Dushan-Wegner

22.12.2021

Niemand hat die Absicht, mit physischem Zwang zu impfen

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Neenu Vimalkumar
Niemand habe die Absicht, mit physischem Zwang zu impfen, so heißt es – man droht bloß mit finanzieller Vernichtung und Beugehaft. Na denn, frohe Weihnachten, deutscher Bürger!
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An des Menschen Seele zieht und zerrt gar manche Instanz. Das Gewissen und die Pflicht. Der innere Rebell, noch aus jungen Tagen. Und auch das wollige Schäflein – seien wir stets ehrlich! – das sich einordnen und gehorchen will, das in stillen Stunden schon mal heimlich gesteht, durchaus gern vom Hirtenhund angebellt zu werden. Endlich sagt mal einer, wo es langgeht!

Wenn sich also im Menschen und am Menschen so verschiedene Kräfte entfalten, dann kann es, und also wird es von Zeit zu Zeit passieren, dass ein Mensch in geistige Schieflage gerät – sprich: gaga geht, verrückt wird, durchdreht.

Bei Gelegenheit merkt ein »durchdrehender« Mensch, dass »etwas in ihm nicht stimmt«, doch längst nicht immer – und es ist auch eine Frage der Definition und des Kontextes. Der Unterschied zwischen einem Irren und einem Exzentriker etwa ist bekanntlich der Kontostand.

Mancher geistige Geisterfahrer paraphrasiert für sich jenen bekannten Spruch: »Ein Geisterfahrer?! Tausende!« – »Ich soll der Verrückte sein? Nein, alle anderen sind verrückt!« – Was aber, wenn genau er richtig liegt? Was wenn doch nicht?

Anders gesagt und dann auch anders gefragt: Der Mensch »als Ereignis und Eigenschaft der Welt« manifestiert sich tatsächlich erst im  Zusammenspiel einer Zahl unterschiedlicher, aber ineinandergreifender Funktionen. Wenn ein komplexer Mensch aber »durchdrehen« kann, nachdem seine Funktionen aus der Balance geraten sind, dann kann doch auch eine ganze Nation auf ähnliche Weise »durchdrehen«.

Die Demokratie hält sich für die »Krone der Politik«, und tatsächlich ist sie ja ähnlich komplex und in sich zerrissen wie ein jedes jener Wesen, die sich als Gattung (und bei Gelegenheit auch als Individuum) die »Krone der Schöpfung« nennen.

Ein Mensch kann von heute auf morgen dem Wahnsinn verfallen. Warum also nicht ein ganzes Volk, ein Land, ein regierendes System?

»gegen seinen Willen«

Man könnte die These aufstellen, dass die FDP ein sozial-politisch Experiment ist, um die Frage zu erforschen, wie oft sich ein bestimmtes Wähler-Klientel auf die Schippe nehmen lässt.

Der neue deutsche Justizminister, ein Herr Buschmann von der erwähnten Partei, hat sich aktuell »für Bußgelder bei Verstoß gegen mögliche Impfpflicht« ausgesprochen (welt.de, 21.12.2021).

Es überrascht eher wenig, dass die FDP, einmal in der Regierungspflicht, jene merkelsche Mahnung praktisch bebildert: »Man kann sich nicht darauf verlassen, dass das, was vor den Wahlen gesagt wurde, auch wirklich nach den Wahlen gilt.« – Es ist die FDP.

Jedoch, selbst dem erfahrenen Zyniker bleibt für eine Sekunde die Luft weg, wenn er hört, was der sich in orwellsch-ironischer Gegenteilsprache »liberal« nennender Justizminister noch verlautbaren lässt.

Ich zitiere:

Niemand soll gegen seinen Willen mittels physischen Zwangs geimpft werden. (Marco Buschmann, FDP-Justizminister, 21. Dezember 2021, zitiert nach welt.de, 21.12.2021)

Natürlich klingt in unseren Ohren noch ein anderes Zitat mit, welches paraphrasiert und hierauf angewendet dann so klingt:

Niemand hat die Absicht, die Bürger mit Gewalt und physischem Zwang zu »impfen«. (Raunen in der Berliner Luft, Dezember 2021)

Niemand »soll gegen seinen Willen mittels physischen Zwangs« geimpft werden. Sprich: Man wird den Willen des Bürgers mit psychischem Zwang brechen, ihm mit finanzieller, beruflicher und sozialer Vernichtung drohen – »brechen und stechen«.

Es geht hier nicht um eine bunte Spaßpartei, deren neuen Mantra zu lauten scheint: »Lieber schlecht regieren als gar nicht.«

Es geht nicht um politische Figuren, die lange und gewieft genug die Gremien ihrer jeweiligen Partei hochgekrabbelt sind, bis sie sich fürs Leben versorgt am Höhepunkt des demokratischen Prozesses wiederfanden.

Es geht noch nicht einmal mehr nur um die Aufhebung von Grundrechten, welche mit »Modellen« begründet wird, die womöglich ebenso übertrieben sind wie so viele frühere Panik-Modelle – diesmal gibt man die »Modelle« wohl lieber gar nicht erst heraus (stuttgarter-zeitung.de, 20.12.2021).

Die Sache, der Schmerz um den es wirklich geht – von der möglichen konkreten Gefahr durch die Regierung für den einzelnen Bürger einmal abgesehen – ist die Frage, ob ein ganzes Land durchdrehen kann. Ist es wirklich logisch undenkbar?

Impfunwillige in Beugehaft

Zwei Fakten, die für sich betrachtet jeweils recht unumstritten sind

  1. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass ganze Völker und Nationen an einem Punkt ihrer Geschichte »durchdrehen« (man vergleiche auch »Collapse« von Jared Diamond).
  2. Es gehört zur Logik von Moral, dass die eigenen relevanten Strukturen als »gut« zu gelten haben. Auch und gerade in einem dem Wahnsinn verfallenden Land wird man von oben darauf bestehen, dass das Handeln der Regierung als moralisch und ethisch gut bezeichnet werden muss, und dass alle Kritiker und Zweifler als böse zu gelten haben.

Nichts widerspricht also prinzipiell der These, dass Deutschland aktuell schlicht »durchdreht« – aber einiges spricht dafür. Es fällt nicht einfach, doch es könnte lebensnotwendig sein, persönlich auch nur »einen Schritt zurück« zu unternehmen und die Angelegenheit so nüchtern wie irgend möglich zu betrachten.

Niemand hat die Absicht, unter physischem Zwang zu impfen, so versichert die Regierung – und damit stellt sie es eben als Denkmöglichkeit in den Raum. Zur Umsetzung ist es ab hier ein relativ kleiner Schritt. Wenn Polizisten einem Pro-Grundrechte-Demonstranten mit dem Knie ins Gesicht treten können, warum ihn nicht auch gleich zwangsweise impfen? Es werden sich genug totalitär fühlende Bürger und journalistische Einpeitscher finden, die das beklatschen werden.

Der Grüne Boris Palmer soll ja bereits offen davon phantasieren, Impfunwillige in Beugehaft zu nehmen (so bild.de, 21.12.2021).

Auf seiner Facebook-Seite scheint sich Palmer geradezu darin zu suhlen, warum auch immer, dass seine Äußerungen mit der Denkart der NS-Zeit verglichen werden (etwa facebook.com/ob.palmer.boris, 21.12.2021: »Wer hätte das gedacht das grüne Politiker den Nazis einmal ihren Rang erfolgreich streitig machen würden. Verhetzung, Unterdrückung und Verfolgung Andersdenkender durch grünen OB.« [sic!]).

Ein Land dreht durch, und die, welche an den durchdrehenden Rädern eben drehen, machen sich darüber lustig, dass und wie man sie anfleht, ihre Taten zu überdenken.

Abweichlertum und Ungehorsam

Du wirst frei sein, dich zu entscheiden, ob du dir die mRNA-Injektion geben lässt, immer wieder – oder ob du finanziell, beruflich und sozial vernichtet wirst – und die, die das vorantreiben, bestehen darauf, sich »demokratisch« zu nennen.

Deutschland befindet sich auf dem Weg in einen Zustand, der nach mancher Befürchtung mit »Wahnsinn« nicht ganz falsch beschrieben sein wird. Mit einem Wahnsinnigen aber wirst du nicht argumentieren können, und sicher nicht, wenn er seinen Polizeiapparat gegen dich einsetzen kann.

Wenn ein Mächtiger wortreich erklärt, dies oder jenes sei nicht seine Absicht, dann schafft er damit die rhetorische Möglichkeit, es bald darauf zu tun, und die Schuld an seinen Handlungen auch noch seinen Gegnern zu geben: »Es war nicht unsere Absicht, doch wir wurden quasi gezwungen (vom Klassenfeind, von Querdenkern, et cetera).«

Das letzte Mal, als verkündet wurde, niemand habe eine gewisse Absicht, da war es eine gute Idee, rechtzeitig zu erwägen, ob es nicht auch »ohne Absicht« doch geschehen kann, etwa weil es, um eine andere DDR-Funktionärin zu zitieren, »alternativlos« sei.

Ich wünsche mir sehr, dass unsere Befürchtungen übertrieben sind. Ich schaue mir allerdings auch meine eigene Liste von aktuell 1276 Essays an, und ich wünsche mir, Sie und ich hätten weit weniger oft richtig gelegen.

Inzwischen wirft man den »Schwurblern« und »Verschwörungstheoretikern« ja schon länger nicht mehr in erster Linie vor, dass sie immer falsch lägen. Zu offensichtlich ist ja inzwischen, dass immer wieder das »Geschwurbel« von gestern die angeblich »alternativlose« Realität von heute ist. Der Vorwurf an »Schwurbler« et cetera ist heute ja zuerst der des Abweichlertums und des Ungehorsams (siehe auch »Mensch vs. Gehorsam« von 2018).

Ausgießung erst später

Ich schreibe diesen Text zwei Tage vor Heiligabend 2021. Der Weihnachtsbaum steht, das Haus duftet, wie es sich gehört, lecker und gemütlich nach Plätzchen.  Es fällt mir so schwer wie noch nie, in mir weihnachtliche Stimmung zu entfachen.

An meiner Seele zieht und zerrt gar manche Instanz. Das Gewissen und die Pflicht. Der innere Rebell, aus fernen Tagen. Das wollige Schäflein, das sich einordnen und gehorchen will, das kann ich gerade nicht in mir entdecken, und doch ist da mancher Wachhund, der mich anknurrt und anbellt und seine scharfen Zähne bleckt.

Viele liebe Menschen sind heute sehr besorgt. Ich kenne Menschen, die letztes Jahr ausgewandert sind. Ich kenne welche, die letzte Woche ihr Haus verkauften und im Januar auswandern werden. Ich kenne aber auch Menschen, und das ist die Mehrheit, die verharren, die noch kämpfen, die auf Besserung hoffen, auf neue Vernunft, vielleicht sogar auf ein Wunder, dass Verstand vom Himmel fällt (Hinweis: das mit der Ausgießung des Heiligen Geistes war allerdings zu Pfingsten, nicht zu Weihnachten; siehe Apostelgeschichte 2).

Sehr viel ist in den letzten Jahren kaputtgegangen, und, machen wir uns nichts vor, es wird noch mehr kaputtgehen. Wenn diese Zeiten etwas Gutes haben, dann dass sie uns lehren, unseren eigenen Seelenfrieden in und aus uns selbst zu finden, unabhängig von den Ereignissen um uns herum.

Ich wünsche uns eine weihnachtliche Stimmung und einige ruhige, besinnliche Tage. Mein Großvater ist vor zwei totalitären Regimes geflohen, und ich lernte von ihm eine Redeweise, die ich in diesen Tagen immer wieder mir selbst sage: »Nějak bylo, nějak bude«, zu Deutsch etwa: Irgendwie war es, irgendwie wird es sein.

Weiterschreiben, Wegner!

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