Dushan-Wegner

25.03.2024

Es ist nicht das Fallen

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: »Was guckst du, Drache?«
Etwas wird passieren. Ein großer Knall steht bevor, das große Aufkrachen. Wir spüren es alle in den Knochen. Okay, nicht »alle« … aber viele von uns.
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Es ist nicht das Fallen, das dich tötet, so sagt man. Es ist der plötzliche Halt. Die Immobilisierung der Hülle, während die Innereien sich – treu dem Prinzip der Trägheit der Masse folgend und wie auch alle übrigen weltlichen Organe brav höheren Regeln unterworfen – weiterbewegen. Explosionsartiger Druckanstieg. Schlichtes Zerreißen, und wieder schließt sich eine Innenperspektive für immer.

Wenn du also nicht den Fall verhindern kannst, oder wenn die Verhinderung des Falls dich mehr schreckt, als du das plötzliche Halten übermorgen fürchtest, da die Mühen der Verhinderung dir präsenter sind als die Folgen des naturgemäß bislang selbst nicht erlebten finalen Aufpralls, dann wirst du wohl fallen.

Es wäre ganz natürlich, würde sich mit jeder weiteren Verkürzung des Abstands zum beständig näherkommenden Gehweg doch noch eine Aufbruchstimmung einstellen, ein Wille zum Aufschub der endgültigen Nacht.

Schwerkraft verhandelt nicht

Doch seien wir keine Träumer, nicht jetzt, nicht hier. Träume geben dir ein Warum, aber nicht das Wie. Das Wohin, aber gewiss nicht den Plan dahinter. Gehen wir davon aus, dass das Urteil der Schwerkraft endgültig ist.

Einer, der zum sonntäglichen Ausflug in den Park aufbricht, nicht weil er George heißt und Bilder punktet, sondern weil er im gemieteten Paddelboot den Parksee zu bereisen plant, um paddelnd bei Dame, Wochenendkindern oder anderen Fremden zu punkten, so einer tut klug daran, vorab die bekannten Hinweise zur Schifffahrt auf Parkseen zu studieren.

Ähnlich einer, der den inneren Trompetenschall zur dreizehnten Stunde hört, wenn der Fall sich seinem Finale nähert, dem letzten Applaus (allerdings nur ein Klatscher, seltener auch zwei). Auch so ein Fallender wird froh sein, wenn er vorbereitet ist. Innerlich vorbereitet, in der Seele: die innere Ordnung als Schmerzstiller gegen das letzte Chaos.

Aus dem Chaos

Lasst mich also eine Strategie vorlegen für die »Innere Ordnung der Seele kurz bevor der Gehweg alle Organe samt des bis dahin beseelten Hirns ganz neu arrangiert«.

Ich nenne sie die ADE-Strategie. ADE steht für »Akzeptanz«, »Dankbarkeit« und »(totale) Empathie«.

Akzeptanz: Akzeptiere die Tatsache, dass du dich dem Gehweg näherst. Irgendwann wäre es sowieso soweit gewesen, und für dich ist es eben gleich soweit.

Dankbarkeit: Gehe im Kopf durch, wofür du dankbar bist. Sinn und Glück im Leben haben viel damit zu tun, Teil eines guten Größeren zu sein. Bewusste, bewusst formulierte Dankbarkeit ist ein bewährtes Mittel, um sich als Teil des Größeren wahrzunehmen.

Und schließlich die Empathie! »Em« bedeutet »im«. Und »pathie« bedeutet »Gefühl«, so wie »Pathos«. Empathie bedeutet, sich in die Gefühle anderer Menschen zu versetzen.

Tu das Gegenteil!

Der Gehweg nähert sich, und also erhoffst du dir Mitleid und Mitgefühl. Im Fallen versinkst du in Selbstmitleid, ein doppeltes Fallen. Tu es nicht. Tu das Gegenteil.

So gut du kannst, versetze dich in die Gefühle der Menschen. Nicht der Zufälligen, der »Relevanten«. Das ist zu einfach. Bedenke, dass es Millionen und Milliarden von Menschen mit einem Innenleben wie dem deinen gibt.

Manche haben kleinere Sorgen als du. Manche weit größere. Manche sind gerade erst geboren. Manche werden bald nach dir gehen. Fühle mit ihnen, fühle dich, so gut es kurz vorm Gehweg geht, in sie hinein.

Nicht »das Ende«

Und dann sei wieder dankbar. Sei dankbar, dass mit dem Ende deiner Innenperspektive und deines Ichs längst noch nicht all die anderen Innenperspektiven, Ichs und sonstigen Liebenswürdigkeiten vorüber sind. Andere werden übernehmen, wo deine Innenperspektive ausgeknipst wird.

Und wenn du es bis hierhin geschafft hast, in diesem Text, dann darf ich daran erinnern, dass dies eine Metapher ist. (Zugleich wäre es wohl nicht ganz falsch, zu sagen, dass jeder qua Geburt »aus dem Fenster geworfen« wird. Deshalb heulen Babys bei der Geburt, und wenn sie es nicht tun, dann stimmt mit ihnen etwas nicht, und dann prügelt der Arzt sie, bis sie heulen und also alles stimmt.)

Ja, als Land und wohl auch Kultur, wenn nicht sogar als Zivilisation, sind wir wie »aus dem Fenster gefallen« und die »Gehwegplatten« kommen näher. Doch das heißt noch lange nicht, dass jeder Einzelne mit »aufklatscht«.

Die Mächtigen werden überleben, wenn sie nicht auffälligerweise plötzlich der Krebs dahinrafft, ganz so wie uns Allzusterbliche. Doch auch wir Ohn- und Unmächtigen werden nicht alle dezimiert werden. Glück bleibt möglich. Sinn bleibt denkbar. Es hängt sehr wesentlich davon ab, welche Geisteshaltung wir einnehmen, bevor Organe und Gehwegplatten aufeinandertreffen.

Es ist nicht das Fallen, das dich tötet. Es ist noch nicht einmal der plötzliche Halt. Es ist die Kälte, die dich tötet.

Die Kälte, wenn du deine Seele herunterfährst, noch bevor deine Organe es tun – und das widerfährt manchen Menschen schon Jahre zuvor, wenn nicht sogar Jahrzehnte.

Vorbereitung auf das »Etwas«

Akzeptiert, dass es ist, wie es ist. Seid dankbar für alles, was war, nicht nur für das, was gut war – seid schlicht dankbar. Und dann: fühlt! Fühlt euch in all die anderen Innenperspektiven ein.

Etwas wird passieren. Etwas steht vor der Tür, kommt uns hinter der nächsten Kurve entgegen. Etwas kauert unterm Bett, in welchem wir noch immer so schlafen und schnarchen, noch immer besoffen von alten Erfolgen und viel zu langer Ruhe.

Etwas wird passieren. Wir spüren es doch alle in den Knochen. Und es wird sich anfühlen wie Knochen, die nach langem Sturz auf den harten Boden krachen.

Etwas wird passieren, und ich kenne keine bessere Vorbereitung als unseren Geist so weit zu weiten wie irgend möglich.

Durch Akzeptanz der Realität – der ganzen Realität.

Durch Dankbarkeit selbst fürs bloße Sein – und nicht nur das eigene Sein.

Und durch Mitgefühl mit allem und jedem, was und wer ein Gefühl hat, eine Gefühlswelt, die uns vorübergehend Herberge sein soll – und, um ganz sicher zu gehen, auch Mitgefühl mit allem Übrigen.

Weiterschreiben, Wegner!

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