05.07.2020

Ich habe das Recht, nicht an deinem Seelenleben zu leiden

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Pierangelo Bettoni
Eine gewisse Klasse fordert von uns aggressiv, dass wir uns in ihr Seelenleid einfühlen – während sie selbst uns verachtet und beschimpft. Sorry: Ich habe das Recht, nicht an deinem Seelenleben zu leiden.
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Zwei Männer treffen auf der Straße aufeinander. Als sie wieder auseinander gehen, hat der eine zehn Euro mehr in der Tasche als vorher.

Was ist geschehen? Und war es rechtens? – Die Antwort auf die zweite Frage ergibt sich natürlich aus der Antwort auf die erste, oder, wie kluge Leute sagen: Es kommt drauf an!

Fall Eins: Ein Mann droht dem anderen mit üblen Nachteilen, wenn dieser ihm nicht zehn Euro gäbe – sprich: Er raubt ihn aus.

Fall Zwei: Ein Mann sagt, dass er Hunger hat, und bittet den anderen Mann um etwas Essensgeld, woraufhin dieser ihm zehn Euro schenkt.

Von außen betrachtet ist in beiden Fällen dasselbe passiert, doch wenn man näher hinschaut, ist der eine Fall ein Verbrechen und der andere Fall ein Akt praktischen Humanismus.

Unseren Mitmenschen unser Gehör

Jeder Mensch hat ein Gefühlsleben. Nicht jeder Mensch denkt, also in dem Sinne, dass er in seinem Inneren die Stärken und Schwächen seiner Argumente abwägt, aber alles, was Mensch ist (und wohl einiges, was Tier ist), fühlt etwas.

Um einen anderen Menschen zu verstehen, ist es gewiss ein Anfang, seine Worte und Argumente zu hören, doch häufig ist es weit wichtiger, sein Gefühlsleben zu verstehen. (Ähnliches gilt, wenn man das Verhalten von Menschen nicht nur verstehen, sondern auch steuern möchte; siehe dazu »Talking Points«. Wie viele unserer ach-so-rationalen Argumente sind wenig mehr als wacklige Rationalisierungen emotionaler Wallungen?)

Sich in die Gefühlslage eines anderen Menschen hineinzuversetzen, das nennt man auch Empathie, und es ist eine Leistung, ein Dienst, den man an einem Mitmenschen ausübt. Wir schenken unseren Mitmenschen unser Gehör, wenn wir uns in ihn hineinfühlen.

Mal bittet man um Aufmerksamkeit und mal gibt man, mal fleht man um Mitgefühl, mal gewährt man es großzügig – sich in den anderen einzufühlen, das ist tatsächlich vergleichbar mit dem Schenken von Geld oder anderer Hilfe. Es stellt sich also die Frage: Gibt es auch den emotionalen Raub?

Jene Minute neues Mitgefühl

Wir erleben heute eine asymmetrische Debattenlage, in Angelegenheiten der Empathie wie auch in Angelegenheiten des Geldes.

Das Land ließe sich in zwei Gruppen teilen: Jene, welche immer nur fordern, fordern, fordern – und jene, welchen immer nur genommen wird.

Auf der einen Seite sind die Staatssekretärinnen, Staatsfunker und Profi-Jammerer, die genau zwei Betätigungsfelder kennen: 1. Empathie fordern, und 2. Geld fordern – und wenn sie beides nicht bekommen, versuchen sie, einen mit Gesetzen, Polizei und Propaganda dazu zu zwingen, es ihnen zu geben.

Auf der anderen Seite sind die Bürger, von denen unablässig genommen und gefordert wird – denen man aber nichts, exakt gar nichts zurückgibt.

Wir kennen sie ja alle, diese Figuren, bei denen man sich fragt, was sie in ihre Ämter gebracht hat außer dieser oder jener Quote, gepaart mit grober Unverschämtheit – denn Kompetenz in irgendeinem Feld außer der Kunst der dauernden Forderung kann es ja kaum sein.

Diese Figuren, und, ja, moderne »Linke« als Prototyp, fordern Geld. Was aber außer Leid und Zwist geben sie zurück? Wenig. (Geld, das so wertlos ist, dass Bürger die Scheine zu Handtaschen falten; siehe dw.com, 18.5.2018.) – Ähnlich ist es mit der Empathie: Linke und professionelle Jammerer verlangen jeden Tag neue Empathie, jede Minute neues Mitgefühl mit ihren Anliegen, doch wie viel Empathie schenken sie selbst zurück? Ha! Nichts – im Gegenteil!

Linke und professionelle Jammerer fordern nicht nur Geld, sie fordern auch Empathie und Mitgefühl, doch selbst gefallen sie sich darin, diejenigen, von denen sie Empathie und Mitgefühl fordern, offen zu verachten, sie nicht einmal als vollwertige Menschen zu akzeptieren.

Von TAZ über FAZ bis zum Staatsfunk schallt uns entgegen: »Wir Linken hassen euch und verachten euch, eure Werte sind uns Dreck, eure Freude ist uns gleichgültig und euer Schmerz ist uns Freude – und jetzt fühlt euch gefälligst in unsere Problemchen hinein (und gebt uns euer Geld dazu, klar)!«

Meine Dämonen, nicht deine

Nein, es ist nicht Empathie, die ich von denen fordere, die mich verachten, wie sie jeden verachten, der einen Spaten auch einen Spaten zu nennen wagt. Öffentliche Debatte ist keine Stehparty und keine Paartherapie, wo man dem anderen zuhört, damit der auch einem zuhört, immerzu aushandelnd, wer im Zugehört-Werden am trickreichsten gedealt hat.

Nein, warum sollte ich mir das Mitgefühl von Leuten wünschen, die manisch stolz auf sich sind, jeden Andersdenkenden zu hassen, zu verachten, mich geringer als gering zu schätzen? Warum sollte ich um die Empathie von Menschen werben, mit denen zu reden sich anfühlt wie überfallen und ausgeraubt zu werden?

Nein, es geht nicht um eine emotionale Asymmetrie, längst nicht mehr, dafür hat die deutsche Meinungsmaschinerie zu viel zerstört. Zusätzlich zum »Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden« beanspruche ich ein weiteres Grundrecht: Ich habe das Recht, nicht an deinem Seelenleben zu leiden.

Du leidest an deiner mangelnden Qualifikation für einen nützlichen Beruf? Du leidest daran, dass deine Werte nicht zu dem Land passen, das du damit beehrst, dich und deine Familie finanzieren zu dürfen? Du leidest daran, dass man dir einredete, jede deiner Ideen sei wertvoll, und wer dir widerspricht, der sei böse, und die Realität lässt dich ahnen, dass man dich angelogen hat? Alles, alles schlimm, kein Zweifel – und doch behalte ich mir das Recht vor, dein Seelenleid nicht zu meinem Seelenleid werden zu lassen.

Wenn eine mächtige Gruppe immer nur fordert und nimmt, sei es Geld oder Empathie, und die andere, unterlegene Gruppe, immerzu geben muss und dafür ohnehin nur verachtet, gedemütigt und beschimpft wird, dann werden diese beiden kaum eine Gemeinschaft bilden können (und ich fürchte, dass es den Mächtigen so ganz gut gefällt).

Ob wir noch hoffen, dass diese »Bevölkerung« noch zur Gemeinschaft zusammenfindet, oder ob man es aufgegeben hat – so oder so empfiehlt es sich, eine Augenhöhe herzustellen. Ich habe das Recht, mir nicht deine Gefühlslast aufzubürden – und du hast das Recht, meine Dämonen nicht zu deinen werden zu lassen – selbstverständlich!

Jeder hat sein Bündel zu tragen, und niemand sollte sich das Recht anmaßen, sein Bündel einem anderen aufzuzwingen. Jeder hat sein Bündel zu tragen, und Gemeinschaft beginnt damit, dass wir einander freundlich und freiwillig anbieten, einander ein Stück des Weges beim Tragen zu helfen.

Weiterschreiben, Dushan!

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