hat. Also verwendet man es neu: »Verschwörungstheorie« bezeichnet jetzt nicht mehr nur die plausible, aber störende Vorhersage – »Verschwörungstheorie« bezeichnet inzwischen schlicht das Nennen und Zitieren von bekannten Tatsachen, welche dem gewünschten Narrativ widersprechen.

Ob realistische Berechnungen zur Migration, Fakten zur mRNA-Injektion, Fakten zur Geschichte von Pfizer, Fakten zu aktuellen Entwicklungen in der EU bezüglich Geld und Zensur, Fakten zur Umweltzerstörung durch angeblichen Klimaschutz – das und noch viele weitere Themen sind keine Vorhersage und Theorie mehr.

Diese Fakten sind jedem bekannt, der sie erfahren und kognitiv zulassen will, und doch gilt es als »Verschwörungstheorie«, sie zu benennen – und als »rechtsextremistische Verschwörungstheorie«, wenn »Verschwörungstheorie« allein nicht ausreicht; siehe »Dysphemismus-Mühle« im Essay vom 24.10.2018.)

Mut und dann Vertrauen

Mit lapidarer Nonchalance ist Deutschland an dem Punkt angelangt, den George Orwell in 1984 als »final, most essential command« beschreibt: «The Party told you to reject the evidence of your eyes and ears. It was their final, most essential command.” – zu Deutsch etwa: »Die Partei befahl dir, zurückzuweisen, was deine Augen und Ohren wahrnahmen. Das war ihr finaler und wichtigster Befehl.«

Lebenserfahrung bedeutet auch, eine Ahnung dafür zu entwickeln, wem man vertrauen sollte und wem nicht. Deine Sinne und dein Verstand mögen sich in der Vergangenheit geirrt haben, doch sie taten es gewiss nie böswillig oder gar weil sie fürs Täuschen bezahlt werden.

Wenn also das Narrativ in Politik und Presse dem widerspricht, was deine Sinne und dein Verstand dir sagen, dann vertraue der Instanz, welche dir näher und damit eher wohlgesonnen ist.

Immanuel Kant ermunterte uns: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«

Es ist wahr und richtig, doch wir sollten es heute erweitern: Habe Mut, dich deiner Sinne und des Verstandes zu bedienen – und dann habe die Standfestigkeit, deinen Sinnen und deinem Verstand zu vertrauen!

Weiterschreiben, Wegner!

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