Dushan-Wegner

29.02.2024

Haare schön mit Hausdurchsuchung

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: Im Friseursalon
Ein kluger Geist meinte, das größte Problem mit der Meinungsfreiheit in Deutschland sei, nach der Hausdurchsuchung wieder aufzuräumen. Lustig, haha. Doch wie wird ein Land, in dem man heute solche Witze macht, wohl in 10 und 20 Jahren aussehen?
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Ich war als Kind öfter mal im Altersheim unterwegs, weil einige aus meiner Familie dort arbeiteten. Und da war mir etwas aufgefallen, als Kind schon.

Wer je mit dem Alltag in einem Altersheim zu tun hatte, dem könnte ein besonders liebenswertes Detail aufgefallen sein: die Friseurbesuche.

Manchmal kommt die Friseurin direkt ins Altersheim, hat dort einen kleinen Salon eingerichtet, etwa im Keller. Dann müssen die Damen (und natürlich auch die Herren) nur mit dem Aufzug hinunterfahren.

Manchmal ist der Salon in Fußentfernung, keine 100 Meter entfernt. In einer halben Stunde locker zu schaffen.

Ich muss nun etwas gestehen, und es lässt mich zunächst gar nicht gut aussehen – aber verzeiht mir, ich war ein Kind. Ich schäme mich auch ein wenig dafür.

Ich erinnere mich, dass ich mich damals fragte: Wozu gehen diese Damen zum Friseur? Wieso geben die so viel Geld für ihre Haare aus – sehen die den Rest an sich selbst nicht?

Die feine Dauerwelle

Jahre später aber begriff ich den Grund, die wahre Motivation, und diese ist der Grund, warum ich euch davon erzähle.

Der Friseurtermin ist wichtig für die alten Damen, nicht »obwohl« der Rest ihres Körpers nach und nach den Geist aufgibt, sondern gerade weil!

So viele Veränderungen und Eigenschaften ihres Körpers, ihrer blanken Existenz können die Damen nicht kontrollieren. Pfleger bedienen sie, die harsche Realität des Altwerdens schreibt ihnen den Alltag vor.

Diese eine Sache aber können die Damen noch kontrollieren, hier können sie ihre Würde bewahren: die feine Dauerwelle, der dezente Lilastich der Haare. Das haben die Damen im Griff, da spüren sie etwas Kontrolle über sich selbst, über ihr Schicksal.

»Egal, was sonst in meinem Leben passiert, dass ich auch sonst keine Kontrolle über das Schicksal habe – ich habe die Haare schön!«

Sehr kaputt

Ich muss heute wieder an jene alte Wahrheit und Beobachtung denken, wenn ich zwei grundverschiedene und doch erschreckend zusammenpassende Arten von Meldungen lese.

Da wären einmal Schlagzeilen wie: »In Duisburg – Mann (21) sticht Grundschüler nieder – die schleppen sich blutend zur Schule zurück.« (Meldung von heute: focus.de, 29.2.2024)

Oder: »Verbrechen in Schwelm (NRW) – Frau (50) tot in Hinterhof gefunden« (auch von heute: bild.de, 29.2.2024)

Ich spare mir weitere Nachrichten dieser Art, ihr wisst, dass es immer weiter so geht. Etwas ist in Deutschland kaputt. Sehr kaputt.

Doch da wären noch die anderen Meldungen. Diese bilden eine Kategorie, zu der ich letztens ein köstlichstes Bonmot las: »Das Nervigste an der freien Meinungsäußerung in Deutschland ist das anschließende Aufräumen nach der Hausdurchsuchung.« (@LibertyLucas26, 25.2.2024)

2022 schrieb ich etwa einen Essay mit dem Titel »Wenn der Staat am Morgen klingelt« und der URL dushanwegner.com/hausdurchsuchung.

Seit einiger Zeit nun etabliert sich in Deutschland als quasi außer-rechtsstaatliches Mittel zur Bestrafung verbotener Meinungen die Hausdurchsuchung.

In der Einleitung schrieb ich damals: »Es ist 4 Uhr am Morgen. Es klingelt und klopft rabiat an deiner Tür. Was ist dein erster Gedanke? Eine Zeit lang war es: ›Bestimmt ein Notfall beim Nachbarn! Oder ein Feuer!‹ – Bald ist es wieder: ›Habe ich etwas Falsches gesagt?‹«

Wer in Deutschland öffentlich, etwa in den sozialen Medien, etwas auch nur möglicherweise Verbotenes sagt, bei dem kann es schnell passieren, dass die Polizei in den frühen Morgenstunden anklopft und seine Wohnung durchsucht.

So etwas ist ein traumatisches Erlebnis. Es ergibt auch mit Fantasie keinen logischen Sinn. Das Gesagte wurde ja öffentlich gesagt. Was will die Polizei erreichen?

Gelegentlich nimmt die Polizei elektronische Kommunikationsgeräte mit. Das schneidet den Menschen von weiten Teilen der modernen Welt ab. Bei Selbstständigen kann das den Ruin bedeuten. Eine demütigende Strafe, die potenzielle Vernichtung, Traumatisierung fürs Leben, besonders hart bei anwesenden Kindern – und das alles ohne Gerichtsverfahren.

Heute lesen wir nun fast täglich von Hausdurchsuchungen oder einfach »nur« Strafverfahren wegen verbotener Meinungsäußerung (@haseundherze, 28.2.2024).

Sogar liebenswürdig

Bei einem bayerischen Unternehmer etwa kam die Polizei zur Hausdurchsuchung vorbei, und man brummte ihm zusätzlich eine Strafzahlung von 6.000 Euro auf, weil er zwei verhältnismäßig harmlose Witzplakate über die Grünen aufgestellt hatte, auf seinem eigenen Grundstück (siehe nius.de, 27.2.2024).

Natürlich sind diese Hausdurchsuchungen als offen anti-rechtsstaatliche Strafmaßnahme ohne Gerichtsverfahren schlicht ein Zeichen des Herausfallens Deutschlands aus der Demokratie.

Doch auf einer anderen Ebene sehe ich eine weitere mögliche Deutung, und die wäre sogar liebenswürdig – natürlich nur, wenn Deutschland eine Seniorin wäre.

Deutschland fällt auseinander. Die Wirtschaft schrumpft, Unternehmen wandern ab, Messerstechereien in und um marode Schulen, Gebildete wandern aus und Ungebildete ein. Selbst wenn Politiker den Schaden, den sie angerichtet haben, noch kontrollieren und rückgängig machen wollten, so könnten sie vermutlich nicht mehr.

Es wirkt, als sei das Schicksal Deutschlands nicht mehr wirklich in der Hand von Politik und Behörden. Die wirken auf gleich mehreren Ebenen panisch, wie ein in die Ecke gedrängtes Tierchen. Und also bellen und beißen sie wild um sich.

Wenigstens noch

Die Straf-Hausdurchsuchungen wegen verbotener Meinung und die Verfahren des Staates wegen Majestätsbeleidigung nach § 188 StGB erinnern mich an die Friseurbesuche der älteren Damen.

Der Politik entgleitet die Kontrolle über den selbst geschaffenen Wahnsinn wie dem Zauberlehrling die Kontrolle über den wassertragenden Besen (siehe YouTube).

Wenn Leben und Körper zerfallen, dann versuchen die älteren Damen, wenigstens noch über ihre Haare etwas Kontrolle und Würde zu behalten.

Wenn die Gesellschaft und die Wirtschaft zerfallen, dann versucht die Regierung wenigstens noch etwas Kontrolle über die geäußerten Meinungen zu behalten und damit den Anschein von Würde zu wahren.

Mal sehen!

Die älteren Damen, die ich damals erlebte, wie sie regelmäßig zum Friseur gingen, um sich den weißen Flaum in Locken legen zu lassen, waren liebenswürdig und, wenn ich das so sagen darf, auch etwas niedlich.

Wenn aber der Staat um vier Uhr morgens die Familie aus dem Bett holt, weil Papa im Internet etwas Falsches gesagt hat, dann ist das weniger niedlich. Ja, demütigende Strafen ohne Verfahren und oft genug erkennbaren Grund sind das Gegenteil von niedlich und liebenswürdig – oder auch »nur« rechtsstaatlich und demokratisch.

Die Damen, die ich damals kennenlernte, sind längst alle tot. Mal sehen, wo Deutschland in weiteren drei oder vier Jahrzehnten ist – oder wo die deutsche Demokratie in drei oder vier Jahren ist.

Weiterschreiben, Wegner!

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