Apollo ist schuld, dass passiert, was passiert. Es liegt nicht an uns, nicht an Ihnen und nicht an mir. Wir haben es versucht, doch Apollo hat uns verflucht!
Kassandra war jene Schwurblerin und Verschwörungstheoretikerin, welche die Trojaner davor warnte, jenes Holzpferd in die Stadtmauern zu holen. Vergeblich! Tragisch!
Vergil lässt Aeneas berichten:
Jetzt prophezeite uns auch Kassandra das kommende Unheil, ohne daß nur ein Trojaner – auf göttliche Weisung – ihr glaubte: Nein, wir bekränzten die städtischen Tempel mit festlich belaubten Zweigen, wir Armen, die wir den letzten Tag doch erlebten! (Vergil: Aeneis, Zweiter Gesang, via zeno.org)
Schuld aber war der Apollo! Der hatte Kassandra schöne Augen gemacht, die aber wohl nicht den Apollo in Apollo sah, und sie wies ihn ab. Daraufhin verfluchte er sie, sodass niemand ihren Weissagungen glauben würde.
Hyginus notiert in seinen Fabulae:
Cassandra, die Tochter von Priamos und Hekabe, soll im Tempel des Apollo eingeschlafen sein, als sie müde vom Spielen war. Als Apollo versuchte, sie zu umarmen, erlaubte sie es ihm nicht. So brachte Apollo es zustande, dass ihr nicht geglaubt werden sollte, obwohl sie wahre Prophezeiungen gab. (Hyginus, Fabula 93, aus der englischen Übersetzung, via topostext.org)
Kassandras Fehler war nicht, dass sie falsch lag in ihren Prophezeiungen. Kassandras Fehler war, dass sie sich nicht, sagen wir mal höflich: »an günstiger Stelle hingab«.
Wir erleben täglich, wie Konsequenzen eintreten, die wir doch vorausgesehen haben.
Im Januar erst verglich ich uns mit Kassandra, im Essay vom 26.1.2023: »Kassandra und der Stabmixer«.
Heute lesen wir von 40 Kindern, die in einer Grundschulklasse sitzen bleiben.
Und davon, dass Grünenwähler jetzt erkennen, wie schräg das alles ist, und die Grünen nicht mehr wählen würden. – Zu spät! Die sind gewählt. Kassandra warnte, Kassandras Ruf verhallte.
Welchen Apollo haben wir verärgert, sodass niemand auf uns hörte? Kassandras Fehler war, nicht an der richtigen Stelle »willig« gewesen zu sein. Wäre Kassandra williger gewesen, hätte man auch auf sie gehört, und gewiss hätte es Orden, Fördergelder und Journalistenpreise für sie gehagelt.
Ich vermute jedoch, dass wenn Kassandra sich dem Apollo hingegeben hätte, ihr eben auch die Gabe der Prophetie abhanden gekommen wäre!
Wäre es das wert gewesen? Ein derart guter Liebhaber kann nicht einmal Apollo selbst sein!
Über Kassandras Ende wird unterschiedlich berichtet, aber immer tragisch, mal ermordet, mal als Sklavin.
Die Frage für die neuen Kassandras scheint mir nicht zu sein, ob die breite Masse auf dich hören wird – sie wird es nicht. Es ist immer ein Apollo da, ein Investor aus Übersee, der dich zum Verstummen bringen wird, wenn du dich ihm nicht hingibst – und wenn du dich hingibst, verlierst du die Gabe der Prophetie (die man einst »gesunden Menschenverstand« nannte).
Und so bleibt der Auftrag für die Kassandras von heute: Warne die, die Warnungen hören wollen – und ansonsten finde einen Weg, uns morgen wieder, gesund und bei Sinnen, vom Übermorgen zu berichten!