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Es ist Abend. Du fährst von der Arbeit nach Hause. Deine Augen wollen zufallen, deine Knochen wollen gestreckt werden. Du hast dir den Feierabend wahrlich verdient.
Du fährst auf der Zielgeraden, und dort ist schon dein Haus. Bald wirst du einparken, und zu Hause wartet dein Zuhause auf dich. Vielleicht wartet auch ein lieber Mensch auf dich, vielleicht ein kaltes Bier – und wenn die Götter es gut mit dir meinen, dann vielleicht sogar beides.
Doch – du hattest bereits den Gang heruntergeschaltet – da leuchtet die Warnlampe des Benzintanks auf.
Ein kleines, rotes Licht.
Das Symbol zeigt eine stilisierte Zapfsäule.
Und das Symbol leuchtet rot, und es sagt dir: »Hallo, ich bin dein Auto, und mein Tank ist leer! Betanke mich bald – oder bereue es bald darauf!«
Du seufzt.
Du möchtest deinem Auto sagen: »Mein Tank ist auch bald leer! Ich bin hungrig, ich bin müde. Aber kümmert es dich?«
Das Auto antwortet nicht, das Auto lässt nur weiter vorwurfsvoll das rote Lämpchen leuchten.
Wenn das Auto einer von uns wäre, dann würde es mit einem Emoji antworten, und zwar mit jener Figur mit den hochgezogenen Schultern und den nach oben zeigenden Handflächen – 🤷♀️🤷♂️ – um dich verstehen zu lassen: »Es ist dein Problem, nicht meines.«
In einem solchen Szenario existieren natürlich prinzipiell zwei mögliche Reaktionen: Ich kann die Zähne zusammenbeißen und doch noch die Schleife drehen und tanken fahren. Oder ich kann es dem Auto ähnlich tun, indem ich mit den Schutern zucke und die Angelegenheit auf den Morgen verschiebe.
Da wir hier noch immer getrieben sind vom ewigen Aufruf der alten Griechen – erkenne dich selbst! – wollen wir auch diese Frage grundsätzlich stellen: Bist du ein Morgentanker oder bist du ein Abendtanker?
Die zweite philosophische Frage wäre dann natürlich: Was soll ich tun? Was will ich tun? Was will ich sein? Will ich ein Morgentanker sein, oder will ich ein Abendtanker sein?
Ich kenne niemanden, der in ruhigen Stunden sagt: Ich will ein Mensch sein, der nicht am Abend zwar müde, aber ohne Hektik tankt, sondern einer, der lieber am Morgen zur Tankstelle hetzt, im Stress und unsicher, ob er dadurch nicht in den Stau gerät und zu spät zur Arbeit kommt.
Niemand will ein Morgentanker sein, und dennoch ist die Tankstelle jeden Morgen ausgelastet.
Ach, ich finde ja, wir sollten nicht allzu streng mit uns sein.
Ödön von Horváth wird öfter mit seinem Satz vom Eigentlichanderssein zitiert (ich tat es im März 2021): »Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.«
Im selben Geist sage ich also, wenn ich zum Tanken von teurem Kaffee und noch teurerem Benzin am Morgen zur Tankstelle fahre: »Eigentlich tanke ich abends, aber ich komme nur so selten dazu.«