Dushan-Wegner

10.08.2022

Praktische Messer und theoretischer Mut

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Joanna Kosinska
Leute, die zusammenbrechen, wenn jemand auf Facebook etwas Fieses sagt, erklären der Polizei, dass sie einen Messer-Angreifer mit sanften Worten stoppen soll – statt mit der Pistole. (Extra kurios wird es, wenn Leute aus der Mauermordpartei so schwätzen.)
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Ich weiß, wer die mutigsten Menschen von Deutschland sind. Nein, es sind nicht die Feuerwehrleute, die in brennende Häuser laufen. Es sind nicht die Unternehmer, die eigenes Kapital einsetzen. Es sind nicht die Mütter und Väter, die in diesen unsicheren Zeiten eine Familie gründen.

Die mutigsten Mensch:innen unseres Landes würden sich dem stichbereiten Messerhelden in den Weg stellen, ihre Kehle und Schlagadern bereithalten, und mit nichts als sanften Worten und leeren Händen den Messerhelden von seiner Waffe wie auch von seiner Wut befreien.

Das Wörtlein »würden« leistet hier extra viel Arbeit.

»Würden« ist Konjunktiv. Das heißt: Das Gesagte ist vermutlich in einer anderen Welt wahr – in dieser Welt ist es aber nicht der Fall. In der realen Welt stoppen diese »Helden« keine Gewalttätter – kritisieren aber die, die es tun.

In der realen Welt hören wir in den letzten Tagen viele Meldungen von Messerstechereien und andere Schelmereien junger Männer.

Seit 2017 wird der NRW-Innenminister von der regierenden CDU gestellt und heißt Herbert Reul. Herr Reul mag die AfD nicht, und nannte sie einen »Prüffall«, was ihm gerichtlich verboten wurde (tag24.de, 24.2.2021).

Die Erfahrung lehrt, dass Politiker, die extra laut gegen die Opposition wettern, immer wieder etwas zu verbergen haben – und sei es die eigene inhaltliche Leere und Untätigkeit (siehe auch meinen Essay vom 8.8.2022: »Warum war Herr Kahrs so laut?«).

Was ist es, wovon Herr Reul ablenken wollen könnte?

Nun, einige Zeit später sah Herr Reul wohl keine, äh, Alternative mehr dazu, messerfreudige »Männergruppen« in NRW gewissermaßen zum »Prüffall« zu erklären.

bild.de, 8.8.2022 titelt: »Polizeigewerkschaft schlägt Alarm: Jeden Tag 13 Messer-Angriffe in NRW!«

»Die Zahl ist sehr, sehr hoch. Wir müssen alles dafür tun, damit das weniger wird« (ebenda), so klagt der Vize-Chef der Polizeigewerkschaft.

Die Formulierung aber, die er für die Messergewalt angibt, ist etwas für Connaisseure politischer Sprache! Als Grund für die Messergewalt sieht er einen »allgemeinen Kulturwandel unter den Jugendlichen«.

Aha.

NRW-Innenminister Reul hat schon vor einigen Monaten zugegeben, dass der Anteil nichtdeutscher Täter bei Messergewalt »deutlich überproportional« sei (bild.de, 4.4.2022).

Die »mutigsten Menschen von Deutschland« aber, die interessiert die Messerei meist nicht; aus dem für Linke typischen Rassismus halten sie Messergewalt eben für einen Teil der Folklore gewisser Menschengruppen.

Aktuell hört man von diesen »theoretisch Mutigen«, die sich sonst in linkem Wegschauen üben.

Diese Woche fühlten sich Leute in Dortmund etwas unsicher, als ein junger Senegalese mit einem Messer herumfuchtelte, mal sich und mal andere bedrohte (bild.de, 9.8.2022).

Man rief die Polizei. Schnell war klar, dass das Thema »Suizidalität« im Raum stand. Der junge Mann richtete das Messer immer wieder gegen seinen eigenen Bauch.

Und dann wandte sich der Messermann gegen die Polizei. Ein Polizist erschoss den jungen Mann, mit fünf Schüssen aus der Maschinenpistole (ebenda).

Ich vermute, dass die Polizei einen »Suicide by Cop« vermutete, also die Selbsttötung durch Angriff auf einen Polizisten (siehe engl. Wikipedia). Der junge Senegalese hatte die Waffe bereits gegen sich selbst gerichtet, und etwa 25 % der Männer, die diese Art der Selbsttötung anstreben, sind mit einem Messer bewaffnet.

Beim »Suicide by Cop« hat die Polizei oft keine Wahl, als den Suizidenten zu töten. Der »übliche« Zweck abwehrender Gewalt ist es ja, den Angreifer zu motivieren, zu Schutz seiner selbst von seinem Angriff abzulassen.

Was aber, wenn der Angreifer keinen Selbstschutz kennt, sondern bereit ist, die Polizei zu töten, wenn diese nicht ihn zuvor tötet?

Die betroffenen Polizisten sind nach einem »Suicide by Cop« häufig traumatisiert und brauchen Psychotherapie. Der Polizist fühlt sich benutzt, denn er wurde vom Suizidenten zum Töten gezwungen. Der Suizident hat es hinter sich, doch der Polizist muss sein Leben mit den Bildern in seinem Kopf und dem Wissen leben, einen Menschen getötet zu haben.

Nach dem vorliegenden Stand unseres Wissens würde ich den in Dortmund schießenden Polizisten als das eigentliche Opfer betrachten. Er ist am Morgen nicht mit der Absicht aufgestanden, das Leben eines Menschen zu beenden.

In den Sozialen Medien aber melden sich Hunderte »theoretischer Helden« zu Wort, und sie sahen das sehr anders. Der Tenor: Warum konnte die Polizei den Messerhelden nicht ohne Pistole stoppen?

Leider, leider konnten die theoretischen Helden selbst nicht dabei sein.

Leider, leider hatten sie auch bisher nicht Gelegenheit, sich bei der Polizei zu bewerben.

Aber wenn sie Polizisten wären, dann hätten sie einen Messermann gewiss mit bloßen Händen und sanften Worten gestoppt.

Ich will diese Leute nicht durch ein namentliches Einzelzitat würdigen, deshalb hier nur soviel: Es hat eine gewisse Ironie, wenn Mitglieder jener Partei, welche einst DDR-Flüchtlinge an der Grenze wie räudige Hunde abknallen ließ, sich nun darüber beschweren, dass die West-Polizei einen bewaffneten Angreifer mit Pistolenschüssen stoppt.

Leute, die weinend zusammenbrechen und die Polizei rufen, wenn jemand ihnen etwas Fieses auf Facebook sagt, glauben nun die Jedi-Geisteskraft zu besitzen, einen wütenden, suizidalen Messermann mit sanften Worten und nackten Händen zum Innehalten zu bewegen.

Man solle doch bitte »ins Bein schießen« – so stellen sich das linke Helden vor. Wohin ins Bein? Wahrscheinlich in den oberen Oberschenkel. Also in einen etwa zehn Zentimeter breiten Bereich, der sich konstant bewegt. Nicht als Scharfschütze, sondern innerhalb von Sekundenbruchteilen in einer Kampfsituation. Und selbst wenn das gelingt, ist längst nicht sicher, dass die Person tatsächlich rechtzeitig stoppt. Der Schmerz, der einen Menschen stoppt, setzt nach einem Beinschuss in 30 bis 60 Sekunden ein. Zu all dem kann ein Schuss ins Bein genauso tödlich wie ein Schuss in die Brust sein, etwa wenn eine große Arterie getroffen wird.

Linkes Geschwätz und »Mut aus der Ferne« sind nur so lange niedlich und lächerlich, bis Linke es mit ihrem populistischen Geschwätz an die Macht schaffen, um sich dann in realer Politik üben. Das ist der Moment, an dem es gefährlich wird.

Ich wünsche den Angehörigen des Toten, sowie dem Polizisten und dessen Familie genug seelische Kraft, um diese neue Faktenlage zu bewältigen.

Politikern wie Herrn Reul wünsche ich aber ein neu erwachtes Gewissen und echte Tatkraft, ehrlich und an erster Stelle für das Land zu kämpfen, das ihnen anvertraut ist.

Uns allen aber wünsche ich die Energie, uns und unsere Lieben zu schützen – und doch jeden neuen Tag lebenswert zu machen.

Weiterschreiben, Wegner!

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