Dushan-Wegner

04.09.2020

Die Mutter aller Lügen

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Jeremy Bishop
Dies ist eine Zeit der Lügen, der immerneuen Niemand-hat-die-Absicht-Momente. Von »keine Schuldenunion!« über »Wir schaffen das!« und »es gibt keine Islamisierung« bis »keine Einschränkungen wegen Corona«. Was aber ist die »Mutter aller Lügen«?
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»Dieses Haus ist wie neu, niegelnagelneu! Alle Installationen sind top und nur von Luxus-Marken geliefert! Die Fenster haben nicht doppelte, sondern dreifache Scheiben! Der Boden ist Parkett aus teurer gebeizter Eiche. Und der Ausblick erst! Zur einen Seite hin schauen Sie aufs Wasser, zur anderen Seite überblicken Sie die Stadt – zu deren Zentrum Sie übrigens zu Fuß kaum fünf Minuten brauchen!«

Doch dann nehmen Sie das derart angepriesene Objekt persönlich in Augenschein. Das Haus, das Sie vorfinden, ist keinesfalls wie »niegelnagelneu«. Die Wände sind voller Flecken. Die Wasserhähne sind undicht und das Wasser, das aus ihnen fließt, ist schmutzig und stinkt. Aus den Fenstern blickt man direkt auf Mauern, außer nach vorne hin, da sind die Fenster vernagelt.

Natürlich sind Sie irritiert, ja sogar entsetzt. Der Makler sagt: »Ach, das sind nur Details! Das wird repariert, wenn Sie einmal unterschrieben haben! Kaufen Sie noch heute, und ich lege eine Dachrinnenreinigung obendrauf – gratis!«

Würden Sie unterschreiben? Würden Sie das Haus kaufen? Nein!

Würden Sie darauf vertrauen, dass irgendwas repariert werden wird? Hahahahaha – nicht wenn Sie Ihre Sinne beisammen haben.

Es gibt Lügen, die sind zu dreist, um übersehen zu werden, um als Lässlichkeit weggedeutet zu werden. Es gibt Lügen, die sind so groß, so schwerwiegend und hässlich, dass sie den Erwischten zum Lügner machen könnten – womit wir dann wohl bei der Politik wären!

»kann man damit auch leben«

Was ist es, das Frau Merkels Karrierebeginn wirklich ausmacht? Sind es ihre an sehr günstiger Stelle merkwürdig verschwommen wirkenden Erinnerungen an ihre Zeit als Funktionärin des kommunistischen DDR-Jugendverbandes FDJ?

»Ich kann mich da nur auf meine Erinnerung stützen. (…) Wenn sich jetzt etwas anderes ergibt, kann man damit auch leben.« (Angela Merkel laut spiegel.de, 13.5.2013, vergleiche auch n-tv.de, 14.5.2013)

Beginnt Merkels eigentliche Politik-Karriere mit dem publizistischen Dolchstoß gegen Helmut Kohl in der FAZ (siehe dazu auch den Essay vom 15.6.2018: »Die Merkel-CDU beruft sich auf Kohl – was für eine Falschheit«)?

Ich würde nicht widersprechen, wenn ein Philosoph und Zeitendeuter als eigentlichen Grundstein der heutigen öffentlichen Person »Angela Merkel« ihre Rede vom 13.9.2002 im Bundestag angeben würde.

Merkels große Lügenrede

Am 13. September 2002 sprach Frau M. im Bundestag, und man könnte es »Merkels große Lügenrede« nennen:

Herr Clement, auch wenn Sie hier mit noch so treuen Augen über die Zuwanderung sprechen: Sie wissen doch, wie es ist. Die Menschen im Lande wissen, dass Ihr Gesetz keine Begrenzung von Zuwanderung bietet. Es wird keine einschränkenden Maßnahmen geben. […] Die Menschen im Lande wissen auch, dass Herr Schily am Anfang dieser Legislaturperiode gesagt hat (Gert Weisskirchen Wiesloch SPD: Hören Sie doch auf zu lügen!) – diesen Satz hätte ich nicht gesagt; regen Sie sich doch nicht auf –, dass das Maß des Zumutbaren überschritten ist. Sie wissen, dass in Deutschland spätestens nach PISA völlig klar ist: Bevor wir eine neue Zuwanderung bekommen, müssen wir erst einmal die Integration der bei uns lebenden ausländischen Kinder verbessern. […] Sie haben keine einzige Mark dafür vorgesehen, das Problem, dass in Berlin-Kreuzberg 40 Prozent der ausländischen Kinder und Jugendlichen weder einen Schul- noch einen Berufsabschluss haben, zu beseitigen. Trotzdem reden Sie über mehr Zuwanderung. Mit uns haben Sie die Alternative; wir werden das ändern. (Angela Merkel im Deutschen Bundestag am 13.9.2002, zitiert nach Protokoll auf bundestag.de, PDF, laufende Seite 25610)

Einiges an Merkels großer Lügenrede von 2002 lässt sich als prophetisch lesen – wenn auch nicht weniges davon im umgekehrten Sinne.

»Hören Sie doch auf zu lügen!«, rief ihr damals die SPD zu, als sie die Wahrheit sagte – heute sagt Merkel das Gegenteil dessen – und sei es implizit durch ihre Handlung, was sie damals sagte, und man ist sich auf verheerende Weise einig.

»Die Menschen im Lande wissen, dass Ihr Gesetz keine Begrenzung von Zuwanderung bietet«, so warf sie 2002 dem damaligen Wirtschaft- und Arbeitsminister vor – ironischerweise wird »keine Begrenzung« die prägende Anti-Idee der Merkel-Zeit bleiben.

»Trotzdem reden Sie über mehr Zuwanderung. Mit uns haben Sie die Alternative; wir werden das ändern« – es ist ein ironischer Höhepunkt in Merkels großer Lügenrede von 2002. Tatsächlich gebar die Merkelherrschaft eine »Alternative« und – erneute Ironie! – eine, welche Ähnliches verspricht wie das, was Merkel in ihrer großen Lügenrede von 2002 versprach.

Hetzjagden in Chemnitz

Die »politisch relevante Unwahrheit« zieht sich als wiederkehrender Grundakkord durch die Merkelära. Es gab Zeiten, da war der Staatsfunk weniger Staatsfunk, und man traute sich eher, Merkels Lügen eben solche zu nennen. (Etwa tagesschau.de, März 2011: »Kommentar: Merkels und Mappus‘ geschickte Lügen«, und daraus: »Den Bürgern aber erklären zu wollen ›Japan ändere alles‹ ist und bleibt eine, wenn auch geschickte, Lüge.«)

Volker Pispers sagte einmal (ich zitiere aus dem Gedächtnis), wenn Merkel die Menge mit Mistgabeln auf sich zukommen sähe, drehe sie sich einfach um, und sage: »Die stehen hinter mir!«

Lügt Merkel, oder hat sie nur viel Pech beim Sagen der Wahrheit? Um den »Passiv Politicus« zu gebrauchen: Es wird viel Unwahrheit gesagt. Oder, um es in der Sprache des Bundestags zu formulieren: Zur Wahrheit gehört nicht selten, dass das Gegenteil des Gesagten sich als Wahrheit herausstellt.

In den Texten »Eine anständige Kanzlerin würde um Entschuldigung bitten« (6.9.2018) und »Berliner Inquisition, Maaßen und die Scheiterhaufen des Wahrheitssystems« (17.9.2018) schrieb ich Anmerkungen zur großen vom Merkelsystem und politiknahen Medien propagierten Lüge um angebliche »Hetzjagden« in Chemnitz.

»Keine Islamisierung«

Nicht alle politisch wirksamen Unwahrheiten des Merkel-Systems werden von dieser selbst ausgesprochen – für manche hat sie ihre Clique der Ungefährlichen. Es gäbe »keine Islamisierung« ist eine der extra-gefährlichen Lügen der Merkelzeit. Man bläut sie sogar schon den Schülern ein (vergleiche bpb.de, 6.6.2018). Im Text »Islamisierung« (6.6.2018) legte ich meine Argumentation vor, nach welcher es keine begriffs- und faktenadäquate Weise gibt, das Phänomen Islamisierung zu leugnen. Spätestens heute aber, Anfang September 2020, wenn im Failed State Berlin nun auch Justizangestellten es erlaubt werden soll, ein Kopftuch zu tragen (rbb24.de, 3.9.2020), und damit nach häufiger Deutung ein Zeichen der ideologisch bedingten Geringschätzung von »Ungläubigen« (»Kuffar«), ist die Lüge von der nicht-stattfindenden Islamisierung eben eine weitere Lüge in der an Lügen reichen Merkelzeit.

Ach, wir könnten mit den Lügen der Merkelzeit schmerzhaft lange weitermachen – manchem fällt etwa das CDU-Versprechen von der Nicht-Vergemeinschaften der EU-Schulden ein (vergleiche bild.de, 10.6.2015 und Essay vom 21.7.2020) – eine weitere große CDU-Lüge.

Was aber ist die größte der »politischen Unwahrheiten« der Angela Merkel, was ist die »Mutter aller Lügen«?

Nun – dem Himmel sei es geklagt – die Ära Merkel ist noch nicht vorbei, und damit ist noch offen, was die größte der Lügen dieser unheilvollen Zeit sein wird.

Wird der Titel »Mutter aller Lügen« dem »Wir schaffen das« verliehen? Wird die Lüge von der Unmöglichkeit der Grenzschließung (außer wenn sich Politiker treffen oder Corona-Panik herrscht, dann geht es plötzlich doch) zur »Mutter aller Lügen« erkoren? Oder wird die »Mutter aller Lügen« etwas mit Corona zu tun haben? Nur eines steht bereits fest: Der Begriff »Mutter aller Lügen« wird mit der Ära der Frau M. verknüpft sein – und natürlich ihren willigen Helfern in Redaktionen, NGOs und anderen finsteren Fluren.

Der Wahrheitsopportunismus

Die Gründe wechseln auch weiterhin, warum ich nur ungern »Lügenpresse« sage. Heute ist es dieser: Nicht die Lüge erscheint mir als wesentlichste und prägnanteste Eigenschaft politiknaher Presse in Deutschland, sondern der Wahrheitsopportunismus. Journalisten sagen nicht zuerst die Unwahrheit, sie sagen, was man sagen muss, um den Job nicht zu verlieren – das kann die Wahrheit sein oder eine Lüge, in diesen Tagen nicht selten eine Chimäre aus beidem, eine Wahrüge vielleicht, oder auch mal eine Lügheit. (Zudem: Um zu lügen braucht es, zumindest als Mensch, einen inneren Begriff der Wahrheit, von dessen Vorhandensein ich nicht bei jedem deutschen Journalisten ausgehe.)

Ob die lügende Presse auch eine Lügenpresse ist, das steht weiterhin zur Debatte – weit dringender erscheint mir ohnehin die Frage, ob wir es nicht auch mit einer Lügenregierung zu tun haben!

»Niemand hat die Absicht, zu lügen«, könnte sich die Merkel-Regierung vielleicht verteidigen, wie sie im März noch sinngemäß versicherte, niemand habe die Absicht, »bald massive weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens ankündigen« zu wollen (@BMG_Bund, 13.3.2020).

»Das kann man so nicht schreiben«

Randnotiz: Ich habe erschreckend oft von Journalisten den Satz gehört, »eigentlich hast du ja recht, aber das kann man so bei uns nicht sagen«.

Ich lese ja gern die Heiligen Schriften der Religionen, und doch bin ich kein allzu gläubiger Mensch. Ich brauche nicht die Hoffnung auf ein »Leben nach dem Tode«, um dem Leben vor dem Tode mehr Tiefe zu geben. Bei Journalisten aber beginne ich mir dann doch Sorgen zu machen, wie es um deren Seelenheil bestellt ist.

Wie lange kann ein Mensch es aushalten, dass seine tägliche Arbeit und damit sein Leben eine Lüge ist, bevor er innerlich austrocknet, und verloren ist, weil er das begangen hat, was Jesus die »Sünde wider den Heiligen Geist« nennt (Matthäus 12:31-32), die bekanntlich die einzige Sünde ist, die nicht zu vergeben ist? – Ende dieser Randnotiz.

Unter Knüppelschlägen

Die Merkel-Regierung, samt ihrer Minister, ihrer Mitarbeiter und ihrer willigen Helfer in den Redaktionen, könnte noch glatt als die Lügenregierung in die Geschichte eingehen.

»Zeige mir einen Lügner, und ich zeige dir einen Dieb«, so schrieb der irische Dichter George Herbert.

Deutschland wird regiert von Leuten, die als Makler ihre Lizenz verlieren würden, die man als Markthändler unter Knüppelschlägen vom Markt jagen müsste.

»Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht«, so lehrt uns die Volksweisheit. Für manche Politiker ist »einmal lügt« lächerlich niedrig gegriffen! Ein Zyniker könnte neu formulieren: Wer immer lügt, dem glaubt man nicht – erst recht nicht, wenn er im Staatsfunk spricht (oder einer der von der Merkelregierung co-finanzierten Zeitungen).

»Den hasse ich so wie die Pforten der Hölle, der eine Sache sagt, doch in seinem Herzen eine andere versteckt«, so schreibt Homer in der Ilias (siehe classics.mit.edu).

Wenn wir schon dem einfachen Lügner misstrauen, ihn hassen wie die Pforten der Hölle – »einfach« in doppelter Wortbedeutung – um wie viel mehr sollten wir denen misstrauen, die wieder und wieder die blanke Lüge als »Wahrheit des Tages« verkünden, deren Lügen zu Leid, Unrecht und Toten führen?

Ich weiß nicht, was hiernach sein wird. Ich bin mir nicht einmal sicher was das ist, was heute geschieht. (Heute ist Birol Ünel gestorben. Ich denke in diesen Jahren immer wieder an seinen Auftritt im Musikvideo »Abteilungsleiter der Liebe« von K.I.Z; siehe YouTube: »Ich gebe Ihnen und der gesamten Öffentlichkeit mein Ehrenwort, ich wiederhole, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort…«)

Dieser Tage höre und lese ich alle paar Tage – und an manchen Tagen alle paar Stunden – ein Zitat, das gelegentlich George Orwell zugeschrieben wird, dessen Urheber wohl aber unbekannt ist (siehe quoteinvestigator.com, 24.2.2013), das aber kaum dringender, drängender und wahrer sein könnte: »In a time of universal deceit, telling the truth is a revolutionary act.« – Übersetzt etwa: »In einer Zeit universaler Täuschung ist es ein revolutionärer Akt, die Wahrheit zu sagen.«

Wo wir von klugen Zitaten und Weisheit reden, hier noch ein Letztes, ein Kluges, Weises und Gutes!

Erich Kästner eröffnete seinen 1932 erschienenen Gedichtband »Gesang zwischen den Stühlen« mit jenem bis heute laut und richtig klingenden Vers: «Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.«

Dies ist eine Zeit der vielen Lügen, vorgetragen nicht selten von Politikern und ihren willigen Journalisten. Manche sagen, dies sei »eine Lügenregierung in einer Lügenzeit, getrieben von der Mutter aller Lügen«.

Es mag klug sein, von Zeit zu Zeit, gerade in der Lügenzeit, eine zeitlang zu tun, als glaube man dieser oder jener Lüge – doch nie darf man so tief sinken, die Lügen, die man zu glauben vorgibt, auch wirklich zu glauben!

Sucht die Wahrheit, ertragt die Wahrheit, und sagt die Wahrheit – und selbst wenn ihr sie, um Schultern, Hals und Kopf beieinander zu halten, heute nur leise zu euch selbst sagt!

Weiterschreiben, Wegner!

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