Dushan-Wegner

23.08.2021

Er Machete, du denk nach

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Eric Ward
Machetenmann haut in Berlin um sich. Wieder einer, dem die Stadt nicht gut bekam. Es ist kaum noch eine Schlagzeile. – Frage: Was ist die Zukunft des Konzeptes »Stadt«? Wie lange werden wir noch »stadtkompatibel« sein? Sind wir es denn überhaupt heute?
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»Du kannst nicht nicht kommunizieren«, so lernte ich einst, als Jugendlicher, aus dem so betitelten Buch des Paul Watzlawick. Später ahnte ich dann, was das in einer durchpolitisierten Gesellschaft bedeutet: Was auch immer du tust, ein anderer kann es interpretieren. Es kann sehr anstrengend sein, wenn du es mit einem Linken zu tun hast und er jede deiner Meinungen und Handlungen innerhalb seines hermetisch vernagelten Weltbild interpretiert – und dir immer böse Absichten oder gleich eine psychische Erkrankung (»Phobie«) zuschreibt – im linken Weltbild »kommuniziert« jede Abweichung und Andersartigkeit eben, dass der andere psychisch krank oder böse ist.

Eine genauere Formulierung jenes Satzes vom Nicht-Nicht-Kommunizieren wäre also vielleicht: »Du kannst nicht nicht interpretiert werden!« (Und dann wohl: Du wirst nicht verhindern können, dass Propagandaopfer dir böse Intentionen zuschreiben – jedes Argument, dass du ihnen sagst, wird sie in ihrer Interpretation bestätigen.)

Jedoch, es gibt noch etwas, das weder Sie noch ich tun können (schon logisch-pragmatisch, wir werden es gleich näher untersuchen!) – und das ist: auf Nachrichten nicht reagieren!

Diese Nachricht wieder

Es gibt diese Nachrichten, da genügt ein einzelnes Wort, und der Rest zeichnet sich fast von selbst: »Machete«.

Die ganze Schlagzeile lautet, wenig überraschend: »Mann läuft mit Machete durch Berlin und greift mehrere Menschen an« (welt.de, 20.8.2021).

Der mutmaßliche Täter soll diesmal »ein asiatisches Äußeres« aufweisen und »eine auffällige Goldkette getragen« haben. Die Polizei verfügt wohl über ein Video des Machetenmannes, dieses wurde aber noch nicht herausgegeben, und am Donnerstagabend konnte sie ihn festnehmen. Mehr Details werden wir wohl nie erfahren – und damit verlassen wir für jetzt diese Nachricht wieder.

Maximaler Zuckergenuss

Wir könnten ja versuchen, solche Nachrichten aus den Großstädten zu ignorieren, doch sie werden in den kommenden Jahren nicht weniger werden.

Die Gemeinsamkeit der Städte ähnelt auf gewisse Weise dem Zucker, dem Fett und dem Salz: Es ist dem Menschen angeboren, immer mehr vom einen wie vom anderen zu wollen – mehr Zucker, mehr Salz und mehr Gemeinsamkeit – doch die Evolution hatte nie »eingeplant«, dass wir bei diesem Streben so »erfolgreich« sein würden!

Die Antwort auf die Möglichkeit maximalen Zuckergenusses wie auch auf die Möglichkeit maximaler Gemeinsamkeit sind in beiden Fällen eine Kombination aus konsequenter Selbstdisziplin, klugen Gewohnheiten und echter Selbsterkenntnis.

Ohne Selbstdisziplin wird die quasi unbegrenzte Verfügbarkeit kalorienhaltiger Nahrung den Menschen schnell krank werden lassen. Ohne die Selbstdisziplin aller Stadtbewohner aber können einige wenige »Einzelfälle« bald das Leben für alle unschön werden lassen.

Wer ein Land wie Japan besucht, der berichtet immer wieder von den guten Gewohnheiten der Japaner, welche die U-Bahnen und öffentlichen Orte angenehmer sein lassen.

Wer über seine Nahrung nachdenkt, und zwar sowohl allgemein als auch im Moment des Essens, der wird mit einiger Wahrscheinlichkeit sowohl gesünder essen als auch das Essen eher genießen.

Mit dem Leben in der Stadt ist es auch in Sachen der Selbstreflexion ähnlich wie mit dem Essen! Der Mensch ist nicht fürs Leben in der Stadt geschaffen, so sehr er sich auch prinzipiell nach Gemeinschaft und Möglichkeit sehnt – also muss er sich selbst in der eigenen Rolle als Stadtmensch reflektieren und sich selbst erkennen. Es hat seinen Grund, warum Kultur wie auch Psychologie aus den Städten kommt. Ungezählt ist die Zahl der Filme über Menschen, die sich am Leben in der Stadt reiben. Städter fahren aufs Land oder in den Urlaub, um »mal rauszukommen« – doch bald vermissen sie das Gewusel der Stadt wieder, denn der Lärm der Stadt lenkt eben auch so schön ab vom Abgrund, in den jeder unweigerlich hineinblickt, wenn er nur lang genug mit sich und der Schöpfung allein ist.

Die Nervosität köchelt

Über viele Jahre aber war es in unseren Städten so schön und heimisch, und wir hätten beinahe vergessen, dass der Mensch auch weiterhin nicht fürs Leben in eben diesen Städten geschaffen ist.

Aus Metropolen in »intoleranten« Ländern rund um den Globus hören wir, dass das Leben in der Stadt noch immer sehr schön sein kann, doch je »toleranter« eine Stadt ist, umso häufiger werden die Meldungen über Nervosität.

Nein, ein Machetenmann allein wird noch nicht alle Berliner aus Berlin vertreiben – und doch, und doch: Die Zahl der Menschen, die den »toleranten« Metropolen den Rücken zukehren, sie wird größer. Die Nervosität köchelt.

Ich höre fast täglich von Lesern, die in den letzten Jahren aus der Stadt ins Ländliche(re) gezogen sind. Viele sind innerhalb von Deutschland verzogen, nicht wenige zogen oder ziehen bald in eine der vielen deutschsprachigen Enklaven weltweit. Manche sagen: »Ich denke darüber nach!« – Und wer wirklich nicht aus der Stadt herausziehen kann, der sucht sich zumindest in der Stadt seine Oasen der Ruhe.

(These, nebenbei: Es könnte ein Selbstschutz der Evolution sein, dass ultrabesiedelte Städte des Westens oft politisch links wählen. Es geht gegen die menschliche Natur, derart dicht auf dicht zu leben, immerzu abgelenkt zu sein und nie wirklich zu schlafen. Stramm links zu wählen ist der verzweifelte Versuch der kollektiven Stadtseele, sich selbst das Leben zu nehmen und so dem Leid ein Ende zu schenken.)

Ohne Zucker zu streuen

In der Stadt kannst du nicht nicht interpretiert werden, erst recht nicht in diesen Zeiten der totalen Durchpolitisierung. Und du kannst gewiss nicht nicht reagieren, wenn du Nachrichten hörst, die dein Umfeld, deine oder gar die Zukunft deiner Kinder betreffen.

Nicht auf Nachrichten zu reagieren, das kann die aggressivste der Reaktionen sein – außer du hast durch Lebensentscheidungen sichergestellt, dass diese Nachrichten wahrscheinlich weder dich noch deine Lieben betreffen – und dann reagierst Du mit einem wissenden Nicken und einem »inneren Abhaken«.

Es gibt nichts, was dafür spräche, dass Städte im Westen ordentlicher, sicherer und lebenswerter, dass die Menschen disziplinierter oder gar reflektierter würden.

Auf Nachrichten wie die vom Machetenmann nicht zu reagieren, das bedeutet in logischer Konsequenz, es als »neues Normal« hinzunehmen, die eigene Zukunft damit und darin einzurichten.

Du kannst nicht nicht reagieren – also sieh hin, denke nach ohne Zucker über die Sache zu streuen, dann entscheide dich und handle.

Oder sage: Ich denke darüber nach« (und dann werde ich vielleicht handeln).

Oder gestehe dir zu, nicht handeln zu wollen, auch das ist okay, solange es ehrlich und offen sich selbst gegenüber geschieht.

Du kannst nicht nicht reagieren – also reagiere klug!

Weiterschreiben, Wegner!

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