13.05.2019

Ist die EU ein Kult oder ein Vertrag?

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Bild von Robert Lukeman
Die AfD sagt, dass sie als letzte Option für den »Dexit« wäre. Skandal! Mit anderen Worten: Die anderen Parteien würden wohl unter KEINEN Umständen austreten. – Ist die EU ein Vertrag oder ist sie ein undemokratischer Kult?
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»Schließe deine Augen, Bürger, und glaube an die heilige Brüsseler Bürokratie«, so säuselt es dieser Tage, »im Zeichen der zwölf gelben Sterne auf himmelblauem Grund magst du manche Freiheit und dazu deine Heimat verlieren, doch deine Obrigkeit wird dich dafür loben, dass du gehorsam warst, und ist ein flüchtiges Lob der Herrscher nicht höher zu schätzen als das Leben selbst?«

Nein – öffnen Sie die Augen, sperren Sie die Ohren und den Verstand weit auf, und prüfen Sie selbst! Lassen Sie uns ein Spiel spielen, ein prüfendes Spiel!

Nehmen Sie sich einmal die Europa-Slogans der vom Staatsfunk als akzeptabel erklärten Parteien vor – ignorieren Sie für einen Augenblick, dass dort manipulativ »Europa« verwendet wird, wenn in Wahrheit doch »Brüsseler EU-Bürokraten« gemeint ist – und setzen Sie statt »Europa« einen (anderen) religiösen Begriff ein, etwa »Jesus«, »Glaube«, »die Kirche« oder »Buddha« (auch gern etwa den Namen einer Religion, falls ihnen ein solcher aufgrund von Phobie einfällt).

Kommt zusammen!

Ich habe mir erlaubt, das Spiel bereits zu beginnen, und ich habe Slogans und Phrasen etablierter Parteien auf ihre Tauglichkeit als Kirchen-Propaganda ausprobiert.

Die CDU könnte sagen, jeweils in angepassten EU-Slogans: Unser Glaube macht stark! Was gut für die Kirche ist, ist gut für Deutschland! Unser Glaube gibt Sicherheit. Unser Heiland sichert Frieden. – Für Deutschlands Zukunft. Unsere Kirche. Die SPD würde rufen: Kommt zusammen, und macht die Kirche stark! Jesus ist die Antwort! Die Grünen geben sich kämpferisch, es ergibt sich eine Art von »Protestantismus ohne Gott«: Kein Weiter wie bisher. Kein Zurück in den Papismus. Wir wollen Verantwortung übernehmen und die Christenheit neu begründen: rechtgläubig, bibeltreu und sozial.

Übrigens: Viele Slogans der FDP zur EU-Wahl sperren sich eher gegen eine solche Umformulierung als dogmatische Glaubenssätze, sie sind pragmatischer formuliert, was eigentlich für die FDP sprechen würde, wobei sie zugleich planen, in Brüssel mit dem Gelbwesten-Niederknüppler und Großeuropa-Visionär Emmanuel »Jupiter« Macron eine Koalition zu bilden (faz.net, 12.5.2019, derstandard.at, 11.5.2019), was manchem Demokraten noch mehr Bauchweh bereitet als »nur« ein paar religiös daherkommende Slogans (siehe auch »Panik!« und »Die Bürger Europas haben Hunger«) – zugleich positionieren sie sich damit gegen den definitiv nicht sympathischeren Weber (sueddeutsche.de, 14.5.2019) und gegen Merkel –  wo werden Sie lieber nass? Im Regen oder in der Traufe?

Soll es wohl auch sein

Der Wahlkampf in Deutschland ist heuer denkbar langweilig: Alle gegen die AfD. Egal ob man AfD doof und gefährlich oder richtig und wichtig findet (oder dies alles gleichzeitig), so wird man zugeben, dass die Debattentiefe des Nennt-es-nicht-Gleichschaltung-Deutschlands eher einem Planschbecken als dem Marianengraben gleicht.

Alle gegen AfD, und mit »alle« sind alle übrigen Parteien gemeint, der Staatsfunk sowieso, einige große Zeitungen, diverse Ministerien und eine Armee von NGOs, letztere teils mit Geld von Ministerien oder aus dem Ausland. Es ist eine inhaltlich denkbar langweilige Propagandawand – soll es wohl auch sein.

Ein aktueller Text über die AfD beginnt so: »Seit Monaten inszenierte sich die AfD als Anti-EU-Partei« (welt.de, 12.5.2019). Beim Artikel steht nicht, welcher Journalist diese Meinung und Einschätzung abgibt, es wird wie ein Fakt berichtet – Leitmedien im Wahlkampfjahr eben.

Der Text ist betitelt:

AfD lässt Parteiposition zum „Dexit“ im Wahl-O-Mat ändern (welt.de, 12.5.2019)

Die AfD hat beim »Wahl-O-Mat« der »Bundeszentrale für politische Bildung« (einer Behörde im Geschäftsbereich des Innenministeriums) ihre Antwort auf die Frage, ob sie für den »Dexit« sei, von »positiv« auf »neutral« stellen lassen.

Das Rätsel ob der Hintergründe dieser Meldung ist schnell aufgeklärt: Die Fragen des »Wahl-O-Mat« sind simplifizierender und populistischer als die tatsächliche Position der AfD.

Das Statement 16 des Fragenkatalogs lautet:

Austritt aus der EU – Deutschland soll aus der Europäischen Union austreten.« (siehe wahl-o-mat.de, zu Frage 16 durchklicken)

Die Position der AfD scheint schlicht zu sein, dass man bestimmte Veränderungen an der EU bewirken will, und dass, wenn diese nicht gelingen, ein Austritt Deutschlands aus der EU eine »Ultima Ratio« wäre.

Aus der Begründung, die beim Wahl-O-Mat selbst erscheint:

Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU nicht in angemessener Zeit verwirklichen lassen, halten wir einen Austritt Deutschlands oder eine geordnete Auflösung der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft für notwendig und werden die Entscheidung über den DEXIT bei den Bürgern einholen, so wie es nach unserem Modell der direkten Demokratie selbstverständlich ist. (AfD beim Wahl-O-Mat zum möglichen Austritt Deutschlands aus der EU)

Der Begriff »Populismus« ist der Vorwurf, politische Fragen würden auf unangemessene Art und Weise vereinfacht (siehe »Talking Points«) – der Wahl-O-Mat aus dem Dunstkreis des Innenministeriums kann hier »populistisch« genannt werden, da er eine These allzu stark vereinfacht.

Die Aufregung um die angebliche Änderung der AfD-Position im Wahlautomaten erinnert an die Debatte um den angeblichen Schießbefehl an der Grenze: Es wird nach einer »Ultima Ratio« gefragt, und dann wird es so dargestellt, als sei dies die eigentliche Position der Partei; es ist Populismus, es ist Manipulation, doch es bestätigt das quasi-offizielle Narrativ.

Ansonsten in Gefahr

Nehmen wir an, ich würde Sie fragen, ob Sie im Fall eines gefährlichen Blutverlustes eine Bluttransfusion annehmen, oder ob sie sich ein Bein amputieren lassen, wenn aus diesem oder jenen Grund droht, dass bei Nicht-Amputation Ihr Leben in Gefahr ist.

Die meisten von Ihnen würden in beiden Fällen zustimmen; selbstverständlich würden Sie einer Bluttransfusion oder einer Beinamputation zustimmen, wenn Ihr Leben ansonsten in Gefahr wäre – ein Haltungsjournalist würde aber aus der Antwort auf die hypothetische Frage konstruieren, dass Sie sich ein Bein amputieren lassen möchten, einfach so, dass Sie davon träumen, dass es Ihre Sehnsucht ist. Dass Sie es als letzte Lösung sehen, wenn nichts anderes mehr möglich ist, das lässt er fallen, denn es passt nicht in die Story, die der Haltungsjournalist von Ihnen erzählen möchte.

In aller Deutlichkeit

Es gibt durchaus Menschen, die aus religiösen Gründen gegen Bluttransfusionen oder andere medizinische Vorgänge sind, und sie sind bereit, aufgrund dieser religiösen Präferenz eher zu sterben als die medizinische Möglichkeit anzunehmen und weiterzuleben.

CDU, SPD und FDP sind, laut Wahl-O-Mat gegen den Austritt, und sie akzeptieren gern die populistische Zuspitzung, welche die »Bundeszentrale für politische Bildung« in dieser Frage vornimmt.

CDU und CSU »bekennen sich in aller Deutlichkeit zur Europäischen Union«.

»Die EU ist ein einzigartiges Friedensprojekt. Wir wollen sie zur handlungsfähigen Friedensmacht ausbauen« – was ist schlimmer als ein Kult, von schlichtgestrickten Dogmaten geleitet? Ein Kult mit Armee!

Die FDP wird beim Wahl-O-Mat dann doch etwas allzu plakativ: »Die Einheit Europas ist das Beste, was uns allen passieren konnte« – setzen Sie statt »Einheit Europas« auch »Erlösung durch Zeus« ein, und es funktioniert nicht schlechter.

Mit anderen Worten: Diese Parteien scheinen bereit zu sein, unter allen Umständen in der EU zu bleiben, selbst wenn es etwa die Verarmung und maximale Schwächung Deutschlands bedeuten würde – und wenn sie es nicht wären, hätten sie es nicht, wie die AfD, angedeutet?

Auf wie viele Jahre?

Entweder die Europäische Union ist ein Vertrag, aus dem man im ultimativen Fall auch austreten kann – oder sie ist Kult, aus dem auszutreten schlicht denkunmöglich ist.

Es gibt eine Religionsgemeinschaft, die schließt mit einem Teil ihrer Mitglieder, so wird berichtet, eine Vereinbarung mit einer Laufzeit von 1 Milliarde Jahren ab – auf wie viele Jahre schließt man den EU-Vertrag ab?

Die Propaganda von Behörden und Parteien sagt gern »Europa«, wenn sie Brüsseler Demokratie (und ihre Karriere darin) meinen. Nehmen wir sie ernst!

Ich wünsche mir ein Europa der Freiheit. Die EU der Uploadverbote, der steuerfinanzierten Hetze gegen Abweichler, ein Europa der nationalen Entmündigung und der wuchernden Bürokratie, das wäre kein Ort der Freiheit.

Es gibt Politiker, die lassen sich nach Brüssel wählen, um den Zugriff der EU auf die Nationen in menschengerechtere Bahnen zu lenken. Ja, es kann Sinn ergeben, nach Brüssel zu wollen, und dabei heftige Kritik an der EU zu üben. Nein, die Brüsseler Bürokratie ist kein Gottgegebenes, kein Heiliges, kein Dogma, dem zu widersprechen den Menschen irgendwie »unrein« macht. Und nein, »Europa« ist definitiv nicht »die Antwort« auf alle Fragen, so wie »Gott« oder »Jesus« nicht die eine Super-Antwort etwa auf Fragen nach der Impfung oder Entstehung der Erde ist – auch wenn Ihnen Fanatiker jeweils etwas anderes erzählen mögen.

Mancher, der heute die EU-Fahne schwenkt, würde in anderen Zeiten und an anderen Orten andere Fahnen schwenken, und immer schön im Wind.

Verträge und Bürokratien sind nützlich, kein Zweifel – niemand will in einem Land leben, wo Verträge nicht gelten und Chaos herrscht – doch eine Bürokratie ist nicht »heilig« und gewiss nicht »göttlich« – Verträge sind nützlich oder eben nicht, und im letzteren Fall versucht man erst, nachzuverhandeln, und wenn das nicht geht, eben aus dem Vertrag auszusteigen.

Es ist in der Geschichte oft schiefgegangen, wenn Institutionen sich an die Stelle des Heiligen gesetzt haben. Wer für ein friedliches und kluges Europa ist, wer für Freiheit, Selbstbestimmung und Wohlstand ist, der kann durchaus plausibel auch nach Brüssel gehen, um gegen die EU in ihrer aktuellen Form zu protestieren – doch wer von vornherein die Ultima Ratio ausschließt, braucht erst gar nicht mit Verhandlungen zu beginnen.

Die propaganda-artige PR der EU entwickelt sich allmählich zum Kult für besonders leicht zu befriedigende Bürger.

Wenn die EU sich mit Europa gleichsetzt, dann lügt sie. Wenn die EU sich als heilig darstellt, dann lügt sie. Wenn die EU sagt, sie sei mehr als ein Vertrag, dann lügt sie.

Ich erlaube mir, eine Schrift zu zitieren, die vielen Gläubigen tatsächlich als »heilig« gilt, und darin heißt es: Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit! (Epheser 4:25a)

Die Gläubigen jener Religion werden heute immer häufiger zum Ziel von Gewalt und Verfolgung, auch in Europa, auch und besonders dank dummer Politik.

Die EU ist nützlich oder sie ist nicht nützlich, sie dient der Freiheit oder sie dient der Entmündigung und der Bevormundung und der Überwachung.

Nein, die EU ist nicht heilig. Das menschliche Streben nach Sinn und Ordnung, das könnte heilig genannt werden. Die Mathematik ist die Wissenschaft von Wahrheiten, die heilig zu nennen ebenso angemessen wäre. Das Leben des Menschen, das ist zweifellos heilig.

Die EU aber ist nicht heilig, und jene Gehirnwäsche, die durch Rhetorik, Slogans und Fahnenschwenken so tut, als wäre die EU heilig, für die ist »lächerlich« noch ein höfliches Wort.

Weiterschreiben, Wegner!

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