07.09.2022

Tägliche Abstürze

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Jack Anstey
Gruseln durch simple Logik: Entweder diese Politiker werden wie Marionetten fremdgesteuert – oder sie sind tatsächlich an der Macht, und dies ist das fachlich und moralisch Beste, was sie hinbekommen. Welche Möglichkeit ist gruseliger?
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Liebe Leser, was wird Ihr Leben stärker beeinflussen, die Wahl zwischen verschiedenen Parteien (etwa ob Sie CDU oder SPD wählen), oder die Wahl zwischen Android und iPhone für Ihr nächstes Mobiltelefon?

Am Tag, an dem ich diesen Text schreibe, präsentiert Apple das neue iPhone. Es wird wieder ein teures, aber auch technisch hochwertiges Gerät sein, mit einigen Verbesserungen im Detail, um das Update zu rechtfertigen.

Wer sich auch mit dem Gedanken trägt, ein neues Mobiltelefon zu kaufen, wird die Funktionen und Preise der neuen Modelle studieren und von einem Fachmann erklären lassen.

Wir vergleichen, und wir glauben den technischen Angaben der Hersteller. Die Wahlprogramme der Parteien sind auch in digitaler Form bereits bei Veröffentlichung wenig mehr als Makulatur, und anders als die technischen Versprechen der Gerätehersteller lassen sich Wahlversprechen nicht einklagen. (Sollten Sie das Wort »Makulatur« nur als Metapher kennen, dann sei hier schnell erklärt, dass es »minderwertiges Altpapier« bedeutet, und »Gemisch aus Kleister und fein zerrissenem Papier, das vor dem Tapezieren auf eine Wand aufgetragen wird«; siehe duden.de.)

Ach, wenn Menschen überhaupt noch wählen, so tun sie es doch meist zur »Identifikation«. Wenn konkrete Politiker etwas verändern würden, gar zum Wohl der Bürger wie Trump in den USA, dann würden sie gecancelt werden.

Wir betrachten die politische Realität, und auch wer es (noch) nicht benennen kann, der spürt ein grundlegendes Dilemma. (Nach dem Durcharbeiten dieses Textes werden Sie es benennen können. Ob es Ihnen danach besser geht, hängt davon ab, ob die Worte für eine bis dato undefinierte Schräglage zu finden Ihnen bereits eine Milderung der Schmerzen beschert.)

Die Logik

Betrachten Sie diese Regierung und ihre Minister! Wie sachbezogen und menschlich wirken die Auftritte des Gesundheitsministers auf Sie? Wie vertrauenswürdig ist Olaf »Erinnerungslücke« Scholz? Ist die Verteidigung unseres Landes bei Christine »mit der Luftwaffe in den Urlaub« Lambrecht gut aufgehoben? Was ist das Wort des Justizministers wert?

Ich wage eine weitere hypothetische, und doch schmerzhafte Frage: Sind diese Leute wirklich an der Macht?

Und: Was sind die Konsequenzen Ihrer Antwort, wie diese auch ausfallen mag?

Nehmen wir einmal an, die Verschwörungstheoretiker liegen richtig, und die Bosse und Finanzakteure kommen nicht nur zum Kaffee in Brüssel und Berlin vorbei, und all die verschwundenen SMS-Nachrichten zwischen Politikern und Konzernchefs enthalten doch nicht nur Belanglosigkeiten, und die geheimen Verträge sind doch nicht nur aus harmlosen Gründen geheim, und unsere Politiker werden tatsächlich fremdgesteuert.

Nach erstem Augenschein spräche ja einiges dafür! Manche dieser intellektuellen Ikarusse fliegen erstaunlich hoch, wenn man das wässrige Wachs bedenkt, mit welchem die Flügel ihres plumpen Geistes zusammengehalten werden. Vielleicht hängen diese Puppen ja doch an fremden Schnüren, und hätten sonst im Leben niemals nie nicht so hoch fliegen können?

Ist unsere in Sonntagsreden so blumig gepriesene Demokratie gar nur ein »Theater«, ähnlich wie das »Coronatheater«, von welchem ich 2020 schrieb? Heute tun Politiker ja gar nicht mehr so, als würden für sie dieselben Coronagesetze gelten wie für uns, und auch das Demokratietheater fährt nicht nur positive Kritiken in den Kommentarspalten der Gesellschaft ein.

Was verleiht dem neuen Ikarus solche Selbstsicherheit? Nun, aus den Kreuzzügen und manchen Formen des Jihad wissen wir, dass ein Mensch besonders selbstsicher handelt (und die Menschenregeln als nicht für ihn geltend betrachtet), wenn er sich nur gegenüber höheren Mächten verantwortlich fühlt.

Ja, die Vorstellung ist durchaus gruselig, dass unser politisches Personal in Wahrheit nur austauschbare (wenn auch fürstlich bezahlte) Schauspieler sind.

Wenn das aber stimmt, dann könnte gesagt werden: »Die Demokratie ist ein Theater, wo das Publikum über die Schauspieler abstimmt, aber nicht über das Stück.« (Im Theater ist es übrigens nicht üblich, dass Autor oder Regisseur während der Aufführung auf der Bühne stehen, doch innerhalb der Branche sind sie die wahren Stars, und manchmal geben sie sogar Interviews im Fernsehen.)

Aber gut, nehmen wir an, dass unsere Qualitätspolitiker tatsächlich so mächtig sind, wie ihr demokratisches Amt nahelegt!

Eine implizite Prämisse der Demokratie lautet, dass aus dem Nichts kommende, an Charakter und Fachwissen ungebildete, dazu vergleichsweise arme Figuren, durch die Magie der Wahl über Nacht mächtiger und auch klüger sind als globale Konzerne, als uralte Familien, als Banken und Finanzakteure.

Das bedeutet logischerweise, dass unser Leben und unser Schicksal in den Händen eines Scholz, einer Baerbock, eines Lauterbach oder einer Lambrecht liegt – oder, tagesaktuell, in den Händen eines Herrn Habeck (ganz aktuell: das ist jener Wirtschaftsminister, der offenbar nicht weiß, was eine Insolvenz ist; siehe bild.de, 7.9.2022; zu Herrn Habeck siehe meinen Essay vom 18.1.2020).

Wenn Sie kein Journalist sind und auch sonst kein Rädchen im Propagandastaat, dann sind Sie nicht verpflichtet, so zu tun, als wären diese Figuren alle ernstzunehmen. Ein Trottel im Staatsamt wäre auch weiterhin ein Trottel, nur eben einer, den seine Umgebung nicht mehr darauf hinweisen darf, dass er ein Trottel ist. Ein Trottel mit Macht, aber ohne Gewissen, ist kaum noch von einem gefährlichen Irren zu unterscheiden.

Das also sind die beiden logischen Möglichkeiten, eine dritte sehe ich nicht: Entweder ziehen (mehr oder weniger) unsichtbare Mächte hinter den Kulissen die Fäden politischer Holzköpfe, und das wäre gruselig, oder diese Qualitätspolitiker sind tatsächlich an der Macht, geadelt durch die magischen Kräfte des demokratischen Prozesses, wonach sie das Beste sind, das wir dort einsetzen können, und das, liebe Leser, ist in gewissem Lichte noch gruseliger.

Das beste Personal

Ich möchte wirklich, wirklich gern auch weiter an die Überlegenheit der Demokratie glauben. Aktuell bedeutet Demokratie in der praktischen Umsetzung eben, dass Leute wie Habeck, Scholz, Lambrecht oder Baerbock an die Macht gelangen – oder so lässt man uns in den Nachrichten glauben.

Wenn das wirklich das beste Personal ist, das die Demokratie hervorbringen kann, dann könnte die Zukunft tatsächlich den Konzernen gehören – und einige Leser lächeln milde, und sie versichern mir, dies sei doch schon seit Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten die simple Gegenwart.

Es könnte schleichend passieren, ohne einen einzelnen verantwortlichen Akteur. Kausal verantwortlich ist ein jeder Politiker, dessen »Meinung« sich »unwahrscheinlich präzise« mit den Interessen seiner Spender deckt – und nicht weniger ein jeder Journalist, der das alles mitmacht. Doch wie üblich wird man jene beschuldigen, die darauf hingewiesen haben – wen auch sonst?

Der Grund für den möglichen großen Sieg der Konzerne ist denkbar simpel: In der Politik ist moralische, fachliche oder auch nur geistige Qualifikation für einen Job nachweislich unnötig, wenn nicht sogar aktiv störend. Konzerne können für jeden Job die am besten qualifizierte Person einsetzen – und diese »Person« muss nicht einmal zwingend ein Mensch sein (Algorithmen bilden keinen Betriebsrat, bislang zumindest).

Aufs nächste Update

Das neue iPhone des Jahres 2022 trägt die Nummer 14. Das impliziert, dass es über ein Dutzend Modelle zuvor gab, und dass es so viele zukünftige Modelle geben kann, wie es natürliche Zahlen gibt. Ein jedes Modell ist etwas besser als das Vorgängermodell, so soll es zumindest der Käufer empfinden, und deshalb hat er immer Grund, sich aufs nächste Update zu freuen.

Die Qualität der Politik wird dagegen nicht natürlicherweise besser – im Gegenteil. Wir haben uns bald damit abgefunden, dass deutsche Politik zum Nachteil Deutschlands handelt.

Steve Jobs, der Co-Gründer von Apple, wird mit diesem berühmten Satz zitiert: »Real artists ship.«

Das lässt sich übersetzen als: »Echte Künstler liefern.«

Es bedeutet, dass alle Grübeleien, alle Bekundungen von Größe und Absicht am Ende des Tages nur dann etwas wert sind, wenn man liefert – und nur so viel, wie man auch tatsächlich liefert.

Wenn Politiker aber vom »Liefern« reden, wird es regelmäßig ganz schrecklich peinlich. Wir erinnern uns an Herrn Rösler, der »liefern« wollte (dann aber bei Herrn Schwab landete, und heute in diversen Aufsichtsräten dient, die ihn vermutlich vor allem für seine Geisteskraft entlohnen), oder an Frau Baerbock, die an die Ukrainer liefern wollte, und so weiter.

Wenn Politiker vom »Liefern« reden, wird es schnell schräg, und doch ist es die Art des Lieferns, woran wir erkennen können, ob diese oder jene Staatsform eine Zukunft hat – und welche.

Echte Künstler liefern, und an ihren Lieferungen könnt ihr das Wesen ihrer Kunst studieren (und auch, ob sie wirklich Künstler oder mehr so Scharlatane sind).

Ich schreibe diesen Text auf einem Mac Mini, und ich bin guter Dinge, dass Apple auch weiterhin eine Zukunft hat.

Welche Zukunft aber speziell Deutschland und die Idee der Demokratie allgemein haben, und wie diese Zukunft aussehen kann, das könnte davon abhängen, ob wir die Abstürze in der Personalwahl in den Griff bekommen.

Allemal

»Ausschalten und neu starten« mag bei einem PC sinnvoll sein, bei einem Staat ist es regelmäßig verheerend. Deshalb bin ich ehrlich gespannt, wie wir die Bugs aus dem System bekommen, durch welche derart unqualifizierte Leute an Macht gelangen.

Wenn es aber einem System nicht gelingt, klüger zu werden, statt Tag für Tag dieselben Fehler zu wiederholen, dann wird es durch ein klügeres System ersetzt werden. Oder es verschwindet ersatzlos, im besten Fall Ruinen und Erinnerungen hinterlassend, wie das alte Rom, das alte Griechenland und ein paar weitere Kulturen.

Wollen wir noch versuchen, dieses »Demokratie« genannte System etwas klüger zu machen – oder zumindest dessen Verdummung zu verlangsamen?

Es ist anstrengend, es fühlt sich streckenweise schier unmöglich an, und Sisyphos ist müde – doch besser als aus der Geschichte zu verschwinden, das ist es doch allemal, oder?

Weiterschreiben, Dushan!

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