Dushan-Wegner

24.10.2023

»an deren Ende es weder eine Demokratie noch einen freien Bürger gibt«

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild: »Erst mal nicht weiter«
Demokratie wird zur Farce, Freiheit wird demontiert, das Gewebe der Gesellschaft zerreißt. Doch wir können nicht sagen, dass wir nicht gewarnt worden wären. Wir wurden gewarnt, schon vor Jahrzehnten. »Wir« hörten nur nicht.
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Jesus sagte einst, es sei die Wahrheit, die den Menschen frei mache (Johannes 8:32).

Kierkegaard sagte, es sei die eigene Arbeit, die dem Menschen seine Freiheit sichere: »Gerade durch die Arbeit macht der Mensch sich frei, durch die Arbeit wird er ein Herr der Erde, durch die Arbeit endlich beweist er’s, dass er über der Natur steht.« (aus »Das Gleichgewicht des Ästhetischen und Ethischen in der Entwickelung der Persönlichkeit«, online via zeno.org)

Lauterbach aber, als Fortsetzung von Jesus, Kierkegaard und einigen Persönlichkeiten mehr, verkündete ex cathedra: »Die Freiheit gewinnen wir durch die Impfung zurück.« (bundesgesundheitsministerium.de)

Tatsächlich sind die beschriebenen »Freiheiten« sehr unterschiedliche!

Freiheiten verstehen

Ich verstehe »Freiheit« bekanntlich als eine Situation, in welcher man mit seinen Möglichkeiten zufrieden sein kann – und zufrieden ist (siehe dazu den Essay vom 1.11.2017).

Ein Mensch, der sein Leben nach höheren Werten ausrichtet, nach einer höheren Wahrheit, dem jede Realität der Welt als willkommene Prüfung und wichtige Aufgabe erscheint, für den also jede Möglichkeit die genau richtige ist, mit welcher er via Glauben nur zufrieden sein kann, der fühlt sich logischerweise frei.

Ein Mensch, der sich seine Möglichkeiten erarbeitet, wird mit diesen eher zufrieden sein, welche auch immer diese Möglichkeiten sind. (Deshalb sind Lottogewinner nur selten glücklich). Es geht ja auch kaum anders: Wenn die Evolution den Einzelnen nicht für seine Arbeit psychologisch »belohnen« würde, würde der Stamm kaum überleben.

Die »Freiheit« aber, die Lauterbach versprach, sollte sich der Mensch durch die Verfügbarmachung seines Körpers erkaufen.

Die Freiheit Jesu ist eine Freiheit durch Prioritäten, des als relevanter(er) Wahrheit angenommenen Kontextes.

Die Freiheit Kierkegaards ist eine erarbeitete Freiheit der tiefen Zufriedenheit, die man mit einigem Recht auch Sinn nennen kann.

In der Klosterzelle

Freiheit bedeutet nicht das Gleiche wie Sinn, doch wer Freiheit verspricht, der zeigt damit immer auch auf einen Sinn.

Ein Mönch in der Klosterzelle fühlt sich frei und glücklich, wenn und weil er in solcher Praxis (s)einen Sinn findet.

Ein Rockstar, der um die Welt reist, im Luxus schwelgt und jede Nacht mit einem anderen Partner verbringt, könnte sich darin unfrei und unglücklich fühlen, nämlich wenn er in der Summe seiner Tätigkeit keinen Sinn zu finden vermag.

(Lassen Sie uns an dieser Stelle auch die Spannung aufnehmen, die man als Deutscher spürt, wenn man bei »Arbeit« und »Freiheit« an jenen Spruch über den Eingangstoren denkt. Jener Spruch klingt zunächst wie ein zynisch höhnender, sarkastischer Scherz, doch es liegt eine ebenso direkte wie perverse metaphysische Aussage darin: Man bestimmt die Vernichtung durch Arbeit als den »Sinn« des Lebens jener, die durch diese Tore gehen.)

Woher kommen?

Im »Spiegel« konnte man vor einiger Zeit diese Zeilen lesen: »Ist dies Leben auch sicher? Man fürchtet. Die Denkenden sehen die politische Faktizität mit Sorgen. Wohin treiben wir?«

Und weiter: »Die Demokratie der Bundesrepublik wandelt sich vor unseren Augen. Es werden Wege beschritten, an deren Ende es weder eine Demokratie noch einen freien Bürger geben würde, vielleicht ohne dass die, die sie gehen, dieses Ende wollen.«

Einige Absätze weiter dann: »Wir werden zu fragen haben, ob und wo das faktische Verhalten der Parteien heute die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigt und die Bundesrepublik gefährdet.«

Der Text beschrieb und beklagte, wie und dass die Parteienrepublik sich gegen echte Veränderung durch Oppositionsparteien abgeschirmt hatte: »Die Wahlen bringen nur unwesentliche Verschiebungen in die verhältnismäßige Größe der Parteien, die insgesamt die Oligarchie bilden. Alle vier Jahre aber heißt es: das Volk hat gewählt, das Volk kann gehen.«

Nun wundern Sie sich wahrscheinlich, verehrter Leser, dass im »Relotiusmagazin« derart kritische Töne zum Zustand der Bundesrepublik erklingen.

Nun, der Text erschien etwa zwei Jahrzehnte vor der Geburt von Relotius. Es ist ein Kommentar von Karl Jaspers mit dem Titel: »Wohin treibt die Bundesrepublik?« (online abrufbar: spiegel.de, 17/1966)

Karl Jaspers (1883–1969) war Psychiater und Philosoph. Wenn er nicht an einem seiner über 30 Bücher schrieb oder an der Uni Basel über Existenz oder Transzendenz lehrte, schrieb er wohl bisweilen Polemiken, etwa über die Regierung, für den »Spiegel« (man kann es sich aus vielen Gründen heute nicht mehr vorstellen, ich weiß).

Ein lieber Leser hatte mir den Artikel zugeschickt und dazu gefragt: »Was haben ›wir‹ daraus gelernt und gemacht?«

Am Volk vorbei

Wir wissen heute leider, dass zeitlich nach jenem gelehrten Meinungsstück die »1968er« mit den Mao-Bibeln kamen und ihren »Marsch durch die Institutionen« antraten.

Erst erstritten sie sich Freiheiten, um, wie bei Revolutionären üblich, nur noch ihre »Freiheit« zu erlauben – deren Ziel und Zweck sie international meistbietend bestimmen.

Exakt wie von Jaspers vorausgesagt, regieren etablierte Parteien am Volk vorbei. Wenn – siehe etwa Thüringen oder den immer noch fehlenden AfD-Bundestagsvizepräsidenten – sich auch mit milliardenschwerer Propaganda nicht verhindern lässt, dass das Volk seinen Willen bei Wahlen einfordert, werden eben die Regeln der sogenannten Demokratie aufgehoben.

Was haben wir damals gelernt? Wir hörten die Mahnungen ja schon vor Jahrzehnten?

Wenig haben wir gelernt. Wir waren beschäftigt. Genauer: Wir wurden beschäftigt.

Wir sollten nichts lernen. Dafür sorgte die Propaganda. Jaspers beschrieb es schon damals, 1966: »Einen Schritt weiter gehen Regierungsparteien, die für ihre Minister und den Bundeskanzler aus Staatsgeldern Propaganda finanzieren. Sie benutzen dazu Fonds, die etwa für Aufklärung und Unterrichtung global bewilligt wurden. Sie identifizieren Aufklärung mit Werbung.«

Karl Jaspers Warnungen vor der zersetzenden Wirkung von »Propaganda« beschreiben den heutigen Ist-Zustand geradezu gruselig präzise. Wie diese »Propaganda« heute praktisch aussieht, beschreibe ich etwa in den Essays »1,1 Milliarden Euro – willkommen im Propagandastaat« aus dem Jahr 2020 und »5.8.2021: Verfassungsgericht macht Deutschland zum Propagandastaat« (2021).

Wollten sie gar?

Die Worte des Philosophen Jaspers sind nicht nur wahr, sie sind auch aktuell. Einen wichtigen Unterschied braucht es nur: Aus dem Futur sollten wir den Präsens machen, also: »Die Demokratie der Bundesrepublik hat sich vor unseren Augen gewandelt. Es wurden Wege beschritten, an deren Ende es weder eine Demokratie noch einen freien Bürger gibt, vielleicht ohne dass die, die sie gehen, dieses Ende wollten.«

Jaspers stellt der Aussage, wonach die, die diese »Wege beschritten«, dieses Ende nicht »wollten«, klugerweise ein »vielleicht« voraus.

»Vielleicht« wollten sie es ja doch.

Wahrscheinlich aber nahmen sie es schlicht in Kauf. Wie der Autofahrer meint, im Stau zu stehen, während er der Stau ist, so bilden sich Politiker »vielleicht« bloß ein, in der korrupten Politik mitzuspielen.

Dieser Mechanismus

Das Problem am Freiheitsverlust ist, dass mit dem Verlust der Freiheit auch regelmäßig der Verlust des Sinngefühls einhergeht.

Menschen, die aus dem Kommunismus flohen und dort ihr Haus und ihren Beruf zurückließen, etablierten im freien Westen oft genug eine sehr ähnliche Kopie ihres Lebens im Osten. Diesmal aber taten sie es aus freien Stücken, und was sich im Osten unfrei und sinnlos angefühlt hatte, schmeckte plötzlich wie Freiheit und Sinn, obwohl die Mühe und das Risiko um ein Vielfaches höher waren! (Dieser Mechanismus wird aktuell zum Problem, wenn Menschen, die dem Islamismus entfliehen, ebendiesen Lebensstil im Westen wieder etablieren.)

Der Verlust der Freiheit geht zuverlässig mit dem Verlust des Sinngefühls einher, beziehen sich doch beide Begriffe auf unterschiedliche Hinsichten derselben Phänomene.

Wir können und müssen heute also völlig richtig über den Verlust der Freiheit klagen.

Und auf einer tieferen Ebene geht mit der Freiheit auch bald der Sinn verloren. Der Sinn für Deutschland. Der Sinn des Lebens als Deutscher.

Mehr Mut!

Sicher, es ist schlimm, was mit Deutschland passiert, wie deutsche Parteien die Demokratie und die Freiheit abbauen.

Demokratie wird zur Farce, Freiheit wird demontiert, das Gewebe der Gesellschaft zerreißt. Doch wir können nicht sagen, dass wir nicht gewarnt worden wären – schon vor Jahrzehnten. Wir hörten nur nicht. (Nebenbei: Merkel wertete einst Sarrazins warnendes Buch »Deutschland schafft sich ab« als »nicht hilfreich« ab – ohne es gelesen zu haben; siehe Essay vom 2.9.2020, aber auch vom 1.2.2018. Heute müsste er es, wie Jaspers, vor allem insofern korrigieren, dass manches Futur nun als Präsens geschrieben werden kann.)

Wir stehen heute vor einer der härtesten, schmerzhaftesten Fragen als Deutsche: Was ist (noch) der Sinn von Deutschland?

Freiheit wie auch Sinn müssen erarbeitet werden. Freiheit wie auch Sinn müssen verteidigt werden, »wie das Leben«.

Freiheit und Sinn setzen funktionierende Wahrheit voraus.

Doch durch Unterwerfung, durch Zurverfügungstellung von Körper und Gewissen wirst du keine Freiheit finden und damit auch keinen Sinn, was auch immer die Propaganda dir sagt.

Ich sage heute: Mehr Mut, Freunde!

Mehr Mut zur Sinnfrage.

Mehr Mut zur Sinnfrage, als Volk und als Land!

Und zuvor – tief einatmen! – mehr zur Sinnfrage als einzelner Mensch.

Weiterschreiben, Wegner!

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