Dushan-Wegner

12.01.2024

Etwas dagegen zu tun ist schlimmer (sagen die)

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten
Journalisten berichten über Horrortaten junger Männer – und hetzen gleich daneben über Bürger, die etwas dagegen tun wollen. Ist es bloß kognitive Dissonanz? Das Motto: Es ist schlimm, doch etwas dagegen zu tun ist schlimmer.
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Ihr habt bestimmt schon einmal diesen Satz gehört: »Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.«

Es ist ein Bonmot, in dessen Kontext vielen von uns zum ersten Mal der Name des Autors »Ödön von Horváth« begegnet. Ich glaube, ich habe diesen Satz zum ersten Mal als Dekoration an der Wand der Kölner Philharmonie gelesen. Oder war es die Oper? Irgendwo, wo man Kultur um ein Billett und für einen Abend kauft. Ihr wisst schon: Prosecco in der Pause, dann mit der Linie 18 nach Hause, insgesamt eine sehr gebildete Sause.

»Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu« – ich habe damals geschmunzelt.

Natürlich, so dachte ich, so denkt jeder (und das ist dieses Satzes Trick). Man spricht diesen Satz über andere, der Autor spricht nicht über sich, nicht über mich. Wir – du, ich, der Autor – wir sind ja anders. Ich bin ich, du bist du, aber die anderen, die verstellen sich alle. Und auch dadurch sind wir anders als die, die ja anders als sie selbst sind.

Es erinnert mich an die Mahnung, die man bisweilen auf Autobahnbrücken als Graffiti liest: »Du stehst nicht im Stau, du bist der Stau.«

Heute verstehe ich den Satz besser. Heute verstehe ich, dass (ganz oder teilweise) »man selbst« zu sein, gewisse Prämissen voraussetzt. Einen Kontext, der oft mit Wohlstand und Sicherheit einhergeht. Und, fehlen diese, ist man womöglich wer anders als man ist, man kommt nur nicht dazu.

Lasst mich be-BILD-ern, was ich meine.

Bereits drei Verdächtige

Auf der Webseite der BILD-Zeitung liest man aktuell gleichzeitig folgende drei Meldungen:

Erstens, die schreckliche Schlagzeile: »Einen Tag vor Silvester: Frau von Trio in Berliner Drogen-Park vergewaltigt« (bild.de, 11.1.2024)

Die Täter, so erfahren wir, werden noch gesucht.

Dieser Görlitzer Park im linksgrünen Berlin-Kreuzberg ist bekannt für seine tolerante, weltoffene Atmosphäre, sprich: Drogen und Vergewaltigungen und Angst bei Dunkelheit. Im BILD-Artikel selbst wird aber von einer früheren Vergewaltigung dort berichtet, wo es allerdings bereits drei Verdächtige gibt: »drei Männer aus Somalia, Guinea-Bissau beziehungsweise Guinea im Alter von 21 und 22 Jahren«.

(Nebenbei: Zyniker scherzen, Kriege zur Verbreitung der Demokratie in ölreichen Ländern sei, wie Amerikaner über Geographie lernen – nun, offene Grenzen ist, wie Deutsche fürs Weltländerquiz üben.)

Braucht einen Dolmetscher

In einem zweiten Artikel lesen wir: »Eine laue Sommernacht in Berlin. Jugendliche feiern eine Party am Schlachtensee. Nina (Name geändert) (14) (Alter unverändert) tanzt, die Welt ist gut. Bis das Schulmädchen aus dem Stadtteil Prenzlauer Berg von fremden Männern ins Gebüsch gezerrt wird.« »Seit Donnerstag stehen die mutmaßlichen Täter nun vor Gericht. Angeklagt sind der in der Türkei geborene Friseur Mehmet E. (19) und der Berliner Islam El-M. (18). Letzterer braucht einen Dolmetscher, obwohl er in Deutschland geboren ist.« (bild.de, 11.1.2024)

Ich erspare uns hier die grausamen, widerlichen Details des Verbrechens. Vergessen wir nicht: Dieses Mädchen, 14 Jahre alt, ist jemandes Tochter. Und ich schließe mich nicht denen an, die sich wünschen, solche Grausamkeit würde den für dieses Leid verantwortlichen Gutmenschen begegnen.

Nochmal: Er braucht einen Dolmetscher, obwohl er vor 18 Jahren in Deutschland geboren ist.

Ich weiß nicht, ob er auch einen deutschen Pass hat, ob er Staatsangehöriger ist. Aber er ist, so erfahren wir, ein »Berliner«. Man kann also womöglich Berliner, aber kein Deutscher sein. Vermutlich also ein Deutscher mit deutschem Pass – oder zumindest bald.

Und dann, zur selben Zeit auf der Titelseite wie diese zwei Nachrichten, eine dritte Meldung: »Söder über rechtsextremen Vertreibungs-Gipfel: ›Das Ekligste, was man sich vorstellen kann‹« (bild.de, 12.1.2024)

Es geht um den von einer politiknahen NGO und den Medien des Propagandastaates konstruierten Skandal über AfD-Pläne zur Remigration.

In diesem dritten Text werden verschiedene Politik-Funktionäre zitiert, die sich darüber empören, dass in der Opposition über die Abschiebung von Menschen debattiert wird, die sich einfach nicht in Deutschland einleben wollen – auch wenn in Einzelfällen eine Staatsbürgerschaft nachgeworfen wurde.

Die Empörung wird offensichtlich konstruiert, um nach Vorbild lupenreiner Demokratien wie China, Ägypten oder Russland die Opposition auszuschalten. SPD, Grüne und Teile der CDU wollen offenbar endlich den Anschluss der BRD an die DDR abschließen.

Demokratie war vielleicht nur eine Phase in Deutschland, und spätestens als kürzlich die Polizei auf Demonstranten einschlug, welche für die Grundrechte demonstrierten, ahnten wir, befürchteten wir, sehen wir, wohin der deutsche Zug unterwegs sein könnte.

Das ist leider und erschreckenderweise nicht (mehr), was mich an dieser Nachrichtenlage aufwühlt.

Ich bin mehr geschockt vom geistigen Spagat, von dieser kognitiven Dissonanz, gerade auf bild.de, zwischen den einen und den anderen Meldungen.

Irgendwas dagegen tun

Der Staatsfunk leugnet ja wenigstens noch, dass die Gesellschaft zerbricht, dass Frauen etwa zu Silvester oder nachts nicht aus dem Haus gehen sollten, um nicht zum Opfer der Toleranz zu werden. Entsprechende Berichte, so die Staatsfunker, seien »Fake News« und »Rechte Hetze« und sowieso nur »von regionaler Relevanz«. Der Staatsfunk in seiner Leugnung erinnert an Bart Simpson, wenn dieser erklärt: »Ich habe nichts getan, und du kannst es nicht beweisen.«

bild.de aber schafft es, gleichzeitig davon zu berichten, dass es passiert und welches Leid es verursacht – und dann diejenigen zu dämonisieren, die irgendwas dagegen tun wollen.

Die Gesamtbotschaft von bild.de ist: Es ist schlimm, aber wer etwas dagegen tun will, ist schlimmer.

Freunde, ich bin eigentlich wer anders. Ich würde lieber mit euch über die Bedeutung von alltäglichen Begriffen und Ideen philosophieren.

Etwa: Wenn du das Wort »ich« benutzt, wer redet da eigentlich über wen?

Oder: Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein – oder ein Baseballschläger?

Wenn ihr heute rot seht, und ich heute rot sehe, woher wissen wir, dass wir die gleiche Farbempfindung erleben – oder dass unsere Wut dieselbe ist?

Philosophische Fragen eben …

Absichtlich in den Eisberg

Das aber unterscheidet mich von Linksgrünen: Wenn das Haus brennt, müsste ich klinisch schwachsinnig sein, um die Tapetenfarbe zu diskutieren. Wenn die »Titanic« sinkt, müsstest du ein Psychopath sein (oder ein Soze), diese »Chance« zu nutzen, um dir endlich deinen Platz auf dem Sonnendeck zu sichern. (Wobei: Wenn du Soze bist, würde ich fragen, ob du nicht womöglich das Schiff absichtlich in den Eisberg gesteuert hast, um eben die einsetzende Panik »strategisch« für dich zu nutzen.)

Ja, ich bin eigentlich ganz anders. Ich komme in diesen Tagen nur so selten dazu.

Ich würde lieber Tapeten aussuchen, bildlich gesprochen. Ich würde lieber mit euch diskutieren, was ein Atheist (wie ich) meint, wenn er (wie ich) »Gott« sagt. Ich würde lieber die Feinheiten moralischer Perspektiven abklopfen – relevante Strukturen, die Bedeutung von Bedeutung, und die Frage, ob das alles hier womöglich eine Simulation ist – und welcher Verwirrte sie programmiert hat.

Ich bin kein Feuerwehrmann, doch wenn das Feuer ausgerechnet mit Worten und Begriffen entzündet wird, meinem Fachgebiet, dann will ich meinen Beitrag leisten und beim Löschen helfen. Oder zumindest den Brandherd lokalisieren – in der Hoffnung, dass wir bald wieder Tapeten aussuchen können.

Ich würde lieber mit euch den Sinn des Lebens erörtern, doch ein guter Philosoph klärt vor der Debatte zunächst seine Prämissen.

Um den Sinn des Lebens zu diskutieren, ist die zwingende Prämisse, dass man lebt.

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